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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die Spätfolgen von Pandemie, Quarantäne und Krise

Von Juan E. Alemann

Die tiefe Krise, die Wirtschaft und Gesellschaft durchmachen, die auf die Pandemie und Quarantäne, aber auch auf andere Umstände, besonders die großen Fehler bei der Wirtschaftspolitik, zurückzuführen ist, dürfte in absehbarer Zeit überwunden werden, sofern diese wenig rationelle Regierung nicht darauf besteht, den Weg in den Abgrund weiter zu begehen, bis wir alle in diesen fallen. Die Pandemie wird dank der stark zugenommenen und weiter zunehmenden Impfungen wohl in einigen Monaten weniger aggressiv auftreten, eventuell nur noch wie eine Grippe u.a. Krankheiten, die uns periodisch befallen. Und dann normalisiert sich auch die wirtschaftliche Tätigkeit und das Leben im Allgemeinen.

Indessen gibt es keine schlichte Rückkehr zur Zeit vor der Pandemie. Diese führt zu verbleibenden strukturellen Änderungen der wirtschaftlichen Struktur. An erster Stelle sei die Heimarbeit erwähnt, die weitgehend verbleiben wird, weil sie für Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorteilhaft ist. Das Unternehmen spart Platz und Kosten, die mit der Präsenz des Arbeitnehmers verbunden sind, und dieser spart Transportzeit (oft über 3 Stunden täglich) und kann sich, besonders wenn es sich um Frauen handelt, gleichzeitig um Haushalt und Familie kümmern, auch zwischendurch ausruhen und in Ruhe arbeiten, ohne von Kollegen oder dem Chef gestört zu werden. All das war schon vorher bekannt, wurde vielen Menschen jedoch erst jetzt bewusst. Einige Unternehmen haben sich schon darauf eingestellt, gemietete Büroflächen aufgegeben und ein System eingeführt, bei dem die Heimarbeiter, die eine Arbeit im Büro verrichten wollen, auch um Themen mit Kollegen zu besprechen, vorher eines reservieren müssen. Die Büros werden dann abwechselnd von verschiedenen Angestellten besetzt.

Doch darüber hinaus hat die Krise auch allgemein die Verwendung von Internet in einer Weise gefördert, die Vieles definitiv ändert. Bankgeschäfte werden von Haus aus erledigt, und es werden viel weniger Menschen in den Banken anwesend sein, was bei diesen auch weniger Personal erfordert. Viele Bankagenturen wurden schon geschlossen, weil sie nicht mehr notwendig sind. Die Bankhäuser werden, wie in den Vereinigten Staaten u.a. Ländern, viel weniger von ihrem Kunden besucht werden. Und wenn man diesen Prozess zu Ende denkt, gelangt man zum Schluss, dass das Bankensystem gesamthaft weniger Personal benötigt. Das bedeutet nicht, dass die Banken Personal massenweise entlassen, was zu teuer und kompliziert wäre, sondern, dass sie das Personal, dass in den Ruhestand tritt, zurücktritt oder stirbt, nur ausnahmsweise ersetzen.

Ebenfalls hat sich der Kauf über Internet und Telefon verbreitet, mit Delivery, so dass der Einzelhandel weniger Fläche braucht, um die Kundschaft zu bedienen. Dabei werden auch diejenigen gefördert, die nur ein Warenlager haben und die Waren direkt an ihre Kunden liefern.

