Von Juan E. Alemann
Das erste Halbjahr 2021 stand im Zeichen mehrerer günstiger Umstände, die erlaubt haben, das primäre Defizit der Staatsfinanzen stark zu senken, und das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz zu erhalten, ohne Reserven opfern zu müssen. Einmal hat die Hausse bei Sojabohne und Mais, und in geringerem Umfang bei anderen Getreidearten und Ölsaaten, und auch bei Bergbauprodukten, zur Zunahme der Exporte und somit zum Überschuss bei der Handelsbilanz beigetragen, und gleichzeitig der Staatskasse durch den stark gestiegenen Erlös der Exportzölle zu einem Sprung bei den Einnahmen verholfen. Dann hat die Sondersteuer auf hohe Vermögen der Staatskasse zusätzliche $ 225 Mrd. gebracht. Schließlich hat die Konjunkturerholung des 1. Quartals 2021 allgemein höhere Steuereinnahmen gebracht, und gleichzeitig haben Gewerkschaften und Rentner einen bedeutenden realen Einkommensverlust hingenommen, der die Staatsausgaben real stark gesenkt hat. Auch dies dürfte jetzt nicht mehr so einfach sein. Die Gewerkschaften wollen keinen weiteren realen Einkommensverlust, und die Regierung kann dem Druck in einer Wahlperiode kaum widerstehen.
Die Regierung konnte in den ersten Monaten 2021 die Pesoschulden auf dem lokalen Finanzmarkt ohne Schwierigkeiten umschulden. Dieses sogenannte “Rollover” ergab sogar im März, April und Mai 2021 einen Überschuss. Doch im Juni kehrte sich die Tendenz abrupt um, und der Rollover ergab einen negativen Saldo. Daraufhin hat die ZB den Banken gestattet, Schatzscheine statt Leliq auf ihre Reserven anzurechnen, womit dann wieder mehr Staatspapiere untergebracht werden konnten. Das hat die ZB gezwungen, mehr zur Geldschöpfung zu greifen. Im Grunde war dies eine weitere Form der kreativen Buchhaltung des Staates. Jetzt kommt noch hinzu, dass gemäß einer Berechnung der Consulting-Firma Equilibra, die Zahlungsverpflichtungen im 2. Halbjahr insgesamt $ 2,3 Mrd. betragen (wobei auch Titel verfallen, die im 1. Halbjahr ausgegeben wurden), was ca. eine Billion mehr als im ersten Halbjahr ausmacht. Es müssten somit Titel für diesen viel höheren Betrag ausgegeben werden, bei schwindender Nachfrage. Das schafft ein schwieriges Problem, das voraussichtlich mit höherer Geldschöpfung gelöst wird. Und das wird nach und nach gefährlicher. Denn schließlich gilt die Geldtheorie, die die Geldmenge in Beziehung zur Inflation setzt, immer noch, auch wenn sich jetzt weltweit gezeigt hat, dass der Zusammenhang nicht so direkt ist, wie bisher angenommen wurde.
Das zweite Halbjahr steht unter einer ganz anderen Konstellation als das erste. Die Ernte von Weizen und Gerste vom letzten Sommer ist schon weitgehend exportiert worden, und vom Bestand von Sojabohne und Mais aus der Ernte 2020 bleibt noch wenig übrig. Außerdem haben sich die Weltmarktpreise beruhigt, nachdem der Sojapreis über u$s 600 Tonne erreicht hatte. Voraussichtlich werden somit die Exporteinnahmen im 2. Halbjahr stark zurückgehen, was noch durch die Tatsache verstärkt wird, dass der Wechselkurs in den letzten Monaten stark hinter der internen Inflation zurückgeblieben ist, und somit ein Abwertungssprung erwartet wird.
Die verfügbaren ZB-Reserven von etwa u$s 6 Mrd. reichen gewiss nicht aus, um das Zahlungsbilanzdefizit zu decken, das sich dabei ergibt. Das bedeutet, dass die ZB unter diesen Umständen den Kurs nicht halten kann. ZB-Präsident Miguel Pesce ist sich dieser Gefahr bewusst, und bemüht sich, Importe, durch Verzögerung der Genehmigungen, den Betrag der Zahlung zu überweisen, verstärkt zu hemmen. Produktionsminister Matías Kulfas dürfte ihm dabei auch helfen, indem er die Ausgabe von Importlizenzen verringert. Das ist jedoch nicht umsonst: denn dabei geht es nur zum geringsten Teil um Konsumgüter. Der größte Anteil entfällt auf Rohstoffe und Industrieprodukte, die Teile eines lokalen Fabrikationsprozesses bilden. Schon jetzt stehen Produktionslinien aus diesem Grund still, was den entsprechenden Unternehmen große Probleme verursacht, und Knappheit an bestimmten Produkten verursacht.
