Von Juan E. Alemann
In der Vorwoche organisierte Kabinettschef Santiago Cafiero eine Konferenz der Minister,und Staatssekretäre, die im wirtschaftlichen Bereich tätig sind, und auch den ZB-Präsidenten, um über ein wirtschaftspolitisches Programm bis zu den Oktoberwahlen zu beraten. Anwesend waren Produktionsminister Matías Kulfas, die Staatssekretärin im Amt des Kabinettschefs Cecilia Todesca, die Staatssekretärin für Binnenhandel Paula Español, ZB-Präsident Miguel Angel Pesce und vielleicht noch andere. Auch Wirtschaftsminister Martín Guzmán machte per Zoom aus Madrid mit, und war angeblich drei Stunden am Schirm. Die Liste entnehmen wir dem Bericht, den der stets gut informierte Journalist Marcelo Bonelli in der Zeitung “Clarín” aufgeführt hat. Es geht grundsätzlich darum, zu verhindern, dass die Inflation weiter hoch bleibt.
Journalisten u.a. sprachen, als sie von dieser Beratung erfuhren, sofort von einem Herbstplan, in Anlehnung an den Frühlingsplan, den Wirtschaftsminister Juan Vital Sourrouille 1987 in Gang setzte, der am Anfang erfolgreich war, mit einer notorischen Senkung der Inflationsrate, dann aber von Präsident Raúl Alfonsín zerstört wurde, als er dem damals mächtigsten Gewerkschaftsführer Lorenzo Miguel eine Lohnerhöhung von 35% für die Metallarbeiter zugestand, die sein Minister vorher kategorisch abgelehnt hatte. Diese Zulage wurde dann zur Richtlinie für andere Arbeitsverträge. Die Inflation sprang sofort in die Höhe. Auch jetzt hängt ein Plan dieser Art grundsätzlich von der Lohnpolitik ab, die jedoch bei dieser Konferenz nicht behandelt wurde. Es fällt auf, dass Arbeitsminister Claudio Moroni nicht dabei war. Warum wollen die Wirtschaftler der Regierung, und auch andere, nicht offen über die Lohnproblematik, die Art der Lohnverhandlungen, die Beschäftigungspolitik und die wilden Streiks (und das Streikrecht allgemein) sprechen? Sind sie feige, oder begreifen sie das Thema nicht?
Erfolgreiche Stabilisierungspläne waren in Argentinien immer von einer harten Lohnpolitik begleitet. So war es 1952, als unter Perón die Löhne für zwei Jahre eingefroren wurden und die Inflationsrate dann schrittweise von über 40% auf unter 2% jährlich zurückging. Auch unter Onganía ging die Inflation stark zurück, als die Löhne 1967 eingefroren wurden, wobei dies nur halbwegs eingehalten wurde und der Erfolg deshalb beschränkt war. Und unter Menem wurde dies durch Druck auf die Gewerkschaften und Drohung, ihnen die Sozialwerke zu entziehen, erreicht. Sonst wäre die zehnjährige Konvertibilität, mit festem Wechselkurs (eins zu eins zum Dollar) und einer sehr geringen Zunahme der Internen Preise, nicht möglich gewesen.
Beim Gespräch gab es gegenseitige Vorwürfe. Dabei wurde auch die Schuldfrage für bestimmte unangenehme Erscheinungen aufgestellt, wie die Preiszunahme von 4,8% im März und das Versagen der Politik der gepflegten Preise und der Höchstpreise. Doch konkret kam sehr wenig dabei heraus. Schließlich gab es auch Kritik an den Unternehmern und den unabhängigen Ökonomen, die angeblich mit ihren zu hohen Inflationserwartungen und ihren Weltuntergangsprophezeiungen die Überwindung der kritische Lage erschweren. Im Grunde sind jedoch Unternehmer und Wirtschaftler noch viel zu wohlwollend mit dieser Regierung und ihrer Wirtschaftsführung.
