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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Ein neuer Trieb aus einem Baumstumpf

Von Pastorin Karin Krug

„Es wird ein Zweig hervorgehen aus dem Baumstumpf Isais; ein neuer Trieb schießt hervor aus seinen Wurzeln. Ihn wird der HERR mit seinem Geist erfüllen“. (Jesaja 11:1)

Dieser Vers aus dem Propheten Jesaja (740-701 v. Chr.) hat unser bekanntes Weihnachtslied „Es ist ein Ros’ entsprungen“ inspiriert. Das Lied spricht von einem Rosenstock, der plötzlich, mitten im kalten Winter, ein Blümlein hervorbringt. Ganz so hat Jesaja es nicht gesagt. Aber das macht nichts. Was er meint ist genauso unglaublich wie eine Rose im tiefsten Winter: Ein Zweig geht kraftvoll aus einem Stumpf hervor.

Eigentlich spricht dieser Text von einer Katastrophe. Denn es ist eine Katastrophe für den Baum, wenn er abgehackt wird. Sein Wachstum wird unterbrochen. Normalerweise wächst ein Baum immer weiter, Jahr für Jahr bildet sich ein neuer Ring um sein Zentrum, Jahr für Jahr kommen neue Zweige, neues Laub, Blüten, Früchte, das ist der natürliche Lauf der Dinge. Aber von außen geschieht etwas Zerstörerisches, der Baum wird abgesägt, es bleibt nur ein Stumpf übrig. Der Baum wird zur Ruine. Das sieht traurig, tot, ohne Zukunft aus. Ein Baum hat einen Sinn, ein Stumpf ist sinnlos. Aber nun geschieht das Überraschende: Aus der Wurzel des verletzten Baumes entsteht ein neuer Zweig. Dieser neue Trieb wird die Spuren der Axt nicht verwischen können. Aber in diesem neuen Zweig ist pulsierendes, nicht zerstörbares Leben.

Jesaja spricht natürlich zuerst für seine Zeitgenossen: Das Königshaus Davids (Isais) ist zerstört, das Land besiegt und die Bevölkerung in alle Winde verweht. Der Baum ist abgeschlagen, es ist aus mit ihm, er ist eine Ruine, er hat keine Zukunft. So dachte man konsequenterweise. Aber für Gott ist das letzte Wort noch nicht gesprochen: „Es wird ein Zweig hervorgehen aus dem Baumstumpf Isais; ein neuer Trieb schießt hervor aus seinen Wurzeln“. Auch für das zerschlagene Volk kann es eine Zukunft geben, meint Jesaja. Aber nicht so, dass alles wieder wird wie früher. Auch wird kein neuer Baum gepflanzt. Die Wurzel wird nicht weggeworfen. DIESER Baum soll wieder neu leben.

Ich finde mich wieder in diesem Bild. Es ist für mich ein Symbol für die großen und kleinen Tragödien in unserem Leben. Wo der normale Lauf der Dinge unterbrochen wird. Es geschehen Dinge, die uns in mancher Hinsicht zerstören und zerbrechen können. Und doch, trotz allem, die Wurzel lebt und deshalb ist noch nicht alles verloren. Ein Zweig geht kräftig hervor. Nach einer Erfahrung des Zerbrechens wird unser Lebensbaum vielleicht nicht mehr symmetrisch und perfekt aussehen. Den Bruch wird man nicht verwischen oder bagatellisieren können. Aber aus der Wunde entsteht etwas Neues.

Der Zweig aus dem Stumpf bedeutet für alle, die solch einen Bruch erlebt haben, einen großen Trost. Einmal weil es Gottes Handlungsweise entspricht. Er wählt nicht das, was glänzt, was stark ist, was Erfolg aufweist. Er hat eine Vorliebe für das was schwach scheint, er wählt wie wir nie wählen würden: „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen“ (Jesaja 42). Ich meine: wozu soll ein kaputter Bambusstecken noch nützen? Nicht einmal um eine Pflanze anzubinden... Und ein gerade mal glimmendes Flämmchen einer Kerze? Es bringt kein helles Licht mehr hervor... Und doch sind beide in den Augen Gottes nicht sinn- und nutzlos.

Zum anderen finde ich Trost in dem Wort des Zweiges aus dem Stumpf, weil dieser zarte, schwache Trieb, der aus einer Wunde wächst, nicht einfach ein Zeichen von Leben ist, das sich gegen die Zerstörung wehrt, sondern da ist gerade der Ort, wo Gott seinen Geist ruhen lässt. So kann dieses zarte Zweiglein, das eine Art Katastrophe überlebt, am Ende gar stärker und widerstandsfähiger sein als es vielleicht der ursprüngliche Baum gewesen wäre.

Jetzt in der Adventszeit wird dieser Text aus dem Jesaja öfter gelesen und gepredigt. Aus dem Stumpf des Volkes Gottes ist ein neuer Zweig hervorgegangen. In einer Krippe, schwach und hilfebedürftig, liegt das Kind Gottes, Jesus, der Helfer. Dieses Kind wird zum Mann heranwachsen. Aus diesem Zweig wird ein großer Baum werden, in dessen Schatten Menschen aller Völker aus Gott und für Gott leben. Weihnachten ist das große und definitive „Ja“ Gottes zu seinen Menschen und zum Leben. Auch das Leben Jesu wurde wie ein Baum gefällt. Aber an Ostern wurde er aus der größten Katastrophe, aus dem Tod, erweckt. So kann jeder von uns sich an ihm festhalten und aus seinen kleinen oder großen Tragödien auferstehen.

Eine frohe Weihnachtszeit wünscht Ihnen Ihre

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