Die Tatsache, dass es vorerst kein Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds gibt, und bekannt ist, dass Cristina zunächst kein Abkommen will, und es eventuell sogar auf einen Default ankommen lässt, hemmt Auslandskredite und Auslandsinvestitionen, und auch Geschäfte lokaler Firmen. Das bedeutet, dass es keine Möglichkeit gibt, ein Defizit der Leistungsbilanz mit einem Überschuss der Kapitalbilanz zu decken.
Der offizielle Kurs wird weiterhin verwaltet, mit geringen Abwertungen. Aber der freie Kurs, in seinen verschiedenen Varianten, ist schon in der Vorwoche davongesprungen, sodass die Marge gegenüber dem offiziellen Kurs gestiegen ist. Und das verursacht noch mehr Probleme, als der hohe freie Kurs selber. Die ZB bemüht sich, den Kurs, der sich über Kauf und Verkauf von Staatstiteln in Dollar bildet (vornehmlich über den Bono 2030 LA) zu kontrollieren. Sie verkauft seit langem schon Dollar aus ihren Reserven, wenn der Kurs in die Höhe springt. Doch in der Vorwoche hat sie auch die Makler direkt unter Druck gesetzt, was dann dazu geführt hat, dass es zwei Kurse auf diesem Markt gibt, einen, den die ZB kontrolliert, und der andere, der die Kontrolle überspringt. Die Hindernisse für diese Geschäfte wurden diese Woche verschärft, so dass mehr Devisenkäufe auf den Schwarzmarkt übergehen, und den Kurs in die Höhe treiben. Den Schwarzkurs kann die ZB ohnehin kaum beeinflussen, geschweige denn beherrschen.
Zu dieser objektiv komplizierten Lage kommt jetzt noch die Wirkung der Wahlperiode. Für Cristina, die an erster Stelle an ihre Prozesse denkt (was menschlich begreiflich ist), haben die Wahlen vom 14. November eine entscheidende Bedeutung. Sie will zumindest die Zahl ihrer Deputierten, plus anderer, die sie unter Druck setzen kann, erhalten. Doch besser wäre es, wenn sie 7 Deputierte mehr erhält, die sie für eine treue eigene absolute Mehrheit braucht, mit der sie die Justizreform durchsetzen kann. Dies ist für sie so wichtig, dass sie bereit ist, die Staatsfinanzen auf den Kopf zu stellen, um es zu erreichen. Das bedeutet, dass man jetzt zusätzliche Sozialausgaben erwarten kann, die das Defizit weiter erhöhen, und die Geldschöpfung, deren Zunahmerhythmus im 1. Halbjahr stark gebremst worden war, wieder stark in die Höhe zu treiben. Das dies die Gefahr der Hyperinflation mit sich bringt, interessiert sie kaum, solange diese nach den Wahlen eintritt, wenn sie jedoch vorher eintritt, im Sinne der selbsterfüllten Prophezeiung, dann verliert ihre Koalition die Wahlen haushoch.
Das wäre sehr positiv, da dies die Stellung von Alberto Fernández in der Koalition stärkt und ihm erlaubt, wenig populäre Maßnahmen zu ergreifen und die Lage, mit Wirtschaftsminister Guzmán, wieder einzurenken. Er müsste sich dann von Cristina distanzieren und sich bemühen, gute Beziehungen zur Opposition herzustellen, die ihm bei seiner schwierigen Arbeit helfen könnte. Nur wenn Cristina weg von der Szene ist, und Alberto nicht hindern kann, die volle Verantwortung für die Regierung zu übernehmen, und er sich dabei gut beraten lässt, kann die Krise überwunden werden. Nicht nur Guzmán, sondern auch Kulfas, Kabinettschef Cafiero u.a. hohe Beamte wissen, in welche Richtung die Regierung sich begeben muss, um die Krise zu überwinden. Und sie wissen noch besser, in welche nicht.
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