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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die Wirtschaft im Schatten einer düsteren Zukunft

Von Juan E. Alemann

Die Wirtschaftswelt ist sich der komplexen Probleme bewusst, die auf die argentinische Wirtschaft zukommen, die wir letzte Woche aufgeführt haben. Und die Gesellschaft im Allgemeinen spürt auch, dass ein schlechtes Ende bevorsteht. Präsident Alberto Fernández sollte es auch wissen, will es aber nicht so ganz wahrhaben. Und Wirtschaftsminister Martín Guzmán bemüht sich, die Probleme vor sich hinzuschieben, und den Zeitpunkt der Explosion schließlich auf die nächste Regierung zu verlagern. Cristina ist sich der Lage bestimmt auch bewusst. Aber sie spielt mit dem Gedanken, es auf einen Default mit dem Fonds u.a. ausländischen Gläubigern ankommen zu lassen, und bei den lokalen Gläubigern des Staates, wie die Banken, die Leliq u.a. Titel besitzen, die die ZB ausgegeben hat, einen Bonex-Plan einzuführen, also eine Zwangsumwandlung in Dollartiteln, die niedrig verzinst und langfristig gezahlt werden. Cristina spricht über wirtschaftliche Themen mit Gouverneur Axel Kicillof, aber gelegentlich auch mit anderen Ökonomen, angeblich auch mit ihrem ehemaligen ZB-Präsidenten Martín Redrado. Dass sie sich in der Öffentlichkeit nur kritisch gegenüber dem Präsidenten und besonders in Bezug auf Wirtschaftsminister Guzmán zeigt, gehört in das Kapitel der Politik. Sie ist eine intelligente Frau, mit politischer Intuition, die nicht preisgibt, was sie wirklich denkt. Wobei sie auf dem Gebiet der Wirtschaft auch unklare Vorstellungen und viele Vorurteile aus ihrer Studentenzeit hat, die immer wieder auftauchen, ganz besonders bei der Außenpolitik der Regierung. Im Grunde interessieren Cristina ihre Prozesse mehr als alles andere, und das wirkt störend auf die Regierungstätigkeit.

Die Bevölkerung zeigt in dieser eigenartigen Konjunktur ein unterschiedliches Verhalten. Die meisten Menschen leben in den Tag hinein, sind meistens eher pessimistisch über die Zukunft, aber machen sich keine weitere Gedanken. Auf der einen Seite erlebt der Tourismus einen besonders starke Aufschwung, der im langen letzten Wochenende mit 4,4 Mio. Touristen, die $ 55 Mrd. ausgegeben haben, mit vollen Hotels in den Tourismusorten, zum Ausdruck gekommen ist. Die Skiorte weisen schon anormal hohe Reservierungen aus, was durch den guten Schnee begünstigt wird. Ebenfalls sind die Veranstaltungen, mit Sängern u.dgl. sehr gut besucht. Irgendwie handelt es sich um eine Revanche für die Pandemieperiode, in der die Menschen zu Hause bleiben mussten. Das Tourismusministerium weist auch darauf hin, dass die Subventionierung von Ferienreisen eine große Wirkung gehabt hat, die der Tourismusindustrie erlaubt, sich rasch von der Krise zu erholen. Aber es ist an erster Stelle eigenes Geld ausgegeben worden.

Doch auf der anderen Seite weist der Konsum der Haushalte zunehmende Zeichen einer schwachen Konjunktur auf. Bei dauerhaften Gütern wird der Konsum nur durch das Kreditsystem “Ahora12” aufrecht erhalten, das eine Zinssubvention beinhaltet. Die Consulting Firma Scentia hat ermittelt, dass der Mengenumsatz in Supermärkten und Selbstbedienungsläden in der Bundeshauptstadt und Umgebung (AMBA-Gegend) im Mai 2022 um 5% unter dem gleichen Vorjahresmonat lag. Bei den kleinen Geschäften, die ein lokales Publikum bedienen, ergab sich in Groß-Buenos Aires ein interannueller Rückgang von 10%, während im Rest des Landes eine Zunahme von 8% einsetzte. Wie weit dies mit der guten Konjunktur der Landwirtschaft zusammenhängt, die von der internationalen Hausse von Getreide und Ölsaat profitiert, sei dahingestellt. All dies zeigt eine sehr differenzierte Konjunktur.

Die argentinische Bevölkerung hat sich schon gewöhnt, abseits von der Politik und den Problemen des Staates zu leben. Das kommt auch in der stark gestiegenen Schwarzwirtschaft zum Ausdruck, die angeblich um die 40% der gesamten Wirtschaftsleistung umfasst, die abseits vom Staat gedeiht und für die Beschäftigung sorgt, die das legale System nicht bietet. Theoretisch sollte die Schwarzwirtschaft verfolgt werden. Doch in der Praxis wird sie geduldet, weil es sonst noch mehr Arbeitslose geben und das soziale Problem noch viel akuter sein würde. Die Regierung weiß auch in diesen Fall nicht, wie sie an das Problem herangehen soll, das auf Dauer einen unhaltbaren Zustand darstellt. Viele denken, dass dieses Thema erst in Angriff genommen werden kann, wenn die Wirtschaft sich voll erholt hat und ein dauerhaftes Wachstum aufweist. Doch wenn es jetzt zu einem Konjunktureinbruch kommt, dann wird die Schwarzwirtschaft wohl weiter zunehmen.