Wirtschaftsanalysten schlossen aus dieser Konferenz, die kaum ein konkretes Ergebnis aufwies, dass eben ein Wirtschaftsminister fehle, der das letzte Wort spricht. Denn in der Tat entscheiden die Verantwortlichen für die einzelnen Bereiche unabhängig von den anderen, ohne Maßnahmen abzusprechen, die indirekt andere Bereiche betreffen. Guzmán wird dabei auch von den Regierungswirtschaftlern als ein Umschuldungsminister, aber nicht als ein echter Wirtschaftsminister angesehen. Diese Rolle hat faktisch Cristina Kirchner übernommen, die das letzte Wort in dieser Regierung hat. Es klingt wie ein Witz, dass eine Frau, die von Wirtschaft sehr wenig versteht, und außerdem von marxistischen Vorurteilen aus ihrer Studienzeit geprägt ist, allein über Wirtschaft entscheidet. Eventuell berät sie Kicillof, was auch keine Garantie für vernünftige Entscheidungen ist. Zudem schweigt Cristina jetzt, wie sie es schon während ihrer Amtszeit als Präsidentin getan hat, als explosive Probleme auftraten, wie der Brand in der Diskothek Cromagñón, der große Unfall am Bahnhof Once, und der Mord des Staatsanwalts Alberto Nisman. Sie schweigt jetzt schon zu lange. Denn vorher hatte sie gelegentliche Ansprachen genutzt, um ihre grundsätzliche Stellungnahme zu bestimmten Themen darzustellen, was dann für Präsident Alberto Fernández ein Wink mit dem Zaunpfahl war.
Der Herbstplan soll grundsätzlich aus vier wesentlichen Punkten bestehen:
Preiseinfrierung für 1000 Produkte des täglichen Haushaltskonsums.
Ein Abwertungsrhythmus auf dem offiziellen Devisenmarkt, der unter der internen Inflation liegt. Das ist schon seit Januar der Fall.
Eine Verringerung des primären Defizites der Finanzen des Bundesstaates, was jedoch vorwiegend durch höhere Steuereinnahmen erreicht werden soll, die im Zusammenhang mit den höheren Soja- und Maispreisen in Form von viel höheren Exporten, höheren Staatseinnahmen aus Exportzöllen und auch höheren Einnahmen bei der Gewinnsteuer u.a. Steuern zum Ausdruck kommt. Die Tarife öffentlicher Dienste bleiben, mit minimalen Ausnahmen, eingefroren.
Die Geldschöpfung soll in Grenzen gehalten werden. Doch das bedeutet, dass es für pandemiebedingte Sozialausgaben dieses Jahr nicht entfernt so viel Geld geben wird, wie 2020. Was bei einer Entwicklung der Krankheit, wie sie jetzt vorweggenommen wird, ein Problem darstellt.
Aus dem, was über die Gespräche verlautet, die Guzmán in Europa mit Regierungsvertretern des finanziellen Bereiches u.a. unterhielt, kann man entnehmen, dass er die Notwendigkeit eines unmittelbaren Abkommen mit dem Internationalen Währungsfonds begriffen hat, und sich bewusst ist, dass man nicht bis nach Oktober warten kann. Ohne dies bleibt alles andere in der Luft, und es besteht die Gefahr, dass es zu einem neuen Default kommt, offen oder als faktischer Zustand. Das dürfte Guzmán bei dieser Konferenz erklärt haben. Doch die Entscheidung hängt von Cristina ab, es sei denn Präsident Fernández sagt basta und entscheidet.
In diesen Sinn ist auch die Sorge hinzugekommen, dass die günstige Lage auf dem Devisenmarkt gegen Juli aufhört, weil die Landwirte dann schon genug exportiert haben, um ihren Finanzbedarf zu decken, und es vorziehen, ihre Bestände zu behalten, und die neuen Ernten, die ab Juli beginnen, zu lagern, in Erwartung einer Abwertung, die ihnen höhere Pesopreise verspricht. Die Tatsache, dass die ZB geringe verfügbare Reserven hat, die nicht ausreichen, um ein relativ hohes Defizit der Zahlungsbilanz auszugleichen, macht die Lage noch bedenklicher. In Unternehmerkreisen ist dieses Thema auch aufgekommen und intensiv besprochen worden. Im September verfällt eine Quote von u$s 2,4 Mrd. gegenüber dem Pariser Klub, zwischen Mai und Juni verfallen Zinsen an den IWF für u$s 692 Mio., im August verfällt eine Amortisationsquote des Fondskredites für u$s 3,73 Mrd., und im Dezember müssen u$s 100 Mio., an Inhaber von Staatspapieren gezahlt werden. Alles zusammen macht u$s 6,93 Mrd. aus. Ohne IWF besteht somit die Gefahr, dass Argentinien bald in Default gerät.
