Von Juan E. Alemann
Die Konjunkturwende lässt auf sich warten, die Inflation verbleibt hoch (4% im Januar ergeben hochgerechnet auf ein Jahr 60%), Arbeitslosigkeit und Armut verbleiben untragbar hoch, die Impfung gegen den Covid-19 schreitet sehr langsam voran, es besteht die Gefahr einer neuen Infektionswelle, wobei neue Arten des Virus auftreten, die viel ansteckender und gefährlicher als die bestehende sind, die Kriminalität hat stark zugenommen, und es besteht keine Aussicht, dass all dies in nächster Zeit besser werden wird. Präsident Alberto Fernández ist sich bewusst, dass er etwas unternehmen muss, um zumindest eine Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu schaffen. Angesichts der bestehenden Konstellation ist für die Regierung ein schlechtes Ergebnis der Oktoberwahlen zu erwarten, das die Regierungstätigkeit noch mehr erschwert. Und dann verbleiben der Regierung noch zwei Jahre…
Der Präsident hat in letzter Zeit Gespräche mit bedeutenden Unternehmern und Gewerkschaftern eingeleitet. Er will wissen, wie sie sich die Überwindung der Krise vorstellen. Doch dabei ist das Ergebnis dürftig. Die Landwirte hatte er zunächst mit zusätzlichen Exportzöllen und/oder Exportkontingenten bedroht, und dies dann nach einem Gespräch mit den Verbänden fallen gelassen. Aber eine konkrete Lösung, um zu vermeiden, dass die gestiegenen Weltmarktpreise für Sojabohne, Mais u.a. Arten von Getreide und Ölsaat sich auf die Inlandspreise übertragen, die der Lebensmittelkonsument zahlt, gab es nicht. Die Landwirte haben nur darauf hingewiesen, dass die Preise von Getreide und Ölsaat einen mäßigen Anteil an den Endpreisen haben, die der Konsument für die Lebensmittel zahlt, die mit ihnen erzeugt werden. Beiläufig wurde geraten, die MwSt. für bestimmte Lebensmittel abzuschaffen, womit das Problem auf den Staat übertragen wird, der gewiss nicht auf diese Einnahmen verzichten kann. Ohnehin ginge dabei der Verlust an Fiskaleinnahmen zum allergrößten Teil an Familien, die nicht arm sind und dies nicht brauchen.
Beiläufig erklärte Minister Guzmán, dass die Abwertung in diesem Jahr um die 25% ausmachen soll, also unter der vorgesehenen Preiserhöhung von 29% liegen werde. Und wenn die Inflation, wie zu erwarten, höher ausfällt, dann bleibt der Wechselkurs noch stärker zurück. Stabilisierungsprogramme, auch wenn es sich nur um einen Rückgang der Inflationsrate handelt, werden in Argentinien erfahrungsgemäß immer von einem zurückgebliebenen Wechselkurs begleitet. Das bedeutet für die Landwirte auch einen realen Einkommensverlust.
Doch jetzt erfordert diese Politik einmal die Beibehaltung (eventuell sogar Verschärfung) der Devisenbewirtschaftung, und auch eine bedeutende Verringerung der Marge zwischen dem offiziellen Wechselkurs und dem freien (dem schwarzen, und dem, der über Kauf und Verkauf von Staatstiteln in Dollar erfolgt).
Beim Gespräch mit Großunternehmern kam auch nicht viel heraus. Sie wiesen auf die hohe Geldschöpfung hin, für die sie nicht verantwortlich sind, gehen jedoch an der konkreten Preisproblematik vorbei. Ebenfalls wagt es kein Unternehmer, auf das Problem der notwendigen Reform der Arbeitsgesetzgebung einzugehen, weil keiner es mit den Gewerkschaften aufnehmen will, die einem Unternehmen jederzeit Schwierigkeiten schaffen können. Ob bei diesem Gespräch schließlich doch positive Vorschläge aufgekommen sind, die gelegentlich nebenbei geäußert wurden, weiß man nicht.
