Von Juan E. Alemann
Wirtschaftsminister Sergio Tomás Massa steht vor einer besonders schwierigen Lage, die unmittelbare Entscheidungen fordert, die er nur mit einer klaren Machtposition treffen kann. Er muss somit als erstes seine Macht in der Regierung behaupten. In diesen Sinn hat er schon erreicht, dass zwei hohe Beamte, die auf Cristina hörten, Energiesekretär Darío Martínez und sein Unterstaatssekretär Federico Basualdo, durch Personen ersetzt werden, die politisch nicht von Cristina abhängen, und sich somit seinen Anweisungen fügen müssen, da das Energiesekretariat zum Wirtschaftsministerium gehört. Als Energiesekretärin wurde Flavia Royón ernannt, die bisher in der Provinzverwaltung von Salta für Bergbau und Energie zuständig war. Sie ist Industrieingenieurin und hat auch Fortbildungskurse über Unternehmensverwaltung und Bergbau absolviert. Sie hat eine gute Beziehung zu Gouverneur Gustavo Sáenz, der Massa politisch nahesteht.
Kurz vorher hatte Massa eine weitere Verringerung der Subventionen für den Stromkonsum angekündigt, die jetzt ohne Schwierigkeiten eingeführt werden kann. Er sagte, nur ein Haushaltskonsum von bis 400 Kilowattstunden werde weiter subventioniert. Wenn sich dies sich auf den Monat bezieht, dann hat es eine geringe Bedeutung. Aber die Stromrechnungen beziehen sich auf einen Bimester, und wenn die 400 KwSt. auch für zwei Monate gelten, dann liegt der Fall ganz anders. Das wäre das Richtige, da dann nur diejenigen subventioniert werden, die einen minimalen Konsum haben. Massa wies auch darauf hin, dass bei den Stromkosten, die bei einem Haushalt stärker ins Gewicht fallen, mehr gespart wird. Das ist das richtige Konzept. Denn wenn beim Konsum nicht gespart wird, dann reicht die Stromversorgung bei einem Wachstumsschub oder einer Panne an irgend einem Punkt des Systems, nicht mehr aus.
Massa hat auch begonnen, seinen Einfluss auf die ZB zu erhöhen, indem er den Vizepräsidenten und einen Direktor gestellt hat. ZB-Präsident Pesce, der mit der Unterstützung von Präsident Fernández zählt, verfolgt eine eigene Politik, und lässt sich von Massa nichts vorschreiben. Doch wenn es schließlich um die Grundentscheidung kommt, nämlich einen Abwertungssprung beim offiziellen Markt und einer Legalisierung des freien, dann muss Pesce schließlich nachgeben, oder er wird von einem Mann von Massa ersetzt. Sonst würde Massa einen unerträglichen Machtverlust erleiden.
Die Zentralbank steht jetzt im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit, nachdem sie seit längerer Zeit täglich Reserven für die Kurshaltung in hohem Umfang einsetzen muss, und die frei verfügbaren Reserven bald am Ende sind, Wenn es soweit ist, muss die ZB entweder den Kurs freigeben, was eine bedeutende Abwertung mit sich bringt, oder die Importzahlungen noch mehr beschränken. Doch diese Krise belastet zunächst Pesce und nicht Massa, und kann dazu führen, dass dieser einen eigene Mann an die Leitung der Bank setzt.
Das Amt des Vizeministers, formell Staatssekretariat für Programmierung, konnte Massa noch nicht besetzen. Massa selber, der ein Anwaltsstudium absolviert hat, aber nie als Anwalt tätig war, steht bezüglich Wirtschaft auf schwachen Füssen. Er braucht einen oder mehrere gute Ökonomen, mit denen er den Kurs und einzelne Maßnahmen besprechen kann. Bisher hat Daniel Marx, der sein Berater ist, diese Rolle erfüllt, aber eben nur was Staatsfinanzen betrifft. Er spricht ständig mit ihm. Marx ist ein Finanzfachmann von Format, mit langjähriger Erfahrung, der auch in den USA einen Investmentfonds geleitet hat, und sein Rat ist viel Wert. Jetzt fehlt Massa noch ein Ökonom, der über Wirtschaft allgemein Bescheid weiß. Einige Wirtschaftler haben ein Angebot für dieses Amt angeblich abgelehnt, und als letzter blieb Gabriel Rubinstein übrig, der unter Roberto Lavagna als Wirtschaftsminister den Kontakt zur ZB pflegte, und durch seine sehr guten Artikel in der Zeitung “El Cronista” bekannt ist. Doch Rubinstein hat sich vor einiger Zeit über Twitter abfällig über Cristina geäußert, und sie soll ihr Veto eingelegt haben. Es ist auch die Rede davon, dass Emanuel Alvarez Agis, der unter Axel Kicillof Vizeminister war, aber viel vernünftiger als dieser denkt, schließlich doch ins Wirtschaftskabinett kommt. Er hat eine gute Beziehung zu Präsident Fernández. Auf alle Fälle sollte die Ernennung des Vizeministers nicht länger hinausgeschoben werden.
