top of page
Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die unvermeidliche Rezession

Von Juan E. Alemann

Schwankungen des Bruttoinlandsproduktes zu konstanten Preisen von 2004, in Billionen Pesos

Die argentinische Wirtschaft hat sich schnell vom pandemiebedingten Rezessionseinbruch des Jahres 2020 erholt. 2021 wurde der Verlust des Bruttoinlandsproduktes aufgeholt, und in den ersten Monaten 2022 dauerte der Schwung mit geringerer Intensität an, wurde aber im März und April von einer hohen Inflation begleitet, mit monatlichen Zunahmen von 6,7% und 6%, die ohne subventionierte Tarife öffentlicher Dienste und Preiseinfrierung bei vielen Produkten des täglichen Haushaltskonsums noch höher gewesen wäre.

Die relativ gute Konjunktur droht jetzt in Stagnation und sogar Rezession überzugehen. Das wäre eigentlich normal, wie es die beiliegende graphische Darstellung zeigt. Argentinien weist seit Jahrzehnten einen kurzfristigen Konjunkturzyklus auf. Abgesehen von der Tendenz, die hier zum Ausdruck kommt, gab es noch kleinere Schwankungen, die kurzfristig die Illusion erwecken, dass die Konjunktur stark anzieht, oder, dass eine tiefe Rezession eintritt. Das schafft unmittelbar Konfusion, und sollte bei einer langfristien Betrachtung bei Seite gelassen werden. Doch die Versuchung ist groß, Maßnahmen zu treffen, um die unmittelbare Rezession zu überwinden. Dabei wird das Problem jedoch nur hinausgeschoben, und tritt später verstärkt auf. Was man allgemein in Argentinien nicht verstanden hat, und besonders diese Regierung nicht, ist dass die kurzfristige Konjunkturpolitik in krassen Gegensatz zur einer langfristigen Wachstumspolitik steht. Dabei spielt auch die Politik eine Rolle. Denn eine Durststrecke zu überstehen ist für die Regierung politisch sehr schwierig, und in einem Wahljahr (wie 2023) fast unmöglich. Wie immer bei Gegensätzen dieser Art, muss es die Regierung verstehen, eine Kompromisslösung zu finden. Doch gerade das fällt dieser Regierung schwer.


Die zunehmende Inflation

Das Problem, welches jetzt besteht, ist die zunehmende Inflation, die schon nahe an den 60% jährlich liegt und direkt auf 80% und auch 100% zusteuert. Wenn die Regierung nur stets versucht, den Inflationsverlust der Arbeitnehmer und auch der armen Bevölkerungsschichten mit Lohnerhöhungen und Geldgeschenken auszugleichen, dann entsteht die berühmte Preis-Lohnspirale, die jetzt auch auf andere Bevölkerungsgruppen ausgeweitet wird, die unvermeidlich ein schlechtes Ende nimmt. Diese Entwicklung endet erfahrungsgemäß in der Hyperinflation, bei der dann die Einkommensempfänger aller Gruppen, aber besonders der Arbeitnehmer und der Bezieher niedrigerer Einkommen, am meisten Realeinkommen einbüßen. So war es bei den drei Hyperinfaltionswellen, die Argentinien schon erlebt hat: die von März-April 1976, die von 1989 und die von 1990, beide mit Höhepunkt im März.

Die Bekämpfung der Rezession wirkt zunächst rezessiv, weil dass Einkommen dabei allgemein unter der Inflationsrate zunimmt, also real sinkt. Aber eine ausufernde Inflation wirkt noch rezessiver, weil dann die Preise davonlaufen, und das nominelle Einkommen verspätet zunimmt, so dass reale Einkommen noch viel stärker abnimmt.

Die Senkung des Staatsdefizites wirkt zunächst auch rezessiv, weil dabei viele Einkommensempfänger, die direkt oder indirekt vom Staat abhängen, ein geringeres Realeinkommen erhalten. Aber die Beibehaltung des Defizites, das mit Geldschöpfung gedeckt wird, treibt die Inflation an und wirkt schließlich noch mehr rezessiv.