In dieser Krise haben viele Geschäfte geschlossen, vor allem Restaurants und Bars, aber auch solche, die allerlei Konsumgüter verkaufen, vor allem dauerhafte. Die pandemiebedingte zeitlich begrenzte Schließung hat sich für viele Geschäfte in eine definitive Schließung verwandelt. Das betrifft auch Kleinunternehmen, die sich mit allerlei verschiedenen Tätigkeiten befassen. Der Einzelhandel, vor allem in der Stadt Buenos Aires, ist stark überbesetzt, was bedeutet, dass mit viel weniger Geschäften die Bevölkerung genau so gut bedient werden kann, wobei dann die Gemeinkosten für die verbleibenden Geschäfte besser verkraftet werden können, und dies ihnen erlaubt, mit einer geringeren Marge zu überleben. Ihnen solle es dann besser gehen als vor der Pandemie. Aber die anderen, die ihre Geschäfte nicht mehr haben, und sozusagen aus dem System rausgefallen sind, müssen sich überlegen, was zu tun. Sie bilden einen Teil des neuen Mittelstandsproblems, bei dem viele eine oder mehrere Stufen nach unten gerutscht sind.

Die Schließung von Lokalen, deren Betreiber dabei einen Schuldenberg hinterlassen, und die Schulden anderer, die überlebt, aber sich dabei stark verschuldet haben, hinterlassen ein komplexes Problem. Das betrifft besonders Banken und das Steueramt. Die Regierung hat schon mehrere Maßnahmen getroffen, um zu verhindern, dass es zu einem massiven Bankrott kommt. Aber die ZB, die AFIP u.a. staatliche Stellen werden sich gezwungen sehen, auf längere Zeit mit diesem Problem auszukommen. Wir haben an dieser Stelle schon vorgeschlagen, dass per Dekret verfügt wird, dass die AFIP bei Pfändungen zunächst eine Pause (zwei oder mehr Monate) einschalten muss, und die Pfändung dann auf das Anlagevermögen beschränkt wird, so dass die Unternehmen nicht in ihrer Tätigkeit behindert werden. Kein Unternehmerverband hat bisher etwas in diesem Sinn vorgeschlagen. Die Anwälte der AFIP sichern sich bei Einleitung von Gerichtsverfahren ihr Honorar, und sind somit gegen unseren Vorschlag eingestellt, und wirken unterschwellig in diesem Sinn. Die Regierung muss jedoch davon ausgehen, dass es um die Erhaltung vieler Unternehmen geht, die sich in einer finanziellen Krise befinden, und dies Priorität hat.

Gesamthaft bedeutet all das, was wir hier aufgeführt haben, dass die Wirtschaft mit weniger Beschäftigten auskommt. Angenommen, der Stand von 2020 oder des besten vorangehenden Jahres wird bezüglich Bruttoinlandsprodukt pro Kopf wieder erreicht, wird die Wirtschaft mit weniger Personen auskommen. Das bedeutet, dass die Arbeitslosigkeit hoch bleiben wird.

Vor der Pandemie gab es (in runden Zahlen) rund 20 Mio. Menschen, die eine bezahlte Beschäftigung hatten. Davon entfielen ca. 10 Mio. auf legal eingetragene Arbeitnehmer. Die andere Hälfte entfällt auf Schwarzarbeiter, selbstständig Tätige und Einheitssteuerzahler. Diese Gruppe hat am meisten zu den 1,5 Mio. im letzten Jahr verlorenen Arbeitsplätzen beigetragen. Die registrierten Arbeitnehmer wurden gesamthaft kaum betroffen. Zwischen 2004 und 2008 nahm die Zahl der registrierten Arbeitsplätze um 2,4 Mio. zu, von 2008 bis 2013 betrug die Zunahme 1,3 Mio. und von da an bis 2016 nur um 300.000. Wir entnehmen diese Daten einer Untersuchung von Javier Lindenboim, der sich im Institut CEPED und der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der nationalen Universität intensiv mit dem Thema befasst.

