Von Juan E. Alemann
Die Faustregel der Politik, dass die jeweilige Regierung, unabhängig von ihrer ideologischen Richtung, ihren Erfolgen und ihrem Versagen, für Krisen verantwortlich gemacht wird, hat sich einmal mehr bestätigt. 70 Prozent der Wähler haben gegen die Regierung gestimmt. Bei einer so tiefen Krise, wie sie Argentinien gegenwärtig erlebt, die zugleich wirtschaftlich und sozial ist, aber auch die persönliche Sicherheit, den Drogenhandel (bei dem die Regierung fassungslos zuschaut) und die schlampige Verwaltung der Pandemie umfasst, konnte die Regierungspartei keine Wahl gewinnen.
Die Bevölkerung will keine Ausreden, keine Verschiebung der Schuld auf die vorangehende Regierung, sondern konkrete Maßnahmen, die zur Überwindung der Misere beitragen. Gewiss hat die Regierung viel getan, um die Auswirkungen der extremen Armut zu überwinden, besonders mit großzügigen Ernährungsprogrammen, aber die Menschen erwarten in einer so extremen Krise viel mehr. Wobei das Geschwätz der Regierungspolitiker, die von Sex, Astrologie u.a. irrelevanten Themen sprachen und keinen einzigen konkreten Vorschlag machten, den Eindruck verstärkt hat, dass die Regierung der Lage nicht gewachsen ist.
Schließlich haben auch die Skandale, besonders der des Familienfestes in der Residenz von Olivos, der Opposition Stimmen gebracht. Doch die Korruption und die bösen Prozesse, die Cristina betreffen, waren kein Thema bei diesen Wahlen. In anderen Ländern würde dies im Vordergrund stehen, und ein Politiker, der Milliarden Dollar von der Staatskasse gestohlen hat, würde im Gefängnis sitzen und niemals Vizepräsident sein. Die ethischen Werte, auf denen die Koalition “Juntos por el cambio” besteht, sind offensichtlich in Argentinien kein Thema. Hier fehlt noch eine kulturelle Revolution.
Die Meinungsumfragen, die vor den Wahlen zahlreich waren, haben sich geirrt. Sie wiesen allgemein auf eine Pattsituation hin, wobei mehrheitlich auf eine geringen Wahlverlust der Regierungspartei hingewiesen wurde. Warum haben sie versagt? Vielleicht, weil sie die Umfragen am falschen Ort gemacht haben und dann wohl auch, weil viele Menschen nicht die Wahrheit sagen und befürchten, Schaden zu erleiden, wenn sie sich gegen die Regierung äußern. Man sollte nicht vergessen, dass ein großer Teil der Bevölkerung vom Staat lebt, sei es weil er eine Anstellung beim Staat erhalten hat, eine Pension, eine Rente, das Kindergeld oder eine andere Subvention bezieht. Viele dieser Menschen befürchten, dass sie die Staatsunterstützung verlieren könnten, wenn sie sich gegen die Regierung äußern. Bei der effektiven Wahl ist es dann anders, da ihre Stimme anonym ist.
In diesen Sinn sei bemerkt, dass das Wahlergebnis eigentlich für die Regierung noch schlechter ausgefallen ist, als sich aus den Zahlen ergibt. Denn in Provinzen wie Formosa, Santiago del Estero, La Rioja und Catamarca entfällt der größte Teil der Beschäftigten auf Angestellte des Provinzstaates, die für die bestehende Regierung stimmen, weil sie befürchten, bei einem Regierungswechsel ihre Stelle zu verlieren. Denn diese Provinzen haben ohnehin mehr als doppelt so viele Staatsangestellte als sie benötigen. Auffallend ist jedoch der Fall von Santa Cruz, die Stammprovinz der Kirchners, die von diesen mit eiserner Hand beherrscht wird. Dass die Regierungspartei auch hier verloren hat, ist ein Zeichen der Schwäche von Cristina.
Die Primärwahlen übertragen sich höchstwahrscheinlich auf die Novemberwahlen, eventuell mit mehr Polarisierung. Von Alberto Fernández kann man kaum erwarten, dass er die Gelegenheit beim Schopf fasst, um Cristina für die Schlappe verantwortlich zu machen und einen vernünftigen Weg einzuschlagen.
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