Die gefährliche Lohnentwicklung

Was die Lohnentwicklung betrifft, so gilt schon die Zulage der Bankangestellten und anderer Gewerkschaften um die 60%, aber mit Revision einige Monate vor Ablauf der Zwölfmonatsfrist, die normalerweise für Arbeitsabkommen gilt. Man kann somit vorwegnehmen, dass mindestens 10% hinzukommen werden, und wenn die Inflation weiter auf dem gegenwärtigen Stand verbleibt, noch mehr. Dass Cristina dem Gewerkschafter Sergio Palazzo, Generalsekretär der Gewerkschaft der Bankangestellten, zu seinen fast 60% öffentlich gratuliert hat, und Alberto dies auch begrüßt hat, und weiter die These der Erhaltung des Reallohnes vertritt, wirkt verheerend. Denn dies ist ein Signal für alle Gewerkschafter, dass sie ihre Forderungen erhöhen, auch wenn sie wissen, dass viele Unternehmen und ganze Branchen bestenfalls mäßige Erhöhungen verkraften können. Zur Forderung von Hugo Moyano, von ca. 80% plus Zusätze für die Lastwagenfahrer, äußert sich in der Regierung niemand, wie wenn dies normal wäre. Das Schlimme ist, dass besonders die Arbeitergruppen, die schon jetzt viel höhere Löhne als andere beziehen, hohe Zulagen erhalten. Das hat dann einen unvermeidlichen Demonstrationseffekt auf andere Branchen.


Das kirchneristische Rezept

Der Kirchnerismus will jetzt die Rezession, die sich schon andeutet, durch zusätzliches Geld vermeiden, dass auf verschiedenen Wegen verteilt wird und den Konsum anspornen soll. Es sollen insgesamt $ 2 Bio. sein, was ca. 2,6% des Bruttoinlandsproduktes ausmacht, und somit das vorgesehene primäre Defizit praktisch verdoppelt. Es handelt sich einmal um die Vorverlegung der Erhöhung des universellen Mindestlohnes, die schon beschlossen wurde, und dann um ein Moratorium für ca. 800.000 Personen, die das Pensionierungsalter erreicht haben, aber keine 30 Beitragsjahre ausweisen können. Zum Vergleich: Die drei wichtigsten bestehenden Sozialprogramme, das Nahrungsmittelprogramm AlimentAr und die Pläne Progresar (”fortschreiten”) und Potenciar trabajo (“Arbeit schaffen”) kosten insgesamt 0,66% des BIP.

Diese Politik der Erhöhung der Staatsausgaben entspricht dem hyperkeynesianischen Konzept von Axel Kicillof, nach dem die wirtschaftliche Tätigkeit mit ausreichender Geldversorgung erhalten werden soll, und die Inflation durch Höchstpreise und direkte Kontrollen von Gewinnmargen und weitere Maßnahmen in dieser Richtung eingedämmt und das Wachstum nicht gestört wird. Das ist jedoch eine Phantasie, und Keynes würde sich im Grabe umdrehen, wenn er erführe, dass dies ihm zugeschrieben wird. Denn Keynes hat monetäre Expansion in Krisenzeiten, in denen keine Inflation bestand (sondern eventuell sogar Deflation) empfohlen, und Anhäufung von Reserven bei guter Konjunktur. Das ist etwas ganz anderes.

Der größte Teil der Bevölkerung erleidet schon einen realen Einkommensverlust, weil er mit seinem nominellen Einkommen hinter der Inflation zurückbleibt. Jetzt kommt noch die Erhöhung der Tarife für elektrischen Strom und Gas hinzu, die angeblich durchschnittlich um die 70% liegen soll. Und schließlich kommt noch der sekundäre Aspekt dieser Entwicklung. Wenn der Einzelhandel dann allgemein weniger verkauft, kauft er auch weniger, und die Inhaber der Geschäfte verdienen weniger und müssen auch persönlich ihre Ausgaben einschränken.