Es besteht kein Zweifel, dass die Verhandlungen mit dem IWF sofort eingeleitet werden müssen, und dabei die Forderung, dass dieser die Umschuldung auf 20 Jahre ausdehnt, ad acta gelegt werden muss. Denn der Fonds kann höchstens 10 Jahre gewähren, im Rahmen eines Programms, das als “extended facilities” benannt wird. Der Fond ist nicht für langfristige Kredite gedacht, und verfügt auch nicht über die notwendigen Mittel für diesen Zweck. Die jetzt beschlossene Erweiterung der Ziehrechte, von der auch Argentinien profitiert, ist alles was er tun kann. Der Fonds fordert auch, als conditio sine que non, eine Erhöhung der Tarife öffentlicher Dienste, und auch das will Cristina nicht haben. Der Stromtarif deckt gegenwärtig um die 20% der Kosten, müsste also auf alle Fälle um über 50% steigen, und eigentlich noch viel mehr. Auch andere Sparmaßnahmen gehen Cristina gegen den Strich. Sie ist überzeugt, dass sie mit Maßnahmen dieser Art die Wahlen verliert, und dann ist ihr Schicksal bei ihren Prozessen besiegelt, weil sie noch weniger Deputierte auf ihrer Seite haben würde. Wie weit ihr Guzmán erklärt hat, dass sie mit der tiefen Krise, die ohne ein Abkommen mit dem Fonds bevorsteht, die Wahlen auch verlieren wird, sei dahingestellt. Guzmán müsste sie zumindest überzeugen, dass es mit Fondsabkommen eine konjunkturelle Besserung geben sollte.
Die große Welt ist Argentinien wohlgesinnt. Sie will gewiss nicht, dass die Wirtschaft zusammenbricht, sondern sie hofft, auch in ihrem eigenen Interesse, auf eine Überwindung der kritischen Finanzlage und eine normale Weiterentwicklung, bei der auch ihre Lieferanten von Maschinen, Anlagen u.a. Produkten gute Geschäfte machen können. Dabei benötigen Kapitalgüterexporte auch Kredite, sofern es sich nicht um direkte Investitionen handelt. Diese Kredite erfordern Regierungsgarantien, die nur gewährt werden können, wenn das Problem mit der bestehenden Staatsschuld gegenüber dem Pariser Klub geregelt ist. Wenn man davon ausgeht, dass die Vereinigten Staaten, die EU-Staaten u.a. Argentinien helfen wollen, muss man dies zu nutzen wissen, und auch zeigen, dass man die internationalen Regeln einhält, die Rechtsordnung strikt beachtet und Schikanen vermeidet. Nur mit neuen Krediten, unabhängig davon ob sie für den öffentlichen oder privaten Bereich bestimmt sind, geht die Rechnung mit der Zahlungsbilanz bei Abzahlung der bestehenden Schuld in bis zu 10 Jahren auf. Das wissen die Gläubiger auch.
Auch muss Argentinien bezüglich der internationalen Politik klar Stellung nehmen, und Venezuela, Kuba und Nicaragua bei Seite lassen, also auch aus der Puebla-Gruppe austreten. Es ist einfach unverantwortlich, ideologische Vorstellungen aus vergangenen Zeiten der Realität der zivilisierten Welt voranzustellen. Auch das muss Cristina noch begreifen. So unglaublich es klingt, Cristina hat jetzt das Schicksal Argentiniens in der Hand.
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