Beim Gespräch mit den Gewerkschaftern wurde auch um den heißen Brei herumgeredet, wobei der Präsident auf die Forderung einging, dass es keine Begrenzung der Lohnerhöhungen geben werde. Doch gerade das gab es schon bei der Verhandlung mit der Gewerkschaft der Bankangestellten. Wenn es keine Obergrenze gibt, dann erreichen bestimmte Gewerkschaften, die eine starke Stellung haben (wie die der Lastwagenfahrer, aber auch andere) bedeutende Lohnerhöhungen, die dann mäßige Gewerkschafter, die in Branchen tätig sind, die keine Erhöhungen verkraften können, unter Druck setzen, so dass sie Forderungen stellen, von denen sie selber wissen, dass sie unvernünftig sind. Der Präsident hätte den Mut haben sollen, die These der Obergrenze bei Lohnerhöhungen zu verteidigen, die er bei der Verhandlungen mit den Bankangestellten schon effektiv durchgesetzt hat. Wenn er sich ständig widerspricht, schafft er nur noch mehr Ungewissheit. Ebenfalls sollte er auch die These von der Erhaltung (und eventuell sogar Erhöhung) des Reallohnes ad acta legen. Hat er noch nicht begriffen, dass die argentinische Gesellschaft ärmer geworden ist, und dies auch die Arbeitnehmer betrifft? Statt dessen hätte er mit den Gewerkschaftern von Abschaffung von beschäftigungshemmenden Arbeitsbestimmungen, Produktivität, und Anpassung an die Änderungen, die die technologische Revolution geschaffen hat, reden sollen.
Jetzt geht es darum, diese Gespräche politisch einzusetzen. Alberto Fernández kann diese jetzt so auslegen, dass Unternehmer und Gewerkschaft ihm schließlich die volle Verantwortung für eine Lösung übertragen haben. Und in diesem Sinn sollte er dann ein Programm vorlegen, mit Grundsätzen, die sich auf Arbeitspolitik, Wechselkurspolitik und Devisenbewirtschaftung, Exportzölle, Kreditpolitik und auch Begrenzung der Staatsausgaben bezieht. Was die brenzliche Frage der Exportzölle betrifft, die gewiss irrational sind und in Ländern, die mit Argentinien konkurrieren, nicht bestehen, sollte er sagen, dass sie begrenzt werden, und in diesem Sinn den absurd hohen Exportzoll für Sojabohne (33%!) senken. Aber er muss auch sagen, dass ein Exportzoll von 15%, 3 Prozentpunkte mehr als jetzt, bei gegenwärtigen Preisen verkraftbar ist, und dass der Staat diese Einnahmen eben braucht. Der Präsident kann nicht hart gegenüber den Gewerkschaften sein, wie er es unvermeidlich sein muss, und gleichzeitig sehr nachgiebig gegenüber den Landwirten.
Noch eine Schlussbemerkung: die Preispolitik, die die Regierung in letzter Zeit betreibt, ist schlicht absurd. Dass die Kontrollen bei Supermärkten verschärft werden, mit Einsatz von Personen, die aus der Politik kommen (“piqueteros” u.a.), die nichts von Preisbildung und Konkurrenz verstehen, auch das Handelssekretariat mit Strafen und Schließungen von Lokalen vorgeht, all das hat überhaupt keine Wirkung. Beim Einzelhandel besteht harte Konkurrenz unter den Supermärkten, auch unter diesen und unabhängigen Geschäften, die Obst und Gemüse, Brot, Geflügel u.a. Waren verkaufen. Ebenfalls besteht Konkurrenz unter den Marken. Der Konsument muss eben sorgfältig kaufen, und eventuell kann ihm das Handelssekretariat durch gezielte Hinweise auf günstige und zu hohe Preise in den einzelnen Supermärkten u.a. Einzelhandelsgeschäften helfen, besser zu entscheiden. Doch auch dies ändert nicht viel, wenn es nicht ein Gesamtschema gibt, wie wir es hier angegeben haben.
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