Von Juan E. Alemann
Das bestehende Arbeitsrecht bedarf einer Reform, einmal um eine höhere Beschäftigung herbeizuführen, und dann, um eine höhere Effizienz bei den Arbeitsprozessen zu erreichen. Dabei steht das Thema Entlassungsentschädigung im Mittelpunkt: die Unternehmer befürworten eine Reform, die ihnen erlaubt Arbeitnehmer, die sie nicht benötigen, zu entlassen, und die Gewerkschaften stemmen sich dagegen, wobei es für sie nur darum geht, die bestehenden Arbeitsplätze zu erhalten, aber nicht um die Schaffung neuer. Das Beschäftigungsproblem geht sie angeblich nichts an. Die Regierung hat sich mit dem Entlassungsverbot und der Verdoppelung der Entschädigung auf die Seite der Gewerkschaften gestellt, aber der Präsident u.a. Regierungssprecher weisen stets auf die Notwendigkeit hin, die Arbeitslosen und Schwarzarbeiter in den Arbeitsprozess einzugliedern. Sie sind sich offensichtlich nicht über ihren Widerspruch bewusst.
Jetzt haben wir von einem Reformprojekt erfahren, dass eine gute Lösung für den Gegensatz bietet. Es wurde angeblich von Arbeitsrechtlern im Auftrag bestimmter Unternehmer ausgearbeitet. Leider wurde dieses wichtige Projekt nicht veröffentlicht. Wir haben jetzt Einzelheiten des Projektes durch einen Artikel des Textilunternehmers Teddy Karagozian in der Zeitung “Ambito Financiero” erfahren.
Im Reformprojekt wird die individuelle Entschädigung zu Lasten des Unternehmens durch einen Fonds ersetzt, in den das Unternehmen einen monatlichen Betrag einzahlt, wobei die Entschädigung dann vom Fonds gezahlt wird. Der Beitrag zum Fonds ist wesentlich geringer als eine individuelle Reserve für dies, weil der Betrag auf der Grundlage der Entlassenen im Verhältnis zu den Gesamtbeschäftigen berechnet wird. Das System inspiriert sich an dem der Bauwirtschaft, das 1967 (unter Juan Carlos Onganía als Präsident und Adalbert Krieger Vasena als Wirtschaftsminister) eingeführt wurde, und seither reibungslos funktioniert. Doch die Lage ist allgemein anderes, weil in der Bauwirtschaft nach Beendigung eines Bauobjektes alle Arbeitnehmer entlassen werden, während allgemein Entlassungen die Ausnahme sind.
Das Projekt enthält Einzelheiten, die besonders wichtig sind. Der Arbeitnehmer, der entlassen und dann woanders eingestellt wird, behält das Recht auf die Entschädigung im Verhältnis zu den gearbeiteten Jahren (was auf spanisch als “antigüedad” bezeichnet wird). Das bedeutet, dass er auch freiwillig zurücktreten kann, um auf einen anderen Arbeitsplatz überzugehen. Gegenwärtig würde er dabei sein schon bestehendes Entschädigungsrecht verlieren, und müsste beim neuen Arbeitsplatz von Null an anfangen. Diese Hemmung für den Wechsel des Arbeitsplatzes schädigt viele Arbeitnehmer bei ihrem sozialen Aufstieg, der über verschiedene Arbeitsplätze erfolgt. Die Mobilität ist für die Arbeitnehmer wesentlich. Und die Unternehmen müssten dabei in vielen Fällen bestimmten Arbeitnehmern höhere Löhne zahlen, um sie nicht zu verlieren. Es gäbe somit eine Lohndifferenzierung nach Leistung, Ausbildung und Vertrauenswürdigkeit, die mit zur allgemeinen Effizienzerhöhung gehört.
Dieses System erlaubt auch, Arbeitskräfte zu beschäftigen, bei denen das Unternehmen nicht weiß, ob es sie ständig braucht. Gelegentlich erhalten Unternehmen höhere Aufträge oder erleben eine Periode hoher Nachfrage, was mehr menschliche Arbeit erfordert. Gegenwärtig wird das Problem mit Überstunden, Streckung von Aufträgen oder Verzicht auf zusätzlichen Umsatz gelöst, was alles schlechte Lösungen sind. Vollbeschäftigung kann nur erreicht werden, wenn instabile Arbeitsplätze, oder solche dies es eventuell auch sind, ohne Komplikationen besetzt werden können.
