Denkwürdige Partien mit Maradona: Von Meppen bis Mexiko
Von Marcus Christoph
Buenos Aires (AT) - Der Tod Diego Maradonas am 25. November vorigen Jahres hat weltweit Trauer und Anteilnahme ausgelöst. Die Erinnerung an den argentinischen Fußball-Genius sind mannigfaltig. Das Viertelfinale der WM 1986 gegen England ist durch den Treffer mit der „Hand Gottes“ und dem nur wenige Minuten erfolgten Jahrhunderttor mit einem unnachahmlichen Solo fast über das ganze Spielfeld jedem Fußballfan sofort vor Augen.
Doch es waren auch immer wieder Partien gegen deutsche Mannschaften, die die Karriere Maradonas beeinflussten. So feierte „El Diez“ durch das Finalspiel 1986 bei der WM in Mexiko gegen die DFB-Elf seinen größten Erfolg. Es gab aber auch bittere Niederlagen wie vier Jahre später im Endspiel gegen das Team von Franz Beckenbauer.20 Jahre später beendete eine deftige 0:4-Niederlage im WM-Viertelfinale gegen Deutschland die Karriere Maradonas als Trainer der argentinischen Nationalmannschaft.
Doch der Reihe nach: Am Anfang steht die Partie am Neujahrstag 1981 bei der Mini-WM in Montevideo. Uruguay hatte zum 50-jährigen Jubiläum der Weltmeisterschaften die ehemaligen Titelträger eingeladen. Deutschland und Argentinien trafen im ersten Gruppenspiel aufeinander. Die Gäste aus Europa spielten gut und führten bis zur 85. Minute durch ein Kopfballtor von Horst Hrubesch mit 1:0, ehe ein Eigentor von Manni Kaltz die Wende einleitete. Drei Minuten später fand ein Pass des 20-jährigen Maradona Ramón Díaz, der den Siegtreffer für Argentinien markierte. Der Spielverlauf war auf dem Kopf gestellt. Für die Deutschen riss damals die bis heute unerreichte Rekordserie von 23 Spielen ohne Niederlage - und Diego Maradona sammelte erstmals Erfahrungen mit robuster Zweikampfhärte.
DFB-Coach Jupp Derwall hatte den einstigen Zehnkämpfer Hans-Peter Briegel auf den 23 Zentimeter kleineren Wunderknaben aus Villa Fiorito angesetzt. Eine Aufgabe, die der Pfälzer konsequent löste: „Ich wollte mal antesten, was der so alles nimmt. Da habe ich ihn gleich mal fest zur Brust genommen“, wird Briegel auf der Homepage des DFB zitiert. Maradona sei sein erster Gegenspieler gewesen, der ihn während des ganzen Spiels weder angeguckt noch angeredet habe. Der Argentinier habe schlicht Angst vor ihm gehabt, berichtet Briegel, der auch „ die Walz aus der Pfalz“ genannt wurde.
Noch viele Jahre später, als Maradona für das venezolanische TV die WM 2014 kommentierte, sprach er von „deutschen Panzern“, wenn er über das DFB-Team sprach. Vielleicht rührt das martialische Bild von diesen frühen Erfahrungen her.
Schwer tat Maradona sich auch mit einem anderen Deutschen: Als er 1982 von Boca Juniors zum FC Barcelona wechselte, hatte er es dort zunächst mit Udo Lattek als Trainer zu tun. Doch die Chemie zwischen dem mitunter etwas grimmigen Ostpreußen und dem Ballkünstler aus Südamerika stimmte einfach nicht, wie der einstige Tageblatt-Redakteur Jörg Wolfrum in einer Reportage für das Fußballmagazin „kicker“ herausarbeitete: „Der 'Goldjunge' litt praktisch vom ersten Tag an unter dem strengen Reglement von Dompteur Lattek.“ Und Maradonas Mannschaftskamerad Bernd Schuster erinnerte sich wie folgt an das schwierige Verhältnis zwischen Trainer und Superstar: „Wie Tag und Nacht. Lattek, der immer geradeaus war und sein Ding durchzog, und Maradona, der alles sehr, sehr locker nahm.“ Und Lattek gab gegenüber dem „kicker“ zu Protokoll: „Mein einziges Problem war Maradona, der war hartes Arbeiten nicht gewohnt.“ Aus Sicht des deutschen Trainer sei es Maradonas Einfluss auf Barça-Präsident Josep Lluís Núñez zuzuschreiben gewesen, dass er bei den Katalanen gefeuert und durch den argentinischen Weltmeister-Coach César Luis Menotti ersetzt wurde.
