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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die stark differenzierte Gegenwartskonjunktur

Von Juan E. Alemann

Die argentinische Wirtschaft erholt sich in diesem Jahr zunehmend vom konjunkturellen Rückgang von 2020. Das ist einmal auf den Springfedereffekt zurückzuführen, aber auch auf die hohen Weltmarktpreise für Ölsaaten, Getreide, Kupfer und Aluminium. Ebenfalls wirkt die Lockerung der Maßnahmen, die zwecks Vermeidung von Ansteckungen getroffen wurden, wie die Schließung von Restaurants und vielen Einzelhandelsgeschäften. Auch die expansive Geldpolitik hat in diesem Sinn gewirkt. Doch die Konjunkturentwicklung war stark differenziert.

Bei der Pampa-Landwirtschaft ist die Erholung schon weitgehend da. Wenn nichts dazwischenkommt, wird dieses Jahr eine höhere Fläche mit Getreide und Ölsaaten gesät, und es wird auch mit einer Produktionszunahme gegenüber dem Vorjahr gerechnet, wobei ohnehin nicht vergessen werden darf, dass die Ernten jetzt mehr als doppelt so hoch wie in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts sind. Die Rinderwirtschaft wächst zwar kaum noch, profitiert jedoch von höheren Preisen, die die Regierung verhindern will, aber nicht kann. Hinzu kommt, dass die Landwirte jetzt großzügige Kredite der Banco Nación erhalten, um die Rinder auf ein höheres Gewicht zu bringen. Das soll zumindest einen Teil der gestiegenen Kosten der Mästung ausgleichen, die die Preiszunahme bei Mais und Sojamehl verursacht hat. In anderen Bereichen der Landwirtschaft ist die Lage anders, wobei auch extreme Krisensituationen auftreten, wie jetzt bei der Zwiebelproduktion im Süden der Provinz Buenos Aires und in Rio Negro.

Die gute Konjunktur der Landwirtschaft färbt direkt auf die Industriebetriebe ab, die landwirtschaftliche Maschinen und Geräte erzeugen, die die erhöhte Nachfrage kaum befriedigen können. Hier wirkt auch die Politik der Regierung, die in diesem Fall darin zum Ausdruck kommt, dass keine Importe von landwirtschaftlichen Maschinen zugelassen werden, die mit den lokal gefertigten konkurrieren. Die Devisenbewirtschaftung und die Schließung der Wirtschaft haben hier eine positive Wirkung. Schließlich erteilt die Banco Nación jetzt Kredite für den Kauf der Landmaschinen, die zu einem festen Zinssatz gewährt werden, der eine Subvention beinhaltet. Das macht den Kauf für die Landwirte noch interessanter. In den Jahren der Macri-Regierung wurden Kredite dieser Art nur spärlich erteilt, was unverständlich ist, wenn man bedenkt, dass die Banco Nación damals Vicentin einen Riesenkredit erteilt hat. Bei den staatlichen Banken, besonders Banco Nación und BAPRO, wird jetzt ihr Charakter als Förderungsbanken betont, was sie von den Privatbanken unterscheidet.

Wenn es der Landwirtschaft gut geht, dann geht es dem Einzelhandel, den Reparaturwerkstätten und vielen anderen, die in den Dörfern der Gegend tätig sind, auch besser. Und nicht zu vergessen seien die Fabrikanten von Düngemitteln und allerlei Chemikalien für die Landwirtschaft, die auch mehr verkaufen. Zum Teil handelt es sich hier um importierte Produkte. Aber der größte Teil wird lokal erzeugt. Und schließlich wirkt die gute Konjunktur der Landwirtschaft direkt auf die Kfz-Industrie, die ganz besonders einen stark gestiegenen Umsatz bei Pick-ups verzeichnet, aber auch von Geländewagen wie u.a. der Jeep.

Auch beim Bergbau läuft es besser. Der stark gestiegene internationale Kupferpreis hat eine direkte Wirkung auf die Ausbeutung von Kupfererz, das in Argentinien in großen Mengen erzeugt und exportiert wird. Beim Lithium, bei dem infolge des zunehmenden Übergangs auf elektrisch angetriebene Automobile eine bedeutende Nachfrage erwartet wird, wird sehr viel investiert, aber noch wenig produziert. Auch der Aluminiumpreis ist weltweit gestiegen, was das Aluminiumwerk von Aluar begünstigt.

Die Bautätigkeit ist dieses Jahr in Schwung gekommen, was einmal ein Ausdruck der Erholung ist, die nach dem Stillstand des Vorjahres eingetreten ist, aber auch eine Folge der Weißwaschung ist, die konkret für Anlagen im Wohnungsbau bis vor kurzem bestand. Wie lange auf diesem Gebiet die gute Konjunktur andauert, ist ungewiss, Doch zunächst hat sich dies auf die Zementindustrie ausgewirkt, wobei hier auch die Zunahme der öffentlichen Bauten eine Rolle spielt, die dieses Jahr stattgefunden hat. Auch die anderen Baumaterialien haben sich gut entwickelt.

