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Die Rolle der Unternehmer bei der Wirtschaftspolitik

Von Juan E. Alemann

Das Kolloquium des unternehmerischen Institutes IDEA (Instituto de Desarrollo de Ejecutivos de la Argentina), das dieses Jahr in Mar del Plata stattfand, war enttäuschend. Schon der Titel “Nachgeben um zu wachsen” war nichtssagend. Die Unternehmer haben eine glänzende Gelegenheit verpasst, um Kernpunkte der Wirtschaftspolitik vorzuschlagen, die einen effektiven Beitrag zur Überwindung der komplexen Lage zum Ausdruck gebracht hätten. Das Wachstum ist ein frommer und im Grunde sinnloser Wunsch. Wachstum ist ein Ergebnis einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik, aber nicht eine Voraussetzung.

Unter den Anwesenden wurde auch darauf hingewiesen, dass viel mehr investiert werden müsse. In der Tat sind hohe Investitionen im Energiebereich im weiteren Sinn notwendig, und auch auf anderen Gebieten. Aber in der Privatwirtschaft wird allgemein recht viel investiert, zerstreut und in zahlreichen Objekten. Die Landwirte kaufen mehr Maschinen als zuvor, und das sind Investitionen. Ebenfalls wird allgemein viel für Ausstattung mit Computern und u.a. Geräten investiert, die sich auf den Einsatz der Informatik beziehen. Die Unternehmen sind im Allgemeinen gezwungen, zu investieren, um weiter konkurrieren zu können. Die technologische Revolution unserer Zeit zwingt sie dazu. Außerdem in den allermeisten Fällen bestehen hohe nicht genutzte Kapazitäten, so dass ohne zusätzliche Investitionen mehr produziert werden kann.

Man hat den Eindruck, dass die in Mar del Plata anwesenden Unternehmer sich nicht trauten, zu sagen, was sie wirklich denken. Doch dann dürfen sie sich nicht beklagen, wenn schließlich nichts, zu wenig, oder nicht das Richtige geschieht. Das Grundproblem besteht heute darin, dass Tochtergesellschaften von multinationalen Konzernen die unternehmerische Landschaft beherrschen. Von den “Unternehmern”, die in Mar del Plata anwesend waren, sind die meisten eben hohe Beamte von Großunternehmen, meistens Tochtergesellschaften von ausländischen, aber nicht Inhaber oder Mehrheitsaktionäre. Die großen unternehmerischen Persönlichkeiten der Vergangenheit sind nicht mehr da. Die lokalen Manager ausländischer Firmen müssen vorsichtig sein. Denn wenn es zu einem Konflikt mit der Regierung oder den Gewerkschaften kommt, opfert der Konzern schließlich seinen Vertreter.

Der Prozess der Übertragung von lokalen Unternehmen auf ausländische war besonders in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts Jahren gewaltig. Großunternehmen in lokalem Besitz, wie Acindar, Alpargatas, Celulosa Argentina, Bagley, San Martín del Tabacal, Loma Negra und viele andere sind heute Filialen von multinationalen Konzernen. Und andere, wie Fabril Financiera und Kraft, sind pleite gegangen. Branchen, die früher vollständig in argentinischen Händen waren, wie Zement, Zucker und Stahl, sind heute weitgehend von multinationalen Konzernen beherrscht. Und der Techint-Konzern, der in Argentinien 1948 vom Italiener Agustín Rocca gegründet wurde, und ursprünglich rein argentinisch war, ist heute echt multinational, und es ist nicht klar, ob die Zentrale noch in Argentinien liegt.

Die Verkäufe lokaler Unternehmen an ausländische haben konkrete Ursachen. In einigen Fällen wird verkauft, weil das Kapital sich durch den Erbschaftsprozess stark aufgeteilt hat und es keinen Kontrollaktionär gibt. Kleinaktionäre haben wenig Sinn für das Unternehmen als Ganzes. Sie sind jederzeit bereit, zu verkaufen. Abgesehen davon, ist das Bankensystem geschrumpft, und die Unternehmen haben einen sehr beschränkten Zugang zum lokalen Kredit, und keinen zum internationalen, wie es bei multinationalen Unternehmen der Fall ist, die im Notfall auch von ihren Mutterhäusern finanzielle Hilfe erhalten. Ein lokales Unternehmen ist aus rein finanziellen Gründen im Nachteil gegenüber einem multinationalen.

