Von Juan E. Alemann
Ende März 1991 unterzeichneten die Präsidenten von Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay in Asunción das Abkommen über die Schaffung eines gemeinsamen Marktes in diesen vier Ländern, der Mercosur benannt wurde. Das wurde dann kurz danach in Ouro Preto, Brasilien, vervollständigt.
Ein gemeinsamer Markt bedeutet, dass die vier Länder als wirtschaftliche Einheit funktionieren, ohne Zölle beim interregionalen Handel, und mit einem gemeinsamen Zollsatz gegenüber Drittländern. In einer Freihandelszone wird die Befreiung von Zöllen oder deren Verringerung für einzelne Produkte ausgehandelt, und jedes Land bestimmt weiter den Zollsatz gegenüber Drittländern. Das ist viel weniger konfliktiv als ein gemeinsamer Markt.
In der Tat war der Mercosur ein gemeinsamer Markt mit Ausnahmen. Für die Fahrzeugindustrie wurde das damals schon bestehende System des kompensierten Austausches beibehalten und ausgebaut, so dass der zollfreie Handel sich nur auf die Automobile, Pick-ups und Lastwagen bezog, bei denen sich für jede Firma der Import und Export die Waage hielten, wobei eine bestimmte Abweichung geduldet wurde. Es war ein System, das den Firmen mit Fabriken in Argentinien und Brasilien erlaubt hat, diese zu spezialisieren und dabei Kostenersparnisse zu erreichen. Das Sonderabkommen über dies ist schon lange abgelaufen, und Brasilien besteht auf freiem Kfz-Handel, dem Argentinien nicht zustimmt, weil dann die argentinische Produktion schrumpfen würde, weil die brasilianischen Fabriken billiger produzieren. Eine neue Regelung für diesen Bereich steht noch aus und sollte jetzt zur Diskussion gestellt werden. Wahrscheinlich wird man nicht umhin kommen, das Prinzip des kompensierten Handels beizubehalten. Aber das sollte dem neuen Abkommen formell einverleibt werden, damit die betroffenen Firmen wissen, an was sie sich zu halten haben.
Ebenfalls wurde Zucker ausgeschlossen, weil die Produktion von Brasilien mehr als zehn Mal so groß wie die argentinische ist und viel niedrigere Kosten hat, wobei auch das Spaltprodukt Alkohol subventioniert wird. Mit freiem Handel würde die argentinische Zuckerproduktion stark schrumpfen, eventuell sogar verschwinden, was den Provinzen Tucumán, Salta und Jujuy einen schweren Schaden zufügen würde. Es ist irreal, anzunehmen, das so etwas politisch geduldet würde.
Es gab auch andere Hemmungen des freien Handels, so für Schuhe und bestimmte Textilien, bei denen sich die brasilianischen Fabrikanten verpflichteten, Kontingente einzuhalten. Gelegentlich gab es auch Beschränkungen für argentinische Reislieferungen, wobei vereinbart wurde, dass der argentinische Reis erst geliefert wird, wenn die brasilianische Reisernte verkauft worden ist. Schließlich verblieben unterschiedliche Zölle gegenüber Drittländern. Brasilien hat eine bedeutende Industrie von Maschinen und Anlagen, die geschützt wird, während Argentinien diese Güter kaum produziert und daher liberaler bei Importen aus Drittländern ist.
Ende März treffen sich die Präsidenten der Mercosur-Staaten in Buenos Aires, nachdem der Vorsitz jetzt auf den argentinischen Präsidenten entfällt. Eigentlich sollte das Treffen in Foz de Iguazú stattfinden, doch Bolsonaro hat dem argentinischen Wunsch stattgegeben, sich in Buenos Aires mit Alberto Fernández und den anderen zwei Präsidenten zu treffen. Das hat auch politisch eine andere Bedeutung, nämlich die einer Annäherung in grundsätzlichen Stellungnahmen.
Bei dieser Konferenz muss zunächst das Thema des Beitritts von Bolivien behandelt werden, das bisher mit einem Freihandelsabkommen mit dem Mercosur verbunden ist. Argentinien befürwortet die volle Aufnahme, und für Brasilien dürfte dies kein Problem darstellen. Chile hingegen verbleibt als Freihandelspartner. Venezuela war zur Zeit von Cristina Kirchner und Dilma Rouseff auch mit dem Mercosur verbunden, was unter den Regierungen von Macri und Temer rückgängig gemacht wurde.