Ein weiterer Bereich mit außerordentlich guter Konjunktur ist der der Informatik, also alles was mit Computertechnologie und Internet zusammenhängt. Wir erklären diesen Fall in unseren zweiten Artikel. Auf alle Fälle sollte man nicht vergessen, dass Argentinien nicht nur über enorme natürliche Ressourcen verfügt, sondern auch auf qualitativ gute menschliche. Dass sich so viele Menschen für diese neuen Technologien sehr gut eigenen, bietet dem Land eine besondere Wachstumschance. Beiläufig hat dies auch eine große Breitenwirkung, da durch Informatik allerlei Produktionsprozesse rationalisiert werden, was Kosten spart und zur Expansion beiträgt.

Auf der anderen Seite leiden viele Branchen unter einer besonders schwachen Konjunktur, an erster Stelle Gastronomie, Hotels und Tourismus im Allgemeinen. Ebenfalls läuft es bei vielen Konsumgütern nicht gut, wie Bekleidung und dauerhaften Konsumgütern im Allgemeinen. Hier wird der Rückgang jedoch durch die faktische Importsperre für Konsumgüter, die mit lokalen konkurrieren, gemildert. Ebenfalls sollen jetzt die großzügigen Bankkredite wirken, die für Güter dieser Art eingeführt wurden. Inzwischen haben die großen Verkaufsketten, die Eisschränke, Luftkühlanlagen, Herde, Waschmaschinen u.s.w. verkaufen, den Konjunkturrückgang gespürt. Garbarino und jetzt auch Ribeiro befinden sich in einer extrem schwierigen Lage. Falabella hat schon aufgegeben.

Beim kleinen Einzelhandel, besonders in der Stadt Buenos Aires, ergibt sich eine eigenartige Lage. Dadurch, dass viele Geschäfte geschlossen haben, verkaufen die, die übrig bleiben, schließlich mehr. In vielen Fällen besteht dabei eine strukturelle Besserung, weil die Überbesetzung, die den Einzelhandel der Bundeshauptstadt kennzeichnet, teilweise ungewollt korrigiert wurde. Die Geschäfte, die verbleiben, werden mehr vom Konjunkturaufschwung profitieren und schließlich besser wirtschaften, als vor der Pandemie.

Journalisten betonten oft, dass viele ausländische Firmen das Land verlassen, und werten dies als ein Zeichen der schlechten Konjunktur. Doch Produktionsminister Matías Kulfas erwidert (“La Nación” vom 1.8.21), dass in vielen Fällen lokale Unternehmer als Käufer aufgetreten seien, so dass sich am Unternehmen selber nichts ändert. Es ist gewiss positiv, wenn sich diese Unternehmer mehr in Argentinien engagieren, zumal der Anteil ausländischer Firmen im Allgemeinen in den letzten drei Jahrzehnten sehr stark gestiegen ist, was gemischte Gefühle bei der lokalen Unternehmerschaft und den Politikern auslöst. Die Supermarktkette Walmart hat ihr lokales Geschäft an Francisco de Narváez verkauft, der vor Jahren die Kette “Casa Tia” betrieb, die er verkauft hat. Ein multinationales Pharmaunternehmen hat ihr lokales Geschäft auch auf eine Firma von argentinischem Kapital übertragen. Man muss das Phänomen des Ausstiegs von multinationalen Firmen aus Argentinien gesamthaft betrachten.

In bestimmte Fällen beruht die Motivation für die Übertragung darin, dass die Rechnung nur mit Steuerhinterziehung aufgeht, und die ausländischen Firmen nicht dazu bereit sind, während lokale Unternehmer sich auf diesem Gebiet gut auskennen. Bei einer multinationalen Firma wird die Aufdeckung einer Hinterziehung zum Skandal, während sie bei einem lokalen Besitzer durch Schmiergeld oder sonst wie gelöst wird, und die Öffentlichkeit kaum etwas erfährt.

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass allgemein behauptet wird, dass die Privatunternehmen nicht investieren. Bei größeren Objekten mag das stimmen: es werden keine großen neuen Fabriken errichtet. Aber es gibt ständig kleinere Investitionen, von denen wir über viele jede Woche in der Rubrik Geschäftsnachrichten berichten. Und über viele mehr erfahren wir nichts. Es handelt sich meistens um Zusatzinvestitionen, die eine Wirkung auf einen bestehenden Betrieb haben, so dass sie mehr Mehrwert schaffen, als es zunächst erscheint. Der technologische Fortschritt stellt viele Unternehmen vor die Alternative, zu investieren, um weiter zu bestehen, oder aufzugeben. Wenn die Wirtschaft wieder auf Hochtouren läuft, dann tritt vieles in Erscheinung, was jetzt ohne Aufsehen zu erregen schon geschieht.

Produktionsminister Kulfas erwartet für dieses Jahr, auf Grund der Berechnung von Ökonomen seines Bereichs, eine BIP-Zunahme von bis zu 7%. Das wären immer noch 3 Prozentpunkte unter 2019, nachdem 2020 einen Rückgang von ca. 10% verzeichnet, wobei das Wachstum auch 2012 und danach anhalten sollte, bedenkt man, dass die Wirtschaftsleistung seit einem Jahrzehnt stagniert, mit leichten Schwankungen, und dies aufgeholt werden sollte. Denn in diesem Jahrzehnt gab es Investitionen und eine technologische Revolution, ebenfalls ein höheres Angebot an Arbeitskräften, und eine Bevölkerungszunahme von gut 15%. Aber das Wachstum ist stets ungleich bei den einzelnen Bereichen, und dieses Mal ganz besonders.


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