Von Juan E. Alemann
Argentinien hat heute ein Vertrauensproblem. Ohne dies wäre die wirtschaftliche Problematik unverhältnismäßig einfacher. Denn die Staatsschuld ist im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt viel geringer als allgemein üblich, und das Land sollte mit seinen reichhaltigen und vielfältigen natürlichen und gut qualifizierten menschlichen Ressourcen, plus einer Rechtsordnung, die im Prinzip nicht viel anders als in fortgeschrittenen Staaten ist, nicht zu den Schwellenländern gehören. Es ist wirklich schwer, zu erklären, warum Argentinien die großen Probleme aufweist, die uns bedrängen.
Präsident Carlos Saul Menem (Juli 1989 bis Dezember 1999) hatte erreicht, dass Argentinien als glaubwürdig eingestuft wurde. Der Fortschritt und das Verhalten jener Jahre wurde auch vom Internationalen Währungsfonds gewürdigt, der Menem einlud, 1998 eine Rede anlässlich der Jahresversammlung in Washington zu halten. So etwas ist nicht üblich und wird als besonderes Lob angesehen.
Präsident Eduardo Duhalde (Januar 2002 bis Mai 2003), Néstor Kirchner (2003 bis 2007) und Cristina Kirchner (2007 bis 1015) machten diesen guten Ruf zunichte, und fügten dem Land dabei einen unermesslichen Schaden zu. Mauricio Macri (2015 bis 2019) bemühte sich, die Rechtsordnung und die internationalen Spielregeln einzuhalten, aber der lange schwarze Schatten von Cristina machte ihm schließlich einen Strich durch die Rechnung.
Duhalde hat als erstes die zahlreichen Konzessionsverträge, die Menem mit Betreibern öffentlicher Dienste abgeschlossen hatte, nicht eingehalten, und sich auch nicht um eine Verhandlung bemüht, um neue Spielregeln zu schaffen. Dann hat er Dollardepositen bei lokalen Banken zum Kurs von $ 1,40 pro Dollar (als der Marktkurs schon viel höher war) in Pesos umgewandelt, und Dollarkredite zum Kurs von eins zu eins. Alles völlig illegal. Die wenigen Dollarsparer, die Prozesse einleiteten, haben sie schließlich gewonnen. Aber die meisten gingen nicht so weit.
Néstor Kirchner ging noch viel weiter. Er verstaatlichte privatisierte Staatsunternehmen ohne jegliche legale Begründung, und zahlte dabei auch nichts. Im Fall von Aguas Argentinas, die von der französischen Suez, mit Aguas de Barcelona als Minderheitspartner betrieben wurde, die hervorragende Arbeit geleistet hat, blieb ein Schuld von u$s 700 Mio. unbezahlt. Andere Dienstleister von öffentlichen Diensten wurden unter Druck gesetzt, mit unzureichenden Tarifen und Subventionen, so dass die Betreiber sogar die Instandhaltungsausgaben kürzen mussten und nicht mehr investieren konnten. Das staatliche Postunternehmen, das der Konzern der Familie Macri übernommen hatte, wurde enteignet, ohne die Investition für ein neues Postgebäude zu bezahlen, das das alte freigab, das dann von den Kirchners in ein luxuriöses Konferenzzentrum umgewandelt wurde.
Néstor Kirchner ging dann auch gegen den Obersten Gerichtshof vor, und setzte Richter verfassungswidrig ab, einen sogar mit direkter Bedrohung und Schüsse auf sein Automobil. Damit hat er dem ganzen Rechtssystem einen tödlichen Schlag versetzt, und Argentinien auch juristisch unglaubwürdig gemacht. Der Gedanke einer modernen Rechtsordnung war den Kirchners fremd. Argentinien war Ende 2001 in Default geraten, den der Siebentagepräsident Adolfo Rodríguez Saá mit stolz im Kongress ankündigte, was mit allgemeinem Applaus quittiert wurde. Das schlug in der internationalen Finanzwelt wie eine Bombe ein. Doch erst Mitte 2005, viereinhalb Jahre später, wurde den Gläubigern ein Angebot vorgelegt, mit einem Kapitalschnitt von 70%, und Zahlung zu niedrigen Zinsen auf Jahre hinaus. Als dann bestimmte Gläubiger das Angebot nicht annahmen (die sogenannten “Holdouts”) und einen Prozess einleiteten, fiel Cristina Kirchner nichts besseres ein, als den zuständigen New Yorker Richter, Thomas Griesa, zu beschimpfen und sich mit faulen Tricks aus der Schlinge zu ziehen. Das hat erst die Macri-Regierung in Ordnung gebracht, was nicht billig war, auf alle Fälle teurer als es bei einer Verhandlung mit den Gläubigern gewesen wäre.