Die Gewerkschaften weisen darauf hin, dass dieses System zunächst die Entlassungen fördert. Karagozian kontert, dass das Reformprojekt genau im entgegengesetzten Sinn wirkt. Denn es sieht vor, dass der Beitrag der Unternehmen zum Entlassungsfonds in umgekehrtem Verhältnis zu den durchschnittlich gearbeiteten Jahren der Belegschaft steht. Also zahlen Unternehmen mit einer hohen Rotation bei ihrer Belegschaft mehr als solche mit einer geringen. Abgesehen davon, entlässt kein Unternehmen einen Arbeitnehmer, der seine Arbeit ordentlich verrichtet und dabei auf Erfahrung zurückblicken kann. Denn ein neuer Arbeitnehmer muss erst eingelernt werden, was die Chefs stärker beansprucht, und eine geringere Leistung bedeutet. Auch die einfachste Arbeit in einem Unternehmen erfordert einen Lernprozess.
Wichtig bei diesem Projekt ist , dass es die Zahl der Prozesse verringert, weil es die Unterscheidung zwischen einer begründeten und einer unbegründeten Entlassung abschafft. Begründet ist gegenwärtig eine Entlassung, wenn der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen nicht erfüllt, oder stiehlt, oder Konflikte schafft. Das ist jedoch schwer zu beweisen, so dass es dann in der Regel zu Prozessen kommt, die die Richter meistens zu Gunsten des Arbeitnehmers entscheiden. Doch dabei muss auch der Arbeitnehmer einen Teil der Entschädigung an den Anwalt als Honorar abgeben. Der Widerstand gegen die Reform kommt daher viel mehr von den Arbeitsanwälten als von den Gewerkschaftern, die sich meistens nicht einmal die Mühe nehmen, den Fall gründlich zu durchdenken, und von ihren Anwälten beeinflusst werden. Beim Gesetz über Arbeitsunfälle und -krankeiten, das in den 90er Jahren auf Initiative von Arbeitsminister José Armando Caro Figueroa erlassen wurde, war es auch so. Das Gesetz wurde auf Druck der Lobby der Arbeitsanwälte unter Néstor Kirchner geändert, und sofort kamen wieder unzählige Prozesse auf. Bis Cristina Kirchner als Präsidenten merkte, was hier geschah, und zum ursprünglichen Text zurückkehrte, mit unbedeutenden Änderungen. Sie erwähnte dabei die Arbeitsanwälte ausdrücklich als Störungsfaktor.
Es tut uns leid, dass die Arbeitsanwälte bei der Reform Einnahmen verlieren, aber das ist gut so. Die Rechtsordnung muss so gestaltet werden, dass sie Konflikte vermeidet, die für die Wirtschaft und die Gesellschaft störend wirken. Das wurde u.a. in den 90er Jahren u.a. erreicht, als auf Initiative von Justizminister Rodolfo Barre, unter Menem als Präsident, eine obligatorische Vermittlungsinstanz bei Arbeitsprozessen und kommerziellen Prozessen eingeführt wurde, was die Zahl der Prozesse auf einen Bruchteil verringert hat.
Beim gegenwärtigen Entlassungssystem besteht ein ungelöstes Problem, das einen großen Schaden für die Arbeitnehmer darstellt. Unternehmen, die in Konkurs (“quiebra”) geraten oder sonst einfach schließen, zahlen meistens keine Entlassungsentschädigung, oder eventuell nur einen Teil der gesetzlich vorgesehenen. Sie haben einfach ken Geld dafür. Bei den über 30.000 Kleinbetrieben, die seit Eintritt der Pandemie geschlossen wurden, sind tausende Arbeitnehmer leer ausgegangen. Mit einem System des Entlassungsfonds wäre dies nicht der Fall gewesen. Die Aufgabe von Unternehmen ist in einer Marktwirtschaft eine normale Erscheinung, und sollte deshalb auch in der Arbeitsgesetzgebung vorgesehen werden.
Ein so wichtiges Projekt wie dieses sollte von der Regierung oder Unternehmerverbänden zunächst veröffentlicht und dann zur Diskussion gestellt werden. Sie sollten Arbeitsrechtler und besonders Ökonomen verpflichten, damit sie das Projekt prüfen und eventuell verbessern, und es dann erklären, besonders gegenüber Deputierten und Senatoren, aber auch Gewerkschaftlern, die noch nicht begriffen haben, dass das Projekt für Arbeitnehmer sehr vorteilhaft ist. Nach den Wahlen sollten sich Regierung und Opposition ohnehin um die strukturellen Probleme kümmern, die ein Hindernis für die Überwindung der tiefen Wirtschaftskrise notwendig sind. Die Reform des Entlassungssystems steht dabei an erster Stelle.
Comments