Das ungelöste Zahlungsbilanzproblem

Hinzu kommt noch das Problem mit der Zahlungsbilanz. Trotz hoher Exporte schließt das erste Halbjahr 2022 mit einem viel geringeren Handelsbilanzüberschuss als im Vorjahr. Der Import ist stark gestiegen, mehr als erwartet. Wie weit dies mit dem zurückgebliebenen Wechselkurs zusammenhängt, sei dahingestellt. Das Produktionsministerium erschwert dabei die Ausgabe der Importgenehmigungen, und die ZB Verzögert die Genehmigung der Überweisungen, und fordert von den Importeuren eine Finanzierung. Das sind pragmatische Lösungen, die zunächst verhindern, dass die tägliche Devisennachfrage das Angebot übertrifft, so dass die ZB Reserven einsetzen muss, die jedoch bald zu Ende sind. Wenn dieser Moment kommt, dann steigt der Wechselkurs so weit, bis das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wieder hergestellt ist. Der Kurssprung würde nicht unter 30% liegen, und die interne Inflation sprunghaft in die Höhe treiben, wobei dann der Wechselkurs weiter steigen würde. Es würde eine Wechselkurs-Inflationsspirale entstehen, die in Hyperinflation endet.

Die Importkürzungen, die in vielen Fällen faktische Importverbote sind, haben einerseits Fabrikationsprozesse, bei denen auch importierte Teile in das Endprodukt eingebaut werden, unterbrochen, und andererseits auch lokalen Fabrikanten die Möglichkeit gegeben, mehr zu verkaufen. Dies ist bei Sportschuhen und Bekleidung der Fall. Doch dabei erhöhten die lokalen Fabrikanten die Preise. Kein Wunder, dass die Sparte “Schuhe und Bekleidung” beim Index der Konsumentenpreise im April die höchste Zunahme aufwies. Die Importsubstitution, die sich in Gang befindet, hat eine deutlich inflationäre Wirkung. Die Schließung der Wirtschaft wirkt gegen die Effizienz der Wirtschaft. Doch eine zunehmende Effizienz trägt wesentlich zum Wachstum der Wirtschaft bei, wobei Effizienzzunahmen Kosten verringern und stabilisierend auf die Preise wirken. Bei Schließung tritt das Gegenteil ein.

Die argentinische Wirtschaft steht hier vor einem komplexen Problem. Bis zu der Konvertibilität der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts, die nicht nur im festen Wechselkurs bestand, sondern auch von einer Senkung der Zollsätze und Abschaffung von quantitativen Importbeschränkungen begleitet war, wurden kaum Textilien und viele andere Produkte importiert. Bei Automobilen lag der Anteil der lokalen Wertschöpfung bei 80% bis 90% des Preises ohne Steuern. Heute liegt der Anteil bei 30% bis 40%. Dabei sind die Fahrzeuge besser und viel billiger geworden. Ein lokal erzeugtes Automobil kostete früher (ohne Steuern zu berücksichtigen) über doppelt so viel wie im Ursprungsland, während es heute nur wenig teurer ist, Ähnlich ist es bei anderen Gütern. Wenn man effizient produzieren will, muss mehr importiert werden. Doch das erfordert mehr Exporte, um den Import zahlen zu können. Doch die Notwendigkeit, den Export stark zu erhöhen wird nur halbherzig anerkannt. Und dabei wird das Zahlungsbilanzproblem nicht gelöst, und verbleibt als Inflationsfaktor. Der Abwertungssprung wird früher oder später kommen, und auch der IWF dürfte ihn gelegentlich fordern.


Schlusswort

Wenn all das, was wir hier aufgeführt haben, nicht begriffen wird, dann ist eine Hyperinflation mit tiefer Rezession und viel Unordnung, auch mit mehr Kriminalität, unvermeidlich. Es müssen schwierige Entscheidungen getroffen werden. Cristina Kirchner scheint sich dessen nicht bewusst zu sein, oder sie verneint es einfach, im Sinne des Spruchs “nach mir die Sintflut”. Aber auch Alberto Fernández scheint das Problem nicht in seiner vollen Tragweite erfasst zu haben. Und hier gibt es keine halbe Lösungen.



1 visualización0 comentarios

Comments


bottom of page