Massa konnte diese Woche einen wichtigen Erfolg aufweisen: Der Verfall von Staatstiteln in Pesos bis Oktober in Höhe von insgesamt $ 2 Bio. wurde durch eine Umschuldung gelöst. Ca. 60% des Gesamtbetrages befand sich im Besitz der ANSES u.a. staatlicher Ämter, so dass die Umschuldung automatisch erfolgte. Diese innerstaatliche Schuld sollte ohnehin anders gebucht werden, da es sich im Wesen nicht um eine Staatsschuld handelt, weil der Gläubiger auch zum Staat gehört. Die Restschuld befand sich vornehmlich im Besitz von Banken, die gewiss kein Interesse haben, der Regierung Schwierigkeiten zu bereiten, und somit der Umschuldung zugestimmt haben. In der Tat wissen die Banken, dass das Schatzamt die Titel, die sie haben, bei Verfall nicht zahlen kann. Auch beim neuen Termin nicht. Aber zunächst kommt diese Umschuldung, die die Lage entspannt, auch Massa zugute.
Bei der Umschuldung wurden den Banken “duale” Bonds angeboten, die gemäß CER-Inflationsindex oder Wechselurs (“dollar linked”) berichtigt werden, wobei der Inhaber des Bonds jeweils wählt, welche Berichtigung er beansprucht. Beiläufig bemerkt: es ist wichtig, dass von den Staatstiteln mit fester Verzinsung Abstand genommen wird, bei denen ein gefährliches Wettrennen mit der Inflation entsteht. Die jetzt ausgegebenen Titel begleiten die Inflation passiv, was den Staat vor Zugzwang bei der Inflationsbekämpfung stellt.
Die Verringerung des Staatsdefizites als Ausgangspunkt
Allein, das Kernproblem besteht jetzt in der Senkung der Staatsausgaben. Hier muss Massa drastisch vorgehen, um sein Ziel von 2,5% des BIP als primäres Defizit für ganz 2022 einigermaßen einhalten zu können. Ganz kann er dieses Ziel nicht erfüllen. Er wäre gut beraten, wenn er den Betrag der Staatsinvestitionen berechnen ließe, und dabei auch die Finanzierung für einen Teil von der Weltbank, der BID u.a. Förderungsbanken erhält. Ein Defizit, das auf Staatsinvestitionen beruht und durch eine Sonderfinanzierung gedeckt ist, ist etwas andere als ein Defizit, um laufende Ausgaben zu decken.
Bisher hat Massa wenig, eigentlich fast nur Gemeinplätze, über Kürzung der Staatsausgaben geäußert. Die Verringerung der Subventionen für Strom, Gas, Wasser und Personentransport hat zwar eine große Bedeutung, überträgt jedoch das Problem auf die Privatwirtschaft. Man erwartet jetzt echte Ausgabenkürzungen. Die Absicht, keine neuen Staatsangestellten zu ernennen, die er von Frau Batakis übernommen hat, muss noch in ein Dekret gekleidet werden, bei dem man besonders auf die Ausnahmefälle achten muss. Ebenfalls steht nicht fest, ob dies sich auch auf die Einfrierung von Stellen bezieht, die wegen Pensionierung, Tod oder Rücktritt frei werden. Es wäre gut, wenn sich Massa darüber ausspricht.
Es ist unbedingt notwendig, dass Massa weitere Maßnahmen ankündigt, die klar zeigen, dass es es mit der Senkung der Staatsausgaben ernst gemeint ist. Es genügt nicht, dass er den einzelnen Ministern gesagt hat, dass sie mit den Beträgen auskommen müssen, die im Budget stehen, die real infolge der Inflation stark geschrumpft sind. Dabei besteht die Gefahr, dass nicht die Ausgaben gekürzt werden, sondern die Zahlungen an Lieferanten u.a. gestreckt werden, was dann ein Riesenproblem schafft, und dazu führt, dass der Staat noch viel teurer kauft.