Schon vor dem Covid-19 war die Verringerung der neuen registrierten Arbeitsplätze sichtbar. 2020 gingen 200.000 Arbeitsplätze verloren, trotz Entlassungsverbot und Verdoppelung der Entlassungsentschädigung. In der Periode 2013/16 entfielen die neuen Arbeitsplätze zu 80% auf nur vier Bereiche: Lehrtätigkeit, soziale Dienste, Hotels und öffentliche Verwaltung. Industrie, Landwirtschaft und Bauwirtschaft haben kaum zur Beschäftigung beigetragen, u.a. weil in diesen Bereichen rationalisiert und neue Technologie eingeführt wurde. Die Zunahme der Beschäftigten im staatlichen Bereich (Nationalstaat, Provinzen und Gemeinden) betrug unter den Kirchners ca. eine Million Menschen, die in den meisten Fällen unnötig waren. Es war eine verkappte Arbeitslosenhilfe. Sie sollten eigentlich entlassen werden, oder zumindest sollten die, die in Pension gehen, zurücktreten oder sterben, nicht ersetzt werden. Das wären gesamthaft um die 100.000 pro Jahr. Doch 2020 wurden sie alle ersetzt.

Dass die Wirtschaft ab diesem Jahr stark und kontinuierlich wächst, mit Raten von über 5% jährlich, ist kaum zu erwarten. Und auch dann würde die Aufnahme der Arbeitslosen in den produktive Wirtschaftskreislauf Jahre beanspruchen. Auf der anderen Seite führt die Erhaltung einer so großen Zahl von Arbeitslosen zu viel mehr Langzeitarbeitslosen, was die Arbeitslosigkeit qualitativ verschlechtert. Die Problematik der Arbeitsbeschaffung sollte im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion stehen. Das ist jedoch nicht der Fall. Wir sind so ungefähr die einzigen, die konkrete Vorschläge machen. Regierung, Gewerkschaften und Unternehmen sagen nichts, oder nur dummes Geschwätz. Es bleibt zu hoffen, dass jetzt der Spitzenverband der Industrie, die “Unión Industrial Argentina”, das Thema aufnimmt, nachdem einer der hervorragendsten Arbeitsanwälte des Landes, Daniel Funes de Rioja, die Präsidentschaft übernommen hat.

Bei der Betrachtung der Wirtschaft darf man nicht vergessen, dass sich die Landwirtschaft der Pampa-Gegend, dank hoher Preise für Sojabohne, Mais, Weizen und Sonnenblume, und guter Aussichten für die Rinderwirtschaft (sofern die Regierung hier nicht weiter störend eingreift), mit einem hohen Einkommen rechnen kann, und noch mehr, wenn es ausreichend regnet. Die gute Konjunktur der Landwirtschaft hat eine Ausstrahlung auf allerlei Lieferanten, auf Maschinen für die Landwirtschaft und auf den Handel und die Werkstätten der Dörfer, so dass von hier aus ein Wachstumsimpuls ausgeht. Von der Landwirtschaft der Randgegenden, die wir letzte Woche erläutert haben, kann man auch Impulse erwarten. Die argentinische Landwirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten schon grundsätzlich verändert, mit einem großen technologischen Sprung, und das dauert an, auch wenn die Regierung es nicht wahrnimmt.

Die Lage nach der Pandemie und Krise erfordert ein radikales Umdenken. Einmal muss die Arbeitsgesetzgebung so geändert werden, dass instabile Arbeitsplätze auch besetzt werden können, was bedeutet, dass es während zwei Jahren keine Entlassungsentschädigung gibt. Und dann müssen Ausnahmeregelungen für neu angestellte Arbeitnehmer eingeführt werden, vor allem für junge Menschen. Dann muss der Übergang von Schwarzarbeit auf legale Arbeit erleichtert und gefördert werden. Und schließlich muss der Umgang mit der neuen Informatiktechnologie gefördert werden, an erster Stelle in den Schulen, aber dann auch außerhalb derselben.

Die Änderungen in der wirtschaftlichen Struktur sind noch weitreichender, als wir sie hier beschrieben haben. Man muss auch die Folgen der Folgen berücksichtigen. Man muss gut beobachten, was alles geschieht, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Regierung, und auch private Wirtschaftsforschungsinstitute, sollten sich intensiv mit dieser Problematik beschäftigen und Vorschläge machen, die der Regierung eine Grundlage für eine Wirtschaftspolitik geben, die den oben genannte Herausforderungen gewachsen ist.


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