Abgesehen von der abflachenden Konjunktur, die schon eingetreten ist, und droht, sich zu vertiefen, besteht das Problem der hohen und zunehmenden Inflation, die die Regierung nicht bekämpft, sei es, weil sie die politischen Kosten nicht tragen will, die dabei entstehen, oder weil sie einfach nicht weiß, was sie zu tun hat. Um die effektive Senkung des Defizites der Staatsfinanzen ist es schlecht bestellt. Statt Ausgaben abzuschaffen oder Ausgabenposten zu verringern, werden ununterbrochen neue Ausgaben geschaffen. Das unlängst geschaffene Frauenministerium, bei dem man nicht weiß, wozu es nützlich sein soll, hat eine absurde und stark aufgeblähte Struktur, die sofort mit über tausend Menschen besetzt wurde, die effektiv kaum etwas zu tun haben. Da es immer schwieriger wird, das Defizit mit Neuverschuldung zu decken (es fällt sogar immer schwerer, die bestehende Staatsschuld zu erneuern), muss zu zunehmender Geldschöpfung gegriffen werden. Die mit dem IWF vereinbarte Grenze wird bald nicht mehr eingehalten werden können.

Doch abgesehen davon versteht diese Regierung auch das Kostenproblem nicht, das die Inflation in die Höhe treibt. Präsident Fernández beteuert immer wieder, dass er bestrebt sei, den Reallohn zu erhalten. Das gelingt ihm zwar nicht, aber mit dieser These treibt er die Inflation in die Höhe, weil er den Gewerkschaften bei ihren Forderungen keine Grenzen setzt. Die Zulagen liegen dieses Jahr schon bei 60%, zu denen dann noch, bevor die 12 Monate des Arbeitsvertrages abgelaufen sind, ein Zusatz in Aussicht gestellt wurde. In einigen Fällen liegen die Erhöhungen noch viel höher. Bei der Reifenindustrie, die eine kommunistische Gewerkschaft hat (die viel schlimmer als die peronistischen ist), wurde mehrmals gestreikt, um eine Lohnforderung durchzusetzen, obwohl die Löhne in dieser Industrie schon weit über denen anderer Industriebranchen liegen, und im Vergleich zu vielen anderen Branchen mehr als doppelt so hoch sind, was in sehr teuren Reifen zum Ausdruck kommt, die trotzdem verkauft werden, weil es keinen Reifenimport gibt. Und bei den Lastwagenfahrern liegt die Zulage schon über 80%, obwohl sie auch viel mehr verdienen, als andere Arbeiter. Die Lohnverhandlungen müssen anders gestaltet werden, mit Grenzen, die der Staat festsetzt oder einem staatlichen Vertreter bei den paritätischen Verhandlungen, der sich Erhöhungen widersetzt, die auf die Preise abgewälzt werden, und dabei Vetorecht hat. Die Regierung, auch die Opposition und private Ökonomen sind weit entfernt von diesen Vorschlag. Muss es zur Hyperinflation kommen, bis die Lohnproblematik verstanden wird?

In den Vereinigten Staaten fällt es den Belegschaften der Unternehmen nicht ein, eine Lohnerhöhung zu fordern, weil die Preise ein einem Jahr um 8,6% gestiegen sind. Das führt dazu, dass sich die Preiserhöhungen bei Brennstoffen, Getreide und Ölsaaten, Frachten und andere nicht in einem Inflationsprozess ausarten. Die Inflation dürfte in den USA in einigen Monaten wieder auf die Normalität zurückgehen, wie es 1980/81 schon der Fall war, nachdem sie 10% jährlich erreicht hatte. Beiläufig sei bemerkt: in den USA ist die Gewerkschaften allgemein schwach, aber der Reallohn ist schließlich hoch. Sagt uns das nichts?

Bei der Haltung der Regierung ist eine weitere Zunahme der jährlichen Inflationsrate zu erwarten. Jetzt sind es 60%, und private Wirtschaftler rechnen, dass es bis Jahresende mindestens 80% sein werden, eventuell auch 100% und mehr. Der Sprung zur Hyperinflation wird dann immer kürzer,

Die Frage, die man sich jetzt immer öfter stellt ist die, ob bis zum Dezember 2023 gewartet werden kann, um dann ein seriöses Programm in Angriff zu nehmen, auf das sich die Opposition schon vorbereitet. Carlos Melconian arbeitet in der Stiftung Fundación Mediterránea, die er seit einigen Monaten leitet, schon in diesen Sinn. Und auch andere Wirtschaftler machen sich Gedanken darüber. Aber: hält die Gesellschaft eine so lange Zeit aus, in der alles drunter und drüber geht und es faktisch keine echte Regierung gibt, die die Probleme in Angriff nimmt, die auf sie zukommen? Die Möglichkeit, dass Alberto Fernández zurücktritt, wird abgelehnt, weil dann Cristina die Präsidentschaft übernähme, was noch schlimmer wäre. Es müssten beide zurücktreten, und dann kann der Kongress in einer Sitzung von beiden Kammern zusammen einen Präsidenten wählen, unter denjenigen, die jetzt Gouverneure, Senatoren und Deputierten sind, der Dezember 2023 das Amt ausübt. Ein Präsident, der sich als Übergangspräsident empfindet und nicht an den Wahlen von 2023 teilnimmt, hat dann mehr Spielraum, um hart durchzugreifen. So war es z.B. in Brasilien mit Michel Temer, der die Arbeitsgesetzgebung von Grund auf änderte. Ist das zu weit gedacht? Eventuell doch nicht. Die Zukunft überrascht uns immer wieder. Und gelegentlich auch im positiven Sinn.


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