Die Börse hat früher als echter Kapitalmarkt funktioniert, und den lokalen Unternehmen erlaubt, ihr Kapital zu erweitern. Auch das hat seit Langem aufgehört. Und zu alldem kommen noch Regierungen wie die gegenwärtige hinzu, die davon ausgehen, dass die Unternehmen zu viel verdienen, und dabei zu Maßnahmen greifen, die sie schädigen.

Kehren wir jetzt zurück zum IDEA-Kolloquium. Es geht in Argentinien jetzt nicht um Wachstumsphantasien, sondern um ganz konkrete Themen. Als erstes hätte man beim Kolloquium Vorschläge über Kürzung staatlicher Ausgaben erwartet. Die absolut notwendige Schließung des Kohlenbergwerkes von Río Turbio wurde nicht erwähnt, und wie der Fall mit dem hochdefizitären staatlichen Eisenbahnunternehmen weitergeht, auch nicht. Ein Katalog von konkreten Vorschlägen für die Staatsunternehmen, die eine Katastrophe sind, wäre eine gute Hilfe für Massa gewesen.

Was die Zahlungsbilanz und das absurde System der 15 Wechselkurse betrifft, die in Wirklichkeit (bei Berücksichtigung der Exportzölle) noch mehr sind, wurde nichts geäußert. Es wurde eine glänzende Gelegenheit verpasst, um auf die Initiative einzugehen, ein System mit einem doppelten Devisenmarkt zu schaffen, einem für den Außenhandel, mit einem verwalteten Wechselkurs, und einem freien für den Rest. Das würde Ordnung schaffen und die Gefahr eines Defaults unwahrscheinlich machen. Gelegentlich könnte dann zu einem Einheitskurs übergegangen werden, wie er weltweit besteht. Denn das Ziel ist letztlich, dass Argentinien wieder ein normales Land wird, wie es einst schon gewesen ist.

Auch die Arbeitspolitik wäre ein Thema für das Kolloquium gewesen. Zunächst geht es darum, die inflationstreibenden Lohnverhandlungen in geordnete Bahnen zu lenken, wie wir es an dieser Stelle vorgeschlagen haben, nämlich als erstes, mit einem Vertreter des Wirtschaftsministeriums, mit Stimmrecht und Vetorecht, der sich gegen Lohnerhöhungen stemmt, die auf die Preise abgewälzt werden. Und dann geht es um viele andere Reformen, die dazu bestimmt sind, mehr legale Arbeitsplätze zu schaffen und eine höhere Produktivität zu erlauben. Doch die Unternehmer befürchten, wenn sie diese Themen zur Diskussion stellen, dass sie Krach mit ihrer Gewerkschaft haben werden. Und bei Filialen ausländischer Unternehmen haben sie dann auch ein Problem mit den Mutterhäusern. Doch mit feigen Unternehmern kommt man nicht voran. Das IDEA-Kolloquium war eine glänzende Gelegenheit, um eine solidarische Haltung der Unternehmer zu zeigen, so dass ein Gewerkschaftsangriff auf ein Unternehmen oder eine Branche eine allgemeine Reaktion der Unternehmerschaft hervorruft. Fälle, wie der Reifenindustrie oder der Lastwagenfahrer können in einem zivilisierten Land einfach nicht geduldet werden. Der hervorragende Arbeitsrechtler Julián de Diego hat am Montag einen Artikel in der Zeitung “El Cronista” veröffentlicht, in der auf die Grenzen des Streikrechts hinweist, und dabei auch die These vertritt, dass der Streik der Reifenindustrie illegal war. Auch das wäre ein Thema für das Kolloquium gewesen.

Wirtschaftsminister Sergio Massa hat immer gute Beziehungen zu Unternehmern gehabt. Sein Vizeminister Gabriel Rubinstein noch mehr, und Industriesekretär de Mendiguren ist selber Industrieunternehmer, und war als solcher auch Vorsitzender des Spitzenverbandes der Industrie. Die Gelegenheit der Unternehmerschaft, einem Wirtschaftsminister Vorschläge zu unterbreiten, wie sie bei Massa besteht, und ihm dabei effektiv zu helfen, seine Probleme zu lösen, ist einmalig und sollte genutzt werden.

