Von Wim van Geenen
Um es gleich vorwegzunehmen: Das Amt des deutschen Bundespräsidenten ist, allen Neutralitätsbekundungen zum Trotz, parteipolitische Verhandlungsmasse. Der Bundespräsident bekleidet noch vor dem Bundestagspräsidenten und dem Bundeskanzler das höchste Amt im Staat. Er ist die völkerrechtliche Vertretung der Bundesrepublik, kann in bestimmten Fällen den Bundestag auflösen und soll auf die Bevölkerung eine integrative Wirkung haben. Eine derartige Personalentscheidung würde keine Partei dem Zufall überlassen. In Koalitionsverhandlungen wird deshalb immer auch darum gepokert, wer ins Schloss Bellevue einzieht.
Mit dem anstehenden Ende der fünfjährigen Amtszeit von Frank-Walter Steinmeier am 18. März stellt sich die Frage nach dessen Wiederwahl. Schließlich sind es derzeit drei Sozialdemokrat*innen, welche die höchsten Staatsämter besetzen. Kanzler Scholz und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sind ebenso SPD-Mitglieder wie Bundespräsident Steinmeier, auch wenn dieser (wie alle Bundespräsidenten) seine Parteimitgliedschaft für die Dauer seiner Amtszeit ruhen lässt.
Die in dieser Woche entstandene Einigkeit darüber, Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident wiederzuwählen, darf in Teilen erstaunen. Nachdem sich am Dienstag die Grünen als letzte Ampel-Partei ebenfalls für ihn ausgesprochen hatten, zogen am Mittwoch die Unionsparteien nach und verkündeten eine einstimmige Entscheidung für Steinmeier. Es wird aus den Reihen der demokratischen Parteien bis zum jetzigen Moment also keinen Gegenkandidaten geben. Das ist einerseits verwunderlich, denn auch wenn Steinmeier stets nur winkt, grüßt, mahnt und unterschreibt, geht es immerhin um das höchste Amt im Staat. Hier sollte sich die Opposition einmischen. Andererseits ist gerade die Zustimmung der Union dann doch wenig verwunderlich. Steinmeier gilt in der Bevölkerung als beliebt und international als hoch angesehen. Die CDU witterte hier die Chance, sich als „konstruktive Opposition“ zu beweisen. Sich hinter ohnehin beliebte Amtsträger zu stellen ist politisch wahrlich kein großes Kunststück.
Gleichzeitig ist Frank-Walter Steinmeier ein alter, westdeutscher Mann. Ein Profil, das ihn in der Berliner Spitzenpolitik nicht gerade einzigartig macht. Die stets von einer Kirchentagsaura umgebene Katrin Göring-Eckhardt wäre als „Grüne Frau aus dem Osten“ die dem Zeitgeist noch etwas mehr entsprechende Alternative gewesen. Eine strategisch denkende Union hätte sich im Sinne einer vorgeblichen Modernisierung des Landes hinter sie gestellt oder eine andere progressive Frau vorgeschlagen - um dann genüsslich zu lauschen, wie es innerhalb der Ampel-Koalition zu knirschen beginnt. Allerdings entschied sich die Union für den bequemeren Weg - vielleicht auch, da seit der verunglückten Ministerpräsidentenwahl in Thüringen nur schwer einzuschätzen ist, wer sonst noch für einen eigentlich aussichtslosen Kandidaten stimmen könnte. Ebenfalls wäre es (wie von Teilen der Union zeitweise angedacht wurde) ein mögliches Eigentor, eine aussichtslose Kandidat*in nur um der Diversität willen ins Rennen zu schicken.
Die Grünen standen vor einer ähnlichen Zwickmühle. Sie hätten mit Katrin Göring-Eckardt zwar die „passende“ Kandidatin gehabt, haben sich aber mit Steinmeier für den Koalitionsfrieden entschieden. Wenige Wochen nach Amtsantritt wäre es noch zu früh, um mit einer eigenen (und zudem aussichtslosen) Gegenkandidatin Unruhe zu stiften. Bezahlt wurde dieser Frieden jedoch mit den feministischen Idealen der Partei. Es sind eben jene Grünen, die stets von Diversität reden, die nun einem 66-jährigen Mann für weitere fünf Jahre ins Amt helfen werden. Damit bleiben sie zumindest sich selbst treu - Beobachter munkeln, es sei nicht das erste Mal, dass Grüne in Regierungsfunktionen ihre zuvor hochgehaltenen Ideale preisgeben.
Besser gemacht hat es in diesem Sinne die FDP: Diese hatte sich bereits früh für Steinmeier entschieden und nicht, wie die Union, bis zum letzten Moment gezaudert. Damit gelingt ihr Zweierlei: Einerseits unterstreicht sie als kleinste Koalitionspartei die eigene Bedeutung bei der Besetzung hoher Ämter; andererseits markierte sie das Spielfeld, um einer eventuellen Grünen Kandidatin bereits im Vorfeld ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen. Obwohl die junge Koalition noch sehr harmonisch wirkt, muss davon ausgegangen werden, dass in Berlin sehr wohl darauf geachtet wird, welcher Partner welche Ämter besetzt. Gerade die FDP als kleinste Partnerin dürfte trotz ihrer attraktiven Ministerposten genau darauf schauen, auf welche Positionen sich die ideologisch teils weit entfernten Grünen bewegen.
Ob Steinmeier tatsächlich ein zweites Mal Bundespräsident wird, entscheidet letztendlich die Bundesversammlung. Diese besteht in gleicher Anzahl aus den Abgeordneten des Bundestages und Vertretern der Länder. Auch dort wollen Mehrheiten organisiert werden. Abseits der Parteipolitik stellen sich jedoch noch einige grundsätzliche Fragen. Wo genau zeigt sich eigentlich jener gesellschaftliche Zusammenhalt, den Bundespräsident Steinmeier diversen Parteivorsitzenden zufolge in großem Umfang erzeugt haben soll? Ist er sichtbar, messbar oder zumindest spürbar? Nach der Flutkatastrophe im Juli war die Hilfsbereitschaft groß. Das ist nach einer Katastrophe diesen Ausmaßes wohl keine wirkliche Überraschung. Jenseits der Naturkatastrophe wirkt es jedoch, als wäre hier der Anspruch rückblickend zur Wirklichkeit erklärt worden.
Die Debatte um die Impfungen ist nicht das einzige Feld, auf dem derzeit wenig Dialogbereitschaft vorhanden zu sein scheint. Vom Arbeits- über den Wohnungs- bis in den Supermarkt ist die „Spaltung“ der Gesellschaft in vollem Gange. „Neutral“ zu sein ist dabei etwas, das man sich leisten können muss. Frank-Walter Steinmeier könnte in einer zweiten Amtszeit dahingehend noch einige Akzente setzen.
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