Immerhin ergab sich während der gemeinsamen Zeit von Lattek und Maradona beim FC Barcelona der erste Auftritt des Superstars auf deutschem Boden - und das nicht etwa im Münchener Olympiastadion oder im Hamburger Volkspark, sondern an einem Ort, der in Deutschland als Inbegriff für Provinzfußball gilt: in Meppen. Barcelona war im Sommer 1982 im Trainingslager in Holland und suchte einen Testspielgegner. Der SV Meppen suchte nach einem attraktiven Gegner für sein 70. Vereinsjubiläum. UEFA Spielevermittler Günther Bachmann brachte die beiden Interessen zusammen. Als dann die Kunde von der Verpflichtung Maradonas die Runde machte, kannte die Euphorie im Emsland keine Grenzen.
Mehr als 20.000 Menschen strömten ins damalige Hindenburgstadion, um das Starensemble um den Lockenkopf aus Argentinien gegen den Oberligisten (damals drittklassig) zu sehen.
Meppens damaliger Trainer Hans-Dieter Schmidt erinnerte sich gegenüber dem NDR an den spektakulären Auftritt Maradonas: „Er musste von Polizisten aufs Spielfeld eskortiert werden, dann schnappte er sich einen Ball und fing an, zwischen Sechzehner und Mittellinie hin und her zu dribbeln. Fuß, Oberschenkel, Kopf, Nacken - alle möglichen Tricks. Innerhalb kürzester Zeit folgte ihm ein Schwarm aus gut 100 Fans. Immer wenn er wieder in die Gegenrichtung lief, bildete sich kurz eine Gasse. Maradona tänzelte hindurch, und anschließend hängte sich die Menschentraube wieder geschlossen an seine Fersen. Ein unglaubliches Bild.“
Nach 13 Minuten brachte Maradona die Katalanen per Handelfmeter mit 1:0 in Führung, was zugleich sein erster Treffer für seinen neuen Arbeitgeber war. Am Ende stand es 5:0 für die Favoriten von der Mittelmeerküste. Trainer Schmidt aß nach dem Spiel noch eine Bratwurst mit Maradona, der so eine erste Gelegenheit hatte, die deutsche kulinarische Stadion-Spezialität mit den Choripanes in argentinischen Fußballarenen zu vergleichen.
Da war Maradona volksnäher als Deutschlands einstiger Nationaltorwart Toni Schumacher. Dieser hatte einst nach einem Bundesliga-Abstieg mit Schalke 04 erklärt, nie in Meppen spielen zu wollen und prompt seinen Wechsel zu Fenerbahçe Istanbul angekündigt. Statt im Emsland begegneten sich die beiden Weltklassefußballer aber auf der ganz großen Fußballbühne: Beim WM-Finale 1986 vor 114.600 Zuschauern im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt.
Das Turnier in Mexiko erlebte den wohl besten Maradona aller Zeiten. Den beiden eingangs erwähnten Toren gegen England ließ er zwei weitere Geniestreiche im Halbfinale gegen die Belgier folgen. Im Endspiel setzten die Deutschen in der ersten Halbzeit Lothar Matthäus und nach dem Seitenwechsel Karlheinz Förster auf den Weltstar an. Dieser kam so nicht so zur Entfaltung. Doch ein einziger genialer Pass Maradonas, der in der 83. Minute den Siegtorschützen Jorge Burruchaga fand, genügte, die Partie mit 3:2 zugunsten der Argentinier zu entscheiden. Maradona war am Zenit seiner Karriere angekommen.
