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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die Stunde der Wahrheit

Von Juan E. Alemann

Dass die Umschuldung der Staatsschuld (die der US-Gerichtsbarkeit untersteht) abgeschlossen ist, stellt zwar eine große Erleicherung, aber keine Lösung dar. Die Schuldenzahlungen dieses und der nächsten zwei Jahre wurden hinausgeschoben, und die Defaultgefahr ist abgewendet worden. Das bedeutet zwar nicht, dass der argentinische Staat jetzt wieder Zugang zum internationalen Finanzmarkt hat, aber doch, das Kredite der großen internationalen Finanzanstalten normal weitergehen, Banken Kredite für bestimmte Investitionen und auch für Kapitalgüterlieferungen bereitstellen können, die normale Exportfinanzierung weiter besteht und auch Importe kurzfristig finanziert werden. Auch können multinationale Firmen ihre lokalen Filialen mit Krediten unterstützen. Das ist alles sehr schön, schiebt aber im Grunde das doppelte Grundproblem der argentinischen Wirtschaft nur hinaus, das sich auf das strukturelle Ungleichgewicht beim Staatshaushalt und der Zahlungsbilanz bezieht.

Diese Probleme werden unmittelbar bei der Verhandlung mit dem Internationalen Währungsfonds auftauchen, dem der argentinische Staat u$s 44 Mrd. schuldet, wobei die vorgesehenen Amortisationsraten der nächsten Jahre unbezahlbar hoch sind. Der IWF wird es nicht auf einen Default ankommen lassen, denn schließlich besteht seine Funktion laut Statuten darin, Staaten zu helfen, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden. Der IWF darf laut Statuten keine Schulden erlassen, aber er kann die Amortisationsquoten strecken, so dass sie zahlbar sind und die Wirtschaft des Schuldnerlandes nicht ersticken. Man kann somit vorwegnehmen, dass die für die nächsten Jahre vorgesehenen Zahlungen verschoben werden.

Doch der Fonds fordert dabei, dass der Schuldner seine Finanzen in Ordnung bringt, was im argentinischen Fall als erstes eine drastische Verringerung des Defizits der Staatsfinanzen bedeutet. Argentinien steht dieses Jahr vor einem doppelten zehnprozentigen Minus: beim Staatsdefizit (mit Zinsen), bezogen auf das BIP, und bei der Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes. Der IWF setzt den Akzent auf das Defizit der Staatsfinanzen, die argentinische Regierung auf den BIP-Rückgang. Der Fonds will, dass sofort und überall kräftig gespart wird, während die argentinische Regierung will, dass die Wirtschaft sich zunächst stark erholt und dann auf eine dauerhafte Wachstumsphase übergeht, was auch zu einer starken Zunahme der Steuereinnahmen führen und dann das Defizit verringern würde. Indessen ist dieses Wachstum, abgesehen von einer minimalen konjunkturellen Erholung (sofern die Quarantäne aufhört oder stark gemildert wird) nur möglich, wenn das Defizit der Staatsfinanzen stark abnimmt. Denn sonst überschattet eine zukünftige Defaultgefahr die Gegenwart, was nicht nur Investitionen von Unternehmen hemmt, sondern allgemein zu einer übervorsichtigen Haltung führt, die gegen wirtschaftliches Wachstum wirkt.

Präsident Alberto Fernández scheint das Defizitproblem völlig zu ignorieren, und sein Wirtschaftsminister Martín Guzmán u.a. Ökonomen seiner Mannschaft scheinen es entweder auch nicht ganz begriffen zu haben, oder sie haben es nicht verstanden, es ihm zu erklären, oder (was schlimmer wäre), er will es einfach nicht wahrnehmen. Für jedes Problem, das auftaucht, kündigt AF eine Lösung über zusätzliche Staatsausgaben an. Die Konjunktur soll durch ein Programm öffentlicher Bauten von $ 435 Mrd. (die etwa u$s 4 Mrd. entsprechen dürften) angekurbelt werden. Das Problem der überfüllten und reparaturbedürftigen Gefängnisse soll durch einen großzügigen Bau neuer Zuchtanstalten behoben werden. Der private Bau soll durch Kredite im Rahmen des Procrear-Programmes angespornt werden, also durch Mittel, die die ANSES bereitstellt, die dabei auf höhere Zuwendungen des Schatzamtes angewiesen ist, was ohnehin schon wegen der geringeren Einnahmen aus Beiträgen zum Pensionierungssystem der Fall ist. Beiläufig wurde die Initiative, eine Weißwaschung für Dollarbeträge, die für private Bauten eingesetzt werden, die den Staat nichts gekostet hätte, fallen gelassen. Hinzu kommen dann noch die teure Justizreform und weitere zusätzliche Ausgaben, die am laufenden Band entstehen.

Die Ökonomen der Regierung, an erster Stelle Guzmán, sollen sich angeblich bewusst sein, dass dies in einer realen Abnahme von Pensionen, Hinterbliebenenrenten u.a. sozialen Zahlungen, sowie der Beamtengehälter im allgemeinen führt, was bestimmt konfliktiv ist. Denn wenn der Staat seine Ausgaben nicht bewusst und gezielt beschränkt, dann geschieht dies eben im Rahmen einer hohen Inflation, bei der Löhne und Gehälter allgemein zurückbleiben. So war es auch 2001 und 2002. Als unter Präsident Fernando de la Rúa sein Wirtschaftsminister Ricardo López Murphy im März 2001 ein Programm zum Abbau der Staatsausgaben vorlegte, wollte De la Rúa die politischen Kosten, die dies mit sich brachte, nicht tragen, und setzte López Murphy ab. Dann kam Domingo Cavallo, der unter Menem ein sehr erfolgreicher Wirtschaftsminister gewesen war, und schlug vor, das Problem mit gefördertem Wachstum zu lösen, was jedoch schief ging und auch dazu führte, dass der IWF seine Hilfe zurückzog. Somit kam es zu einer tiefen Krise, die der Gesellschaft ein Opfer aufbürdete, dass das Vielfache von dem darstellte, dass die Maßnahmen von López Murphy bedeutet hätten. Wiederholen wir jetzt den gleichen Fehler?

