Von Juan E. Alemann
Die Staatsfinanzen sind aus den Fugen geraten. Neue Sozialprogramme, Subventionen für zahlreiche Unternehmen, hohe Sanitätsausgaben, die durch die Pandemie bedingt sind, all das hat eine bedeutende Zunahme der Staatsausgaben herbeigeführt. Und auf der anderen Seite sind die Steuereinnahmen und die Sozialbeiträge real stark gesunken. Das Defizit der Staatsfinanzen nimmt dabei exponentiell zu, und wird zunehmend mit Geldschöpfung gedeckt. Argentinien hat keinen Zugang zum internationalen Finanzmarkt und kann somit keine zusätzlichen Schulden aufnehmen. Kurzfristig wird bei der hohen Geldschöpfung, mit der all dies finanziert wird, nicht viel geschehen, weil die Menschen in der Krise mehr Liquidität halten und die zusätzliche Nachfrage, die dadurch entsteht, nur den Nachfrageausfall zum Teil ausgleicht, der eingetreten ist. Aber in einer zweiten Etappe entsteht eine unhaltbare Lage, mit hoher Inflation, eventuell sogar Hyperinflation, und einem wirtschaftlichen Zusammenbruch.
Gelegentlich wird die These aufgestellt, dass es sich um eine keynesianische Wirtschaftspolitik handelt. Kicillof gibt sich offen als Keynesianer aus, hat aber offensichtlich den Meister nicht ganz verstanden. Keynes trat für eine expansive Finanzpolitik und einen hohen Umfang öffentlicher Bauten ein, als sich die britische Wirtschaft, und auch weitgehend die Weltwirtschaft, in einer tiefen Depression befand. Die Banken waren damals liquide, aber die Kreditnachfrage der Unternehmen war gering, eben weil ihr Geschäftsvolumen stark gefallen war. Laut Keynes sollte sich der Staat somit verschulden, um öffentliche Bauten zu finanzieren und auf diese Weise die Wirtschaft in Gang zu setzen. Aber dieses Rezept, das US-Präsident Roosevelt schon vorher mit dem New Deal erfolgreich angewendet hatte, war gewiss nicht für die Lage gedacht, wie sie Argentinien gegenwärtig erlebt.
Bei dieser Lage sollte sich die Regierung überlegen, wo und wie sie sparen kann. Als erstes müssen Staatsinvestitionen in öffentliche Bauten beschränkt werden. Bestenfalls können Bauobjekte, die sich in Gang befinden, wie die große Abwasserröhre entlang des Riachuelo-Flusses, fortgesetzt werden. Neue Vorhaben kommen nicht in Frage. Doch der Präsident hat soeben ein Programm öffentlicher Bauten für Patagonien in Höhe von $ 2 Mrd. angekündigt und weitere Programme dieser Art für andere Provinzen in Aussicht gestellt. Und der Gouverneur von Buenos Aires, Axel Kicillof, ist dem Bespiel des Präsidenten gefolgt, und hat auch öffentliche Bauten angekündigt. All das ist heller Wahnsinn, und führt dazu, dass schließlich alle öffentlichen Bauten gestreckt werden, womit sie real (also über die Inflation hinaus) verteuert werden, wegen der fixen Kosten der Bauunternehmen und angehäuften Zinsen. Es ist viel wirtschaftlicher weniger Straßen u.a. öffentliche Investitionen gleichzeitig zu bauen, und dabei die Bauzeiten zu verkürzen. Doch das ist genau das Gegenteil dessen, was der Präsident jetzt vorhat.
Indessen ist beiläufig auch eine gute Initiative aufgekommen: eine Weißwaschung, die nur für Finanzierung von privaten Bauten und eventuell anderen Objekten bestimmt ist. Das gibt der Wirtschaft einen Schub. Schafft viele Arbeitsplätze und führt indirekt auch zu Einnahmen für den Staat. Die Weißwaschung sollte indessen auch für Zahlung von Steuerschulden eingesetzt werden können. Das gäbe dem Staat zusätzliche Einnahmen, die er dringend benötigt.
