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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Ein kurzfristiges Programm mit viel Pragmatismus und Improvisation

Von Juan E. Alemann

Präsident Alberto Fernández hat sich zunächst drei konkrete Ziele gesetzt: die Inflationsrate zu senken, die Konjunktur anzukurbeln und eine Einkommensverteilung zugunsten der ganz Armen in die Wege zu leiten. Gleichzeitig soll mit dem IWF und den Fonds, die den größten Teil der Auslandskredite an Argentinien im Portefeuille haben, über die Streckung der Zahlungen verhandelt werden, voraussichtlich mit einem geringen Schnitt beim Kapital und einem größeren bei den Zinsen. An diesem Thema arbeitet Wirtschaftsminister Martín Guzmán intensiv, wobei nicht zu vergessen ist, dass er sich schon vorher, als Forscher in der Universität Columbia, intensiv mit Schuldenregelungen wie der argentinischen befasst hat und als Experte auf diesem Gebiet angesehen wird. All das soll erreicht werden, ohne die Staatsfinanzen zu stark aus dem Gleichgewicht zu bringen (mit einem primären Defizit von unter einem Prozentpunkt) und einer Geldschöpfung, die angeblich nur eine “normale” Geldversorgung schaffen soll.

Gelingt es, dieses Jahr die Inflation auf etwa 30% jährlich zurückzuschrauben (etwas über 2% monatlich), das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2020 um über 2% (gegenüber dem 4. Quartal 2019) anzuheben und die Lage vieler Armen spürbar zu verbessern, durch den Zusatz von $ 10.000 für Rentner, die Lohnerhöhung von $ 4.000 für alle (die bei den Beziehern von niedrigen Löhnen etwa 20% ausmacht), und der Lebensmittelkarte für die Bezieher des Kindergeldes (Asignación universal por hijo), dann wären die Voraussetzungen für ein Wirtschaftsprogramm für die ganze Regierungsperiode von Fernández und auch darüber hinaus, geschaffen.

Doch in dieser Galgenfrist muss sich die Regierung schon Gedanken darüber machen, wie so ein Programm aussehen muss. Es muss auf alle Fälle schon jetzt klar sein, dass nach der Stillhalteperiode von 180 Tagen die inflationären Kräfte wieder voll auftauchen, das Wachstum eine solide Basis haben muss. und die Armutsbekämpfung in ihrer Essenz erkannt werden muss, also grundsätzlich in einer aktiven Beschäftigungspolitik, und dann auch mit Einzelprogrammen für die Sicherung der Ernährung, und für bessere Wohnungsverhältnisse.

Es ist sehr gefährlich, wenn nicht bald ein mittelfristiges Programm entworfen und bekanntgegeben wird. Denn der Schatten der Ungewissheit wirkt störend auf die Gegenwart. Hierzu sei bemerkt, dass den argentinischen Regierungen traditionell Denker auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet fehlen. Die führenden Beamten werden von den täglichen Problemen überwältigt und arbeiten schließlich in den Tag hinein. Sie brauchen Berater von intellektuellem Format, die nur denken und nichts entscheiden, und ihnen Initiativen empfehlen. Diese Berater können auch private Wirtschaftler sein, wie Miguel Angel Broda u.a., die keinen Beamtenstatus haben.

Der Präsident hat auch die Rolle des Wirtschaftsministers übernommen. Der formelle Minister ist mehr ein Finanzminister, und auch nicht ein “primus inter pares”, obwohl er bei den grundsätzlichen Entscheidungen mehr Gewicht als seine Kollegen hat, weil das Geld schließlich die letzte Wahrheit der Wirtschaftspolitik ist. Alberto Fernández ist kein Ökonom, sondern ein Jurist, und das prägt seine Vision der Probleme. Er ist auch ein erfahrener Politiker (wobei er in seinen fünf Jahren als Kabinettschef viel gelernt hat), mit einem peronistischen Hintergrund, was bedeutet, dass er auch die Wirtschaftspolitik politisch sieht. Er neigt daher zu Kompromissen, und das ist nicht ungefährlich. Wie weit er sich der Grenzen bewusst ist, innerhalb der er verhandeln und Lösungen suchen kann, ohne die Wirtschaftspolitik grundsätzlich zu gefährden, muss er noch zeigen. Ist er sich bewusst, dass er die Staatsausgaben senken muss und weiß er, was das konkret bedeutet? Ist er sich bewusst, dass die freie Lohnverhandlung, ohne Rahmenbedingungen, und ohne Vetorecht der Regierung, in einer steigenden Inflation ausartet? Ist er sich über die Hindernisse bewusst, die die bestehende Arbeitsgesetzgebung und die traditionelle Praxis der Arbeitspolitik für eine effektive Beschäftigungspolitik darstellen? Allgemein wird bezweifelt, dass er klare Gedanken über diese Themen hat. Und das ist nicht gut.