Argentinien steht vor einem unmittelbaren monetären Problem, das unter den Tisch gefegt wird. Das geht so weit, dass die ZB die monetäre Statistik seit Monaten nicht mehr veröffentlicht. Im Januar 2007 hat Handelssekretär Guillermo Moreno die Inflation mit einer Fälschung der INDEC-Statistik unter den Teppich gekehrt, und jetzt wird die gigantische Geldschöpfung verheimlicht. Was man weiß, ist, dass die ZB dem Schatzamt dieses Jahr schon $ 1,4 Bio. (Millionen von Millionen) überwiesen hat, davon $ 432 Mrd. als “transitorische” Vorschüsse und $ 1,04 Mrd. als Abhebung des Gewinnes (der rein buchmäßig ist und in Wirklichkeit nicht besteht). Die ZB hat sich in letzter Zeit bemüht, diese monetäre Expansion durch Unterbringung von Leliq-Schatzscheinen zum Teil zu kompensieren. Inzwischen haben diese Leliq schon fast den Umfang der Lebac (Macri-Regierung) erreicht, der damals von AF als Präsidentschaftskandidat mit recht heftig kritisiert wurde. Mehr kann die ZB kaum bei Banken unterbringen. Diese Leliq treiben die Bankzinsen allgemein in die Höhe und verringern den Umfang der Kredite, den die Banken an die Unternehmen erteilen müssen, die sie dringend benötigen, um die Krise zu überstehen und Arbeitskapital zu finanzieren. Außerdem werden die Staatsausgaben durch diese hohen Zinsen belastet, auch wenn sie die ZB formell trägt. Wenn die Banken jetzt mehr Kredit erteilen sollen, dann führt das unter den bestehenden Umständen zu einer weiteren Geldschöpfung, so dass indirekt auch die Leliq mit Geldschöpfung finanziert werden. Man müsste eigentlich die Leliq zur monetären Basis addieren, um zu erkennen, wie hoch die Zunahme der monetären Expansion in Wirklichkeit ist.

Die Zunahmerate der monetären Basis (Banknoten im Umlauf plus Bankdepositen bei der ZB, die zusammen die Passiven der ZB darstellen) dürfte ohne Leliq und hochgerechnet auf ein Jahr über 100% liegen und könnte sehr schnell auf über 200% springen. Das führt zunächst zu einem Liquiditätsüberschuss, der sich in Argentinien zunächst anders auswirkt, als in anderen Ländern. An erster Stelle führt dies hier zu einer höheren Dollarnachfrage auf dem Schwarzmarkt, weil die Menschen in Dollar sparen und auch ihre Liquidität zum großen Teil in Dollar halten. Dass treibt den Kurs in die Höhe, und das hat dann eine direkte und noch mehr eine psychologische Wirkung, weil es als klares Inflationssignal aufgefasst wird. Dabei werden dann auch Preise erhöht, die nichts mit dem schwarzen Dollarkurs zu tun haben. Doch schließlich wirkt sich die Geldschöpfung allgemein auf die Preise aus.

Wenn die monetäre Expansion so weitergeht, erscheint eine Hyperinflation unvermeidlich, wobei die Gefahr besteht, dass sie dieses Mal länger dauert als es bei den bisherigen drei Hyperinflationen der Fall war (1976, 1989 und1990, immer mit Höhepunkt im März). Dies ruft das Gespenst der deutschen Hyperinflation von 1923 hervor. Eine Hyperinflation von mehreren Monaten könnte die Regierung kaum vertragen, und dabei bestünde sogar die Gefahr eines Rücktrittes von AF, wobei auch Cristina sein Amt nicht übernehmen könnte. Der Fall wäre dann ähnlich wie Ende 2001 und Anfang 2002, als der Kongress schließlich Senator Eduardo Duhalde zum Präsidenten ernannte. Damit es dieses Mal nicht so weit kommt, müsste der Präsident schon jetzt energisch handeln.

Statt neue Staatsausgaben zu schaffen, müsste er sich intensiv um Abschaffung von Ausgaben kümmern. Bei staatlichen Infrastrukturinvestitionen müsste sich die Regierung darauf beschränken, nur die prioritären und weit fortgeschrittenen (wie die Röhre für Abwässer neben dem Riachuelo) weiterzuführen und keine neuen zu beginnen. Dann müsste eine allgemeine Einfrierung öffentlicher Stellen eingeführt werden, so dass diejenigen, die wegen Pensionierung, Tod oder Rücktritt verschwinden, nicht ersetzt werden. Dann müssten einzelne Bereiche der Staatsverwaltung gründlich durchkämmt werden, und dabei Spar- und Privatisierungsmöglichkeiten genutzt werden. Dann müsste das Kohlenbergwerk von Río Turbio geschlossen werden. Und schließlich müssen auch die Tarife öffentlicher Dienste und die Brennstoffpreise erhöht werden, um die Subventionen zu verringern.

Dass all dies faktisch und politisch äußerst schwierig ist, ist unvermeidlich. Aber die Alternative, nämlich Hyperinflation und Chaos, ist es viel mehr. Jetzt heißt es, auf die Bremse treten, und nicht Gas geben. Denn sonst gibt es einen bösen Zusammenstoß.

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