Massa müsste einige politisch schwierige Fälle ankündigen, um glaubhaft zu sein. Würde Massa z.B. ankündigen, dass das absurde Kohlenbergwerk in Río Turbio geschlossen wird, dann würde man ihm glauben. Auch wenn die Löhne der Belegschaft für längere Zeit weiter bezahlt würden, ergäbe sich bei Schließung eine enorme Ersparnis an Investitionen und Kosten verschiedener Art.
Ebenfalls muss Massa erreichen, dass nicht weitere Ausgabenerhöhungen vollzogen werden. Die Inbetriebnahme von Personenzügen, einem von Buenos Aires bis Justo Daract, in San Luis, (670 km) und einem zweiten von Rosario bis Cañada de Gómez, 70 km entfernt, hat überhaupt keinen vernünftigen Sinn und erhöht das ohnehin schon hohe Defizit des staatlichen Eisenbahnunternehmens. Ständig erfährt man von neuen Staatsausgaben, die das Defizit erhöhen. Massa hat die Minister schon unterrichtet, dass das bestehende Budget nominell beibehalten wird und sie nicht mehr ausgeben können. Doch bei sozialen Ausgaben macht die Regierung eine Ausnahme. Indessen muss auch hier vorsichtig vorgegangen werden.
Massa zählt mit Raul Rigo über einen sachkundigen und erfahrenen Schatzsekretär, der bis vor kurzem schon dieses Amt bekleidete, und die Staatsstruktur und die Budgetproblematik gut kennt. Er weiß bestimmt, wo man überall sparen kann. Er muss ihn unterstützen, weil er bei dieser Tätigkeit vielen einflussreichen Beamten und anderen auf die Fußzehen tritt, und lauter Protest zu erwarten ist. Massa sollte ihn unmittelbar beauftragen, ihm einige wichtige Ausgabenkürzungen vorzuschlagen, um sie sofort anzukündigen. Denn er muss erreichen, dass man ihn auf diesem Gebiet schon jetzt ernst nimmt, und die Wirtschaftswelt entsprechend reagiert. Die Skepsis, die jetzt besteht, wirkt gegen den Erfolg von Massa.
Rigo muss sich sofort an die Aufstellung des Haushaltsgesetzes für 2023 heranmachen. Das Gesetzesprojekt muss vor dem 15. September im Kongress eingereicht werden. Und dann wird es diskutiert und eventuell leicht geändert. Aber Massa kann sich nicht erlauben, dass der Kongress das Projekt nicht annimmt, wie es im Vorjahr geschehen ist. Cristina muss ihn unterstützen, obwohl es dieses Mal viel mehr grundsätzliche Reformen geben muss als im Vorjahr. Bei Cristina, die Massa ohnehin nur halbherzig unterstützt, und keine feste Überzeugungen über Wirtschaftspolitik hat, ist ihre Unterstützung nicht sicher, umso mehr als es ihr beim Prozess über staatliche Kartellierung und hohe Überpreise bei öffentlichen Straßenbauten, schlecht geht, und sie ihr rein persönliches Problem vor das Interesse des Landes stellt, so ungefähr nach dem Motto “nach mir die Sintflut”. Massa müsste die politische Schwäche von Cristina dazu nutzen, um sie bei Entscheidungen stillschweigend beiseitezulassen.
Die Staatsinvestitionen
Massa deutete auch dieses Problem an, und sprach dabei von Prioritäten. In der Tat kann der bestehende Umfang der staatlichen Investitionen nicht beibehalten werden, es sei den, es gibt umfangreiche Kredite der Weltbank u.a. Institutionen. Doch auch diese decken nur bestimmte Projekte. Unmittelbar müssten Projekte, die noch nicht begonnen wurden oder sich in der Anfangsphase befinden, untersucht und wenn möglich verschoben werden. Grundsätzlich müssen die vorhandenen Mittel für weniger Objekte eingesetzt werden, so dass die Bauzeiten verkürzt werden. Die einzelnen Projekte müssen eines nach dem anderen und nicht gleichzeitig in Angriff genommen werden. Dabei spart man viel Geld. Hat jemand dies Massa erklärt?