Zu den Problemen, die ohnehin schon bestehen, kommt bei dieser Regierung noch die Präsenz der Vizepräsidentin Cristina Kirchner hinzu. Sie beschränkt sich nicht auf die Ernennung ihrer Leute in wichtigen Posten, auch ihr soziales Ressentiment und ein gewisses Wunschdenken und ein grundsätzliches Unverständnis der Marktwirtschaft, all das kommt bei ihr immer wieder zum Vorschein. Doch der Amigo-Kapitalismus und die systematische Korruption, die ihr Gatte Néstor Kirchner eingeführt und sie weitergeführt hatte, kommen jetzt wohl nicht in Frage.

Jetzt muss Cristina sehen, wie sie mit den Prozessen fertig wird, die wegen Korruptionsaffären ihrer vergangenen Regierung gegen sie laufen. Die Beherrschung der Justiz, wie sie Néstor Kirchner übte, ist heute nicht mehr möglich, und auch Alberto Fernández kann ihr bei den Klagen, die gegen sie laufen, nicht helfen. Beiläufig sei bemerkt, dass diese Gerichtsverfahren, von denen einige weit fortgeschritten und mehrere wirklich böse sind, Cristina politisch schwächen und dabei Alberto Fernández stärken. Vorläufig macht sich weder die Regierung, noch die Opposition, noch die Öffentlichkeit allgemein, Gedanken darüber, was geschieht, wenn Cristina zu einer Haftstrafe (die sie nicht effektiv absitzt, weil sie ihr hohes Amt formell dagegen schützt) und eventuell zur Rückgabe des gestohlenen Geldes verurteilt wird, und dabei eventuell auch bestimmt wird, dass sie kein öffentliches Amt bekleiden darf. Ist so etwas unmöglich? Gewiss nicht.

Der größte Erfolg der Macri-Regierung besteht im Fortschritt bei der Festigung der republikanischen Werte, also unabhängige Justiz, Pressefreiheit und Beschränkung der Regierungsmacht. Man sollte nicht vergessen, dass Macri mitten in einer tiefen Krise fast 41% der Stimmen erhielt, und einige Tage vor dem Ende seiner Regierungsperiode vor einer gesteckt vollen Plaza de Mayo sprach, und die Opposition jetzt eine viel bedeutendere parlamentarische Vertretung hat, als 2015. Während die Kirchners von 2003 bis 2015 die Opposition ignorieren konnten, muss Alberto Fernández sie jetzt als Verhandlungspartner in die Regierungstätigkeit aufnehmen.

Zurück zur Regierungstätigkeit von Alberto Fernández. Die Maßnahmen, die bisher ergriffen wurden, haben weitgehend Notcharakter, sie enthalten auch Widersprüche und sind weitgehend politisch bedingt. Die doppelte Entschädigung bei Entlassungen, die jetzt für 180 Tage verfügt wurde, ist ein schlechtes Signal und wirkt im Grunde gegen die Beschäftigung, weil sich die Unternehmer dabei zwei Mal überlegen, wenn es um Neueinstellungen geht. Auch wenn die Maßnahme nicht für diese gilt, weiß man in Argentinien, dass dies jederzeit geändert werden kann. Außerdem hat die Regierung dabei ein Problem bei den 40 führenden Beamten von Aerolíneas Argentinas geschaffen, die jetzt entlassen wurden. Fernández sollte sich die Konsequenzen von Maßnahmen, die er aus politischen Gründen trifft, genau überlegen. Sein politischer Spielraum ist eben durch die wirtschaftlichen Realitäten begrenzt.

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