Lothar Matthäus hatte sich seine ersten internationalen Meriten übrigens auf einer Länderspiel-Reise der DFB-Mannschaft im März 1982 nach Südamerika erworben. Dort schaltete er bei den Spielen in Rio gegen Brasilien erst Zico und dann in Buenos Aires gegen Argentinien Maradona aus. Für den gerade 21 Jahre alt gewordenen Matthäus ein erstes Ausrufezeichen in seiner glanzvollen Länderspielkarriere. Im September 1984 trafen Matthäus und Maradona erneut aufeinander. Bei dem Freundschaftsspiel im Düsseldorfer Rheinstadion gewannen die „Gauchos“ mit 3:1 und verdarben so Franz Beckenbauer den Einstand als Teamchef der DFB-Elf.
Der spätere Rekord-Nationalspieler Matthäus und Maradona sollten sich später auch in Italien begegnen. Es entwickelte sich eine Freundschaft. Bei Matthäus' Abschiedsspiel im Jahr 2000 führte Maradona die Mannschaft des FC Bayern als Kapitän ins Olympiastadion.
Weniger glanzvoll als das Finale 1986 verlief für Maradona vier Jahre später das Endspiel der Weltmeisterschaft in Italien. Wieder hieß die Paarung BR Deutschland gegen Argentinien. Doch diesmal waren die Deutschen das dominierende Team des Turniers, während die Argentinier nur mit viel Glück ins Finale kamen. Die 90 Minuten von Rom dürften Maradona nicht nur wegen des Pfeifkonzerts - Argentinien hatte Gastgeber Italien im Halbfinale durch Elfmeterschießen eliminiert - in schlechter Erinnerung bleiben. Sondern auch, da er in dem Stuttgarter Guido Buchwald einen knallharten Bewacher fand, der ihn nicht zur Entfaltung kommen ließ. 'Handwerker gegen genialen Künstler' lautete die Schlagzeile zu diesem Duell, das der Erstgenannte deutlich für sich entschied. Deutschland war hoch überlegen. Schönheitsfehler des einseitigen Endspiels war, dass es durch einen unberechtigten Elfmeter entschieden wurde. Maradona weinte bitterlich nach dem Spiel. Die Silbermedaille war kein Trost für ihn.
20 Jahre später mag der Schmerz dann noch einmal ähnlich groß gewesen sein. Bei der WM 2010 war es wieder ein Spiel gegen Deutschland, das schicksalshaft für Maradona wirkte. Im Viertelfinale trafen die beiden großen Fußballnationen diesmal aufeinander. Die von der „Hand Gottes“ trainierte „Albiceleste“ um den jungen Superstar Lionel Messi hatte sich in der Vorrunde souverän mit Siegen gegen Nigeria, Südkorea und Griechenland mit Otto Rehhagel als Coach durchgesetzt. Im Achtelfinale hatten die Argentinier dann keine Mühe mit Mexiko, sodass ihnen auch gegen die Deutschen gute Chancen eingeräumt wurden.
Doch das Spiel wurde für Maradona & Co. zum Desaster. Bereits in der dritten Minute gingen die Adlerträger durch Thomas Müller, den Maradona wenige Wochen zuvor bei einem Testspiel in München noch für einen Balljungen hielt, in Führung. Lange Zeit war die Partie offen. Doch ein Doppelschlag von Miroslav Klose (68.) und Arne Friedrich (74,) brachte die Entscheidung für die DFB-Elf, die am Ende gar 4:0 gewann. Für Maradona war es ein Keulenschlag, aus dem er die Konsequenz zog und nach nur etwas mehr als einem Jahr seine Karriere als Nationaltrainer beendete.
Die meisten Tore in einem Länderspiel gelangen dem Spieler Maradona übrigens gegen Österreich. Bei einem Freundschaftsspiel im Wiener Praterstadion am 21. Mai 1980 steuerte der damals gerade 19-Jährige drei Treffer zum 5:1-Sieg seiner Farben bei.
Triumphe und bittere Niederlagen gab es für Maradona auch gegen deutsche Vereinsmannschaften. Seinen größten Erfolg im Vereinsfußball auf internationaler Ebene feierte er 1989, als er mit dem SSC Neapel den UEFA-Cup holte. Finalgegner war der VfB Stuttgart. Der Sieger wurde damals noch in Hin- und Rückspiel ermittelt. Beim ersten Aufeinandertreffen in Kampanien waren die Schwaben durch Maurizio Gaudino in Führung gegangen. Durch einen umstrittenen Handelfmeter besorgte Maradona den Ausgleich. Der Argentinier hatte dem Stuttgarter Günther Schäfer aus nächster Nähe an den Arm geschossen. Der griechische Referee Gerassimos Germanakos zeigte auf den Punkt. Maradona verwandelte gegen VfB-Keeper Eike Immel (68.). Kurz vor Schluss brachte Careca die Italiener mit dem 2:1 auf die Siegerstraße.