Der Spruch des spanischen Kulturphilosophen José Ortega y Gasset, der in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts Argentinien einen Besuch abstattete, ist jetzt besonders aktuell. Er sagte: “Argentiner, zu den Sachen” (Argentinos, ¡a las cosas!) und wollte wohl damit zum Ausdruck bringen, dass die Menschen in diesen Land stets Gemeinplätze und kritische Bemerkungen äußerten, aber keine konkreten Vorschläge machten, um die Probleme zu lösen, und dabei an der Realität vorbeigingen.

Massa ist ein Mann der Tat. Das hat er schon gezeigt, und war dabei mutig. Er ist weder ein Bürokrat, noch scheut er, an konfliktive Probleme heranzugehen. Cristina und die Cámpora-Boys werfen ihm dabei stets Steine in den Weg, die er dann beiseite schieben muss. Würden die Unternehmer ihm dabei helfen, wäre die Arbeit einfacher.

Doch ihre Mitwirkung sollte weiter gehen. In der Regierungsstruktur gibt es wenig denkende Menschen. Die Bürokraten befassen sich mit Routinetätigkeiten, und oft sind sie von diesen so stark beansprucht, dass ihnen keine Zeit bleibt, um über Reformen nachzudenken. Massa und Rubinstein wären bestimmt dankbar für konkrete Vorschläge, die sich an erster Stelle auf effektive Kürzung von Staatsausgaben beziehen, aber dann auch auf die Arbeitsgesetzgebung, die Devisenbewirtschaftung, die Finanzpolitik (besonders was Banken betrifft) u.dgl. mehr.

Die Unternehmer haben heute gut ausgebildete und erfahrene Ökonomen als Berater. Sie sind somit in der Lage, Vorschläge auszuarbeiten, die dem Wirtschaftsminister erlauben, sofort zu handeln und nicht erst, den Fall von Grund auf studieren zu müssen, und dabei auch den bürokratischen Widerstand zu überwinden. Denn die Bürokratie hat die Mentalität der “Verhinderungsmaschine” (máquina de impedir), wie ihre obstruktive Haltung schon vor Jahrzehnten treffend bezeichnet wurde.

Die Stiftung “Fundación Mediterránea” wurde in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in Córdoba von Unternehmern des Landesinneren gegründet. Dabei wurde Domingo Cavallo als Chefökonom verpflichtet, der dann mehrere Wirtschaftler aufnahm, und die argentinische Wirtschaft untersuchte. 1991 ernannte Präsident Carlos Saul Menem diesen Cavallo zum Wirtschaftsminister, und dieser brachte sein Team mit, zu dem dann noch andere qualifizierte Fachleute hinzugefügt wurden. Cavallo war unter Menem als Präsident sehr erfolgreich, dann unter De la Rúa nicht. Der politische Rückhalt, den Menem ihm gab, war entscheidend. Ohne dies hätte er die umfassende Privatisierung von Staatsunternehmen u.a. staatlichen Ämtern nicht vollziehen können. Diese Privatisierungen, die von hohen Auslandskapitalinvestitionen begleitet wurden, waren der Grundpfeiler seines Erfolges, der in der Stabilisierung mit gleichzeitig hohen Wachstumsraten (von je 9% in den Jahren 1991 und 1992) begleitet war. Ohne dies wäre die Konvertibilität bald geplatzt. Beiläufig, ohne es an die große Glocke zu hängen, wurde eine stabilitätskonforme Arbeitspolitik eingeführt. Es wäre gut, wenn Massa über diese Erfahrung aufgeklärt würde, die heute weitgehend missverstanden wird.

Die “Fundación Mediterránea” hat jetzt den Wirtschafter Carlos Melconian verpflichtet, damit er ein Programm für die nächste Regierung ausarbeitet. Doch das ist im Grunde abwegig. Man kann nicht bis Dezember 2023 warten, wobei es auch gewagt erscheint, jetzt eine Wirtschaftspolitik für 2024 vorzuschlagen, wenn man nicht weiß, wie es bis Dezember 2023 weitergeht. Melconian und seine Mitarbeiter sollten schon jetzt angewiesen werden, konkrete Vorschläge zu unterbreiten, die zunächst unter den Unternehmen diskutiert werden, die die Stiftung leiten, und dann Massa unterbreitet werden.