Der Mercosur war in seiner ersten Etappe sehr erfolgreich. In zehn Jahren vervierfachte sich der Warenhandel zwischen den vier Staaten. Im zweiten Jahrzehnt nahm der Handel unter den Mercosurstaaten weiter zu, aber weniger. Dabei wurde ein System für die Lösung von Konflikten eingeführt, so dass diese nicht zu totalen Hemmungen für einzelne Bereiche ausarteten. Und damals wurden auch die Grundlagen für ein gemeinsames Parlament, das Parlasur, gelegt, und ein Fonds für die Förderung zurückgebliebener Gebiete geschaffen, der jedoch nie in Gang gesetzt wurde. Doch im letzten Jahrzehnt trat eine Stagnation des interregionalen Handels ein, wobei die einzelnen Staaten auch Maßnahmen ergriffen, die eigentlich in die Kompetenz der Mercosur-Behörde fielen. Das Auftreten von China als großer Handelspartner von Argentinien und Brasilien hat die relative Bedeutung des interregionalen Handels beschränkt.
Bei der Zusammenkunft anlässlich des 30-jährigen Bestehens des Mercosur sollte das grundsätzliche Problem behandelt werden, dass bis heute kein effektiver gemeinsamer Markt besteht. Entweder der Mercosur wird in eine Freihandelszone umgewandelt, oder er wird zu einem unvollständigen gemeinsamen Markt erklärt, in dem es zahlreiche Ausnahmen gibt.
In der grundsätzlichen Frage des Zollsatzes gegenüber Drittländern will Brasilien angeblich eine allgemeine Senkung (eventuell eine Halbierung), während Argentinien die bestehenden Zollsätze beibehalten und in einigen Fällen eventuell erhöhen will. Abgesehen davon stellt die strenge Devisenbewirtschaftung, die Argentinien unter der Fernández-Regierung zunehmend eingeführt hat, ein Problem, umso mehr als sie auch Importe aus Mercosur-Staaten betrifft, die faktisch beschränkt werden, einmal vom Produktionsministerium und dann von der ZB, die nur beschränkte Zahlungen erlaubt. Argentinien ist wegen seiner schwierigen Zahlungsbilanzlage gezwungen, Importe und Überweisungen ins Ausland allgemein zu beschränken, und das sollte in die Mercosur-Regelung aufgenommen werden. Um die volle Legalität der Mercosur-Regelung zu bewahren, muss diese flexibler gestaltet werden. Sonst platzt schließlich das ganze System.
Der Mercosur schreitet seit einiger Zeit bei Freihandelsabkommen mit Drittländern voran. Ein Abkommen mit der EU wurde schon abgeschlossen, muss jedoch von den Parlamenten der einzelnen Staaten beider Seiten ratifiziert werden. Doch der Widerstand in Frankreich, Österreich u.a. EU-Staaten ist so groß, dass kaum mit einer Bestätigung gerechnet werden kann, zumindest nicht in diesem und dem nächsten Jahr. Auch in Argentinien und Brasilien stößt die parlamentarische Genehmigung auf Widerstand, wobei das Abkommen ohnehin unvereinbar mit der in Argentinien bestehenden Devisenbewirtschaftung ist.
Bei den Freihandelsabkommen des Mercosur, von denen mehrere in Aussicht stehen, kommt die grundsätzliche protektionistische Haltung Argentiniens zum Vorschein, die Uruguay und Paraguay von vornherein nicht teilen, weil diese Länder kaum Industrien haben, die Schutz bedürfen. Brasilien hatte früher auch ein protektionistische Einstellung, die Bolsonaro jedoch aufgegeben hat. Somit sollen diese drei Partner jetzt angeblich vorschlagen, dass Freihandelsabkommen von den einzelnen Staaten und nicht nur vom Mercosur abgeschlossen werden können. Das schafft jedoch Probleme im Mercosur, da dann bestimmte Produkte in Brasilien, Uruguay und Paraguay zollfrei importiert werden können, die Teile von Produkten sind, die in diesen Ländern erzeugt (oder montiert) werden, und dann zollfrei nach Argentinien exportiert werden können.
Die einzelnen Themen, über die verhandelt werden muss, sind technisch sehr komplex, sodass sie in der bevorstehenden Konferenz nicht gelöst werden können. Aber es sollten grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden, die dann zu Verhandlungen unter Fachleuten über die einzelnen Themen führen. Wenn der Mercosur erhalten bleiben soll, weil er im Kern eine positive Wirkung hat, dann muss er eben eine flexiblere Regelung haben, die Einzelprobleme berücksichtigt.
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