Beim Rückspiel in Stuttgart führten die Napolitaner schon mit 3:1, ehe die Gastgeber noch mit 3:3 ausgleichen konnten. Den Cup-Sieg für Maradona & Co. brachte dies aber nicht mehr in Gefahr, und der Weltstar konnte auf deutschem Boden die UEFA-Trophäe in die Hand nehmen.
Auf dem Weg dorthin hatte Maradona mit seinem Team bereits schon einmal in süddeutschen Gefilden gastiert. Im Halbfinale setzten sich die SSC-Kicker gegen den FC Bayern durch. Beim 2:0-Sieg im Hinspiel in Neapel sowie beim 2:2-Rückspiel im Münchener Olympiastadion war Maradona Vorbereiter aller Neapel-Tore. Im Mittelpunkt stand er in München bereits vor dem Anpfiff. Beim Aufwärmen legte er zu den Klängen von Opus' „Life is life“ eine Show des Balljonglierens hin, die alleine wohl schon das Eintrittsgeld wert gewesen ist.
Der Gesamtauftritt beeindruckte Bayern-Manager Uli Hoeneß so sehr, dass dieser den Argentinier verpflichten wollte. „Maradona in München - das war mein Traum“, verriet Hoeneß der Bild-Zeitung. Verhandlungen gab es: „Wir waren schon ziemlich weit und wären finanziell fast an verrückte Dinge rangegangen.“ Doch der Deal kam letztlich nicht zustande. So sollte der zuvor erwähnte Einsatz Maradonas bei Matthäus' Abschiedsspiel sein einziger Auftritt im Bayern-Dress sein.
Weniger gut lief es für Maradona einige Monate später beim SV Werder Bremen. An einem nasskalten Dezemberabend im Weserstadion kam die Startruppe aus Neapel im Rückspiel des UEFA-Cup-Achtelfinals mit sage und schreibe 1:5 unter die Räder. Schon das Hinspiel hatten die Norddeutschen überraschend mit 3:2 gewonnen. Als Sonderbewacher hatte der Bremer Coach Otto Rehhagel den knallharten Verteidiger Uli Borowka auf Maradona angesetzt, der diesen auf Schritt und Tritt bewachte. Borowka hat übrigens gegen den Argentinier eine makellose Bilanz. Schon bei seinem ersten Länderspiel 1988 in Berlin feierte er einen 1:0-Erfolg gegen Maradonas Albiceleste. So gelangen Borowka in drei Spielen drei Siege gegen den seinerzeit besten Fußballer der Welt.
Gegenüber der Oldenburger „Nordwest Zeitung“ berichtete Borowka eine Anekdote vor dem Hinspiel in Neapel: "Als wir nach dem Aufwärmen in die Kabine zurückgingen, sah ich etwas Seltsames: Maradona und der Brasilianer Alemão spielten in den Katakomben des Stadions, wo die Autos der Spieler standen, über einige Wagen hinweg Fußballtennis." Er sei zu Maradona gegangen, berichtet Borowka, und habe als Geschenk dessen Aufwärmshirt erhalten. Beide Spieler verband indes auch ein Suchtproblem: „Ich habe es geschafft und bin davon weggekommen. Bei Maradona war das wohl nicht der Fall“, sagte Borowka, der mit Alkoholproblemen zu kämpfen hatte.
Wiederfinden dürften sich wohl alle deutsche Spieler, die gegen Maradona antraten, in der Einschätzung von Karl-Heinz Rummenigge. Der einstige Weltklassestürmer vom FC Bayern und Inter Mailand formulierte anlässlich Maradonas Tod: "Ich hatte die Ehre, gegen ihn spielen zu dürfen: drei Jahre in der Serie A und mit der deutschen Nationalelf im WM-Finale 1986. Ich bin stolz, ihn auf dem Platz erlebt haben zu dürfen." Worte zum Weinen schön.
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