Und dann müssen die Projekte genau studiert werden. Beim Prozess über die Korruption beim Straßenbau unter den Kirchner-Regierungen wurde darauf hingewiesen, dass in der Provinz Santa Cruz etwa zehn Mal so viel für Straßenbau investiert wurde als es gemäß dem bestehenden Verteilungsschlüssel hätte sein sollen. Aber niemand hat darauf hingewiesen, dass asphaltierte Straßen in Santa Cruz nur ausnahmsweise notwendig sind, einmal weil die Verkehrsintensität wegen der sehr geringen Bevölkerung sehr niedrig ist und die Investition nicht rechtfertigt. Und dann sind die Erdstraßen in Santa Cruz gut, weil der Boden fest ist und es kaum regnet. Man kann problemlos bis gut 100 Stundenkilometern fahren. Hingegen haben gute Straßen, und besonders Autobahnen in der zentralen Gegend des Landes, die einen dichten Verkehr haben, eine große Wirkung auf die Wirtschaft. Überlegungen dieser Art muss man bei allen Investitionsprojekten anstellen, um eine Optimierung ihrer Wirkung auf die Wirtschaft zu erreichen. Es geht um Ersparnis öffentlicher Mittel und um Effizienz. Wie weit Massa auf diesen Gebiet fortschreitet, lässt sich nicht sagen. Die Ökonomen, die ihm umgeben, sollten ihn auf dies aufmerksam machen.
Die Arbeitspolitik
Schließlich muss sich Massa auch um Arbeitspolitik kümmern. Das ist unerlässlich, um die Inflation bändigen zu können. Wenn der Reigen mit der selbstbeschleunigten Lohn-Preisspirale weitergeht, dann steigt die Jahresinflation sofort auf über 100%. Massa muss eine Lohneinfrierung durchsetzten, indem es für die nächsten Monate keine paritätischen Lohnverhandlungen gibt, auch wenn der Reallohn dabei sinkt. Wenn die Inflation stark zurückgeht, wird das Realeinkommen der Bevölkerung allgemein zurückgehen, nicht nur für Lohnempfänger, und das muss man hinnehmen. Wenn die Stabilisierung nur von der monetären Seite erfolgt (was auch nicht sicher ist), und die Kosten der Unternehmen weiter steigen und auf die Preise abgewälzt werden, dann kommt es zu einer gewaltigen Rezession. Um diese zu vermeiden, müssen nominelle Lohnerhöhungen zunächst ausbleiben.
Das Problem, das hier besteht, ist das Arbeitsminister Claudio Moroni anders denkt und ein enger persönlicher Freund von Präsident Albert Fernández ist. Massa muss sich somit mit Moroni verständigen, und dabei braucht er einen gute Berater auf dem Gebiet der Arbeitsgesetzgebung und der Arbeitspolitik. Beiläufig sei daran erinnert, dass das Wirtschaftsministerium in seiner ursprünglichen Form, Ende der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts, auch das Arbeitsministerium als Sekretariat umfasste. So sollte es auch jetzt sein.
Menem als Vorbild
Massa sollte sich Menem zum Vorbild nehmen, der am Anfang von der Wirtschaftswelt mit großem Misstrauen angesehen wurde. Dem hat er mit der Ernennung des Geschäftsführers des Konzerns Bunge & Born zum Wirtschaftsministern entgegenwirkt, zunächst mit Miguel Roig, der nach einer Woche im Amt verstarb, und dann mit Néstor Rapanelli. Gleichzeitig nahm er die ersten Privatisierungen in Angriff. Er begann mit den staatlichen Fernsehsendern, und leitete gleich danach die Privatisierung des Telefonsystems ein. Und danach zeigte er mit konkreten Schritten eine klare Richtung seiner Regierung und seiner Wirtschaftspolitik.
Menem hat von Anfang an verstanden, dass er Vertrauen genießen muss, vor allem bei der Finanzwelt. Wenn Massa dies jetzt auch erreicht, dann gibt es auch Lösungen für das finanzielle Problem Argentiniens, das gegenwärtig unlösbar erscheint. Dann verschwindet die Aussicht auf Hyperinflation, einem Default und des Zusammenbruch, und die Diskussion um die Zukunft wird in rationelle Bahnen geleitet. Gegenwart und Zukunft Argentiniens werden jetzt entschieden.
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