Rein politisch bietet sich jetzt eine gute Gelegenheit, um die Lage einzurenken. Cristina ist politisch sehr geschwächt, und Präsident Alberto Fernández hat sich deutlich von ihr distanziert, und ist sich bewusst, dass ein Erfolg von Massa sich auch auf ihn überträgt. Der Kirchnerismus ist mit seiner verschwenderischen Sozialpolitik an ein finanzielles Ende geraten, und mit seiner unternehmerfeindlichen Haltung hat er auch nichts erreicht. Massa ist jetzt nicht mehr abhängig von der schwankenden Stimmung der Vizepräsidentin. Er kann faktisch tun, was er tun muss, ohne störende Empfehlungen von Cristina zu berücksichtigen, die auf höhere Staatsausgaben und mehr Inflation hinauslaufen. Und wenn sie wütend wird, sollte er das mit einem freundlichen Lächeln quittieren, aber weitermachen, wie wenn sie nicht existiere. Der Präsident wird ihn dabei unterstützen.

Was die Gewerkschaften und die sozialen Gruppen betrifft, die arme Bevölkerungsgruppen und auch Schwarzarbeiter vertreten, so muss Massa davon ausgehen, dass sie eine begrenzte effektive Macht haben. Auf Drohungen muss er mit Maßnahmen reagieren, die für die Gewerkschafter weniger Geld bedeuten. Massa hat gegenwärtig eine große Macht, weil er vor einer erschrockenen Gesellschaft steht, die Hyperinflation, eine tiefe Rezession und noch mehr Gewalt befürchtet.

Als Menem seine Politik einleitete, schon vor der Konvertibilität, mit der Privatisierung der Fernsehkanäle und des staatlichen Telefonunternehmens und einer strengeren Finanzpolitik, stützte er sich auf die Hyperinflationswelle, die im Februar-März 1990 ausgebrochen war und seinen Politikern eine tiefen Schrecken einflößte. Damals sprach er vor seinen Deputierten, und nutzte die Gelegenheit, um sie dazu zu bewegen, die Gesetze über Privatisierung und Staatsreform sofort zu verabschieden, was sie dann auch taten. Ein Gespräch von Massa mit Eduardo Menem und anderen, die jene Zeit als aktive Teilnehmer erlebt haben, wäre jetzt zu empfehlen. Auch darum sollten sich die Unternehmer kümmern.

In den Vereinigten Staaten ist es Massa gut gegangen. Der Internationale Wähungsfonds, das US-Schatzamt, die interamerikanische Entwicklungsbank und die Weltbank haben ihren guten Willen bekundet. Alle wollen Argentinien helfen. Aber man kann eben schließlich nur demjenigen helfen, der bereit sich, auch sich selbst zu helfen. Die Unternehmer sollten sich auch darum kümmern, direkte Beziehungen zum IWF aufzunehmen, um über die konkreten Themen zu sprechen, die der Fonds hervorhebt. Es wäre gut, wenn Melconian u.a. Ökonomen sich direkt mit Ilan Goldfaijn, dem Verantwortlichen für die westliche Hemisphäre im Fonds, u.a. Fachbeamten unterhalten könnten. Es müssen alle am gleichen Strang ziehen, damit schließlich das geschieht, was notwendig ist. Für Massa wäre dies eine große Unterstützung, die er gewiss gut brauchen kann, besonders um den internen Widerstand gegen seine Politik zu überwinden.

Schade, dass die Gelegenheit, die das IDEA-Kolloquium geboten hat, vergeudet wurde. Doch dies kann nachgeholt werden, auch wenn die einzelnen Unternehmensvertreter nicht öffentlich auftreten wollen, was verständlich ist. Nur müssen die Unternehmer verstehen, das sich Argentinien jetzt in einer Sternstunde befindet, in der das Schicksal des Landes für die nächsten Jahre bestimmt wird.



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