Der Default von 2001/02 war nicht der erste. Argentinien weist in dieser Hinsicht einen Weltrekord auf, wobei viele Defaults nicht offen auftraten, weil die Gläubiger es vermieden haben. So u.a. bei der Schuldenverhandlung, die im Juni 2020 abgeschlossen wurde. Und jetzt befürchten die Inhaber argentinischer Staatspapiere, dass wieder nicht gezahlt wird. Es fällt Minister Guzmán schwer, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Die neuen Staatstitel, die aus der Umschuldung hervorgegangen sind, werden an der Börse von New York zu Schleuderpreisen gehandelt, bei denen sich eine Rendite von über 16% ergibt. Und das hat auch argentinische Aktien, in in New York gehandelt werden, nach unten gerissen. YPF hat einen Börsenwert von weit unter u$s 2 Mrd., nachdem das Unternehmen noch vor einigen Jahren mit etwa u$s 20 Mrd. bewertet wurde. Es ist ein Ausverkauf, der eine Weltuntergangsstimmung zum Ausdruck bringt.
Wirtschaftsminister Martín Guzmán hat sich in der Vorwoche in die Vereinigten Staaten begeben. In New York sprach er mit Vertretern Investmentfonds, die argentinische Staatstiteln halten. Er malte ihnen ein optimistisches Bild, und ging dabei so weit, die für dieses Jahr erwartete Zunahme des Bruttoinlandsproduktes auf 7% anzusetzen, weit mehr als im Haushalt für 2021 vorgesehen war. Einige der Fonds, die argentinische Titel halten, blieben abwesend, als Zeichen, dass sie dem Minister von vornherein nicht glauben.
Danach begab sich Guzmán nach Washington, um ein Gespräch mit der Leiterin des IWF, Cristalina Georgiewa und den Fachbeamten aufzunehmen. Hier geht es um die Umschuldung der u$s 44 Mrd., die Argentinien dem Fonds schuldet, die unmöglich so amortisiert werden können, wie es vorgesehen ist. Es müsste somit kurzfristig ein Umschuldungsabkommen zustandekommen, dass die Zahlungen streckt. Es war von einer Frist von 10 Jahren die Rede, wie sie der Fonds im Rahmen eines Programmes gewährt, das “extended facilities” heisst. Die Lage hat sich jetzt durch einen Zufall für Argentinien gebessert: die Staaten der G7-Gruppe haben dem IWF empfohlen, die sogenannten “extended facilities” um insgesamt u$s 650 Mrd. auszuweiten, so dass auf Argentinien u$s 4,4 Mrd. entfallen, mit denen Zinsen und ein Teil der ersten Amortisationsquote dieses Jahres gezahlt werden können.
Der Fonds fordert keinen Default, denn schließlich wurde er geschaffen, um Staaten zu helfen, die sich in finanzieller Not befinden, und nicht um sie finanziell zu erwürgen. Aber er stellt Forderungen, die darin bestehen, die Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen. Das bedeutet, das Sparmaßnahmen unumgänglich sind, auch eine drastische Verringerung der Subventionen öffentlicher Dienste, und noch viel mehr. Und in diesem Sinn bietet Guzmán konkret eben nichts. Er beschränkt sich, Zahlen über die zukünftige Entwicklung vorzulegen, die ohne tiefgreifende Reformen nicht glaubhaft sind.
Ein faktischer Default gegenüber dem IWF bedeutet zunächst, dass Argentinien keine neuen Kredite von der Weltbank, der BID u.a. Banken erhält. Das schafft ein weiteres Problem, da bisher die ungeschriebene Regel gilt, dass die Weltbank und die BID stets neue Kredite erteilen, die die Amortisation der bestehenden zumindest ausgleichen. Ohne dies, entstehen Zahlungsverpflichtungen, die nicht erfüllt werden können. Doch darüber hinaus werden auch allgemein private Kredite und Geschäfte hinausgeschoben. Die wirtschaftliche Entwicklung würde dabei total gebremst.
Wie kann man das verlorene Vertrauen wiedergewinnen? Wohl kaum von einem Tag zum anderen, wohl auch nicht, wenn es einzelne positive Zeichen gibt. Es müsste ein totaler Umschwung erfolgen, etwa wie bei Menem mit seinem Stabilisierungsprogramm, den umfangreichen Privatisierungen und zahlreichen Strukturreformen erreicht hat. Es muss einen Neuanfang geben, der jedoch von dieser Regierung nicht zu erwarten ist, besonders dann nicht, wenn Cristina Kirchner das letzte Wort hat, denn ihr glaubt man mit recht gar nichts. Eventuell geben sich der Fond und die internationale Finanzwelt damit zufrieden, wenn die Regierung einige klare Zeichen gibt, wie etwa die Schließung des Kohlenbergwerkes von Río Turbio, eine Einfrierung der freiwerdenden Stellen im Staat, die sofortige Abschaffung einiger überflüssiger Staatsämter, die Säuberung staatlicher Ämter, die viele unnötige Posten enthalten, und die Streichung anderer überflüssiger Ausgaben. Diese sind für Kenner der Staatsstruktur so bekannt, dass sofort eine lange Liste gemacht werden kann. Diese Arbeit hätte man von Macri erwartet, aber er hat das Thema beiseite geschoben.
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