Dass den Unternehmen geholfen wird, mit weichen Bankkrediten und jetzt noch mit einem großzügigen Steuermoratorium, ist im Prinzip in Ordnung, darf aber nicht übertrieben werden. Denn sonst nimmt der Fiskus am Schluss noch viel weniger ein. Wie verlautet, arbeitet das Wirtschaftsministerium an einer Steuerreform, die auf dem Kerngedanken fußt, dass das System “progressiver” gestaltet werden soll, also mit einer stärkeren Besteuerung von Einkommen, besonders Unternehmensgewinnen und Vermögen. Dies geht an der bestehenden Problematik vorbei. Es handelt sich jetzt zunächst darum, den Unternehmen überhaupt zu ermöglichen, ihre Steuern zu bezahlen, und dann um Hinterziehung. Gewiss ist der Erlös der Einkommenssteuer, hier Gewinnsteuer benannt, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt anormal niedrig. Das beruht jedoch ausschließlich auf einer sehr hohen Hinterziehung. Denn die Steuersätze sind für Unternehmen und natürliche Personen höher als in den Vereinigten Staaten, aber der Gesamterlös liegt im Verhältnis zum BIP bei etwa einem Drittel. Argentinien hat eine anormal hohe Schwarzwirtschaft, die auch auf den steuerzahlenden Bereich abfärbt, der oft dazu neigt, teilweise auf schwarz überzugehen. Und bei höheren Steuersätzen noch mehr.
Eine Steuerreform müsste sich darauf konzentrieren, den Übergang von schwarz auf weiß zu erleichtern und zu fördern. Denn wenn die Schwarzwirtschaft nur verfolgt wird (was ohnehin nur halbherzig geschieht), dann verschlechtert sich die soziale Lage noch mehr. Außerdem müsste das Steueramt stärker außerhalb des Zoos jagen, sich also überlegen, wie man diejenigen erfasst, die ihre Steuern ganz oder zum großen Teil hinterziehen. In den letzten Jahren, schon unter der Regierung von CFK, hat es einzelne Fortschritte auf diesem Gebiet gegeben, besonders mit einer direkten Kontrolle der Schlachthöfe und des Rinderhandels, womit die vorher anormal hohe Hinterziehung stark gesunken ist. Aber es gibt noch viel mehr zu tun. Die Steuerfachleute des Schatzamtes und der AFIP müssen die Routine bei Seite lassen und kreativ denken.
Wirtschaftsminister Martín Guzmán hat fast ein Jahrzehnt in den Vereinigten Staaten verbracht, und an der Universität Columbia als Forscher und Dozent gewirkt. Er kann nicht umhin kommen, bei seinen wirtschaftspolitischen Vorstellungen in US-Kategorien zu denken. Doch damit kann er in Argentinien nicht viel anfangen, denn die argentinische Wirtschaft funktioniert ganz anders als die der Vereinigten Staaten, nämlich mit viel Schwarzwirtschaft, hoher chronischer Inflation, minimalem Bankkredit, hohem Umfang des Wucherkredites, und einem bimonetären System, bei dem die Liquidität in Dollar gehalten wird, Werte in Dollar bemessen und Immobilien direkt in Dollar bezahlt werden. Und schließlich noch zwei Aspekte: 1. Das rechtliche System lässt hier viel zu wünschen übrig, was das Verhalten der Unternehmen auch beeinflusst und sich negativ auf die Wirtschaft auswirkt. 2. Der Staat ist in Argentinien nicht glaubwürdig, so dass die Wirtschaftswelt dem Präsidenten und seinen Ministern ihre Versprechen nicht glaubt.
Auch die Unternehmerverbände haben die Lage nur halbwegs begriffen. Der Spitzenverband der Industrie, die “Union Industrial Argentina”, hat der Regierung eine Denkschrift vorgelegt, in der u.a. allerlei Steuervergünstigungen gefordert werden, die die Staatseinnahmen noch mehr verringern würden. Und andere Verbände gehen in eine ähnliche Richtung. Sie haben nicht begriffen, dass es an erster Stelle darum geht, eine Unmenge von Konkursen und Schließungen von Unternehmen zu vermeiden. Im Konkursrecht muss eine Verhandlungsstufe eingefügt werden, die dem Verfahren vorangeht. Pfändungen von Kontokorrentkonten müssen verboten werden und die ZB muss Garantien für Bankkredite für Finanzierung von Arbeitskapital gewähren, weil die Banken sonst verschuldeten Unternehmen keine Kredite gewähren können. Wobei die Krise bei vielen Unternehmen ohnehin einen hohen Schuldenberg hinterlässt, der nur langsam abgebaut werden kann. Und dann muss an spezifische Weißwaschungen gedacht werden, damit das hohe schwarze Vermögen auch zur Rettung von Unternehmen eingesetzt werden kann.
Auf spanisch sagt man bei einer Lage wie dieser, das Heilmittel wird schlimmer als die Krankheit sein. Eben weil es das falsche Medikament ist. Wenn die Regierung nicht auf die richtigen Mittel übergeht, dann wird es dem Patienten, also Argentinien, noch schlechter gehen.
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