Von Juan E. Alemann
Das politische Szenarium wird in Argentinien von der tiefen Kluft überschattet, die zwischen den Regierungsanhängern und der Opposition besteht. Dies führt bei Wahlen zu einer Polarisierung der Stimmen: man wählt für oder gegen die Regierung, wobei die negative Motivation bei vielen Wählern stärker wiegt als die positive. Viele Menschen wollen, dass diese pittoreske Regierung verschwindet, deren führende Persönlichkeit, Cristina Kirchner, sich krampfhaft bemüht einer Verurteilung ihrer gigantischen Korruption als Präsidentin vor 2015 zu entgehen. Auch der Präsident Alberto Fernández, mit seinen ständigen Widersprüchen, seiner offensichtlichen Ratlosigkeit, und jetzt noch mit dem Skandal des Geburtstagsfestes seiner Gefährtin Fabiola, stößt auf Ablehnung.
Wenn die negative Motivation überwiegt, dann erhält die Koalition, die als Gegensatz auftritt, mehr Stimmen. Auch führt das dazu, dass die drei Parteien, die sie bilden, UCR, PRO und Coalición Cívica, zusammenhalten und ihre Differenzen bei Seite lassen. Die Politiker der drei Parteien sind sich bewusst, dass sie zusammen eine Wahl gewinnen können, getrennt jedoch nicht. Wie in jeder Partei, müssen sie unterschiedliche Meinungen unter sich diskutieren, aber öffentlich als Einheit auftreten
Diese Konstellation führt beiläufig dazu, dass andere Parteien zur Bedeutungslosigkeit verurteilt werden. Wo Polarisierung besteht, gibt es in der Regel ein Zweiparteiensystem, wie in den Vereinigten Staaten und früher auch in Deutschland und vielen anderen Ländern. Die internationale Erfahrung zeigt, dass dies positiv wirkt, da Parteien, die eine wirkliche Chance haben, an die Regierung zu gelangen, von Phantasien Abstand nehmen. Das hat der verstorbene radikale Politiker Raúl Baglini seinerzeit zum Ausdruck gebracht, als er sagte, die Nähe zu einer effektiven Regierungsmöglichkeit mache Politiker vernünftiger.
Argentinien befindet sich in einer tiefen und vielfältigen Krise, die wirtschaftlich und sozial ist, aber auch die Sicherheit der Bevölkerung, die Gesundheitsbetreuung und den Drogenhandel betrifft. Um Lösungen für diese Probleme in Angriff zu nehmen, müssen sich die beiden großen politischen Koalitionen, die Front für alle (Frente de todos) und “Zusammen für den Wandel” (Juntos por el cambio) in grundsätzlichen Themen einigen. So wie es u.a. in den Vereinigten Staaten zwischen Demokraten und Republikanern der Fall ist. Denn sonst entsteht beim Übergang der Regierung von einer auf eine andere Partei eine totale Verwirrung, die die bestehende Regierung schwächt und auch der nächsten, unabhängig von der Partei, ein Schwächezeichen aufdrückt.
Um diese Reife zu erhalten, muss sich die regierende Koalition von Cristina befreien, für die es nicht um das Schicksal Argentiniens, sondern um ihre bösen Prozesse geht. Außerdem muss man die kommunoiden Vorurteile von ihr und vielen ihrer Anhänger auch in den Papierkorb werfen. In der Regierungskoalition sind sich viele, vor allem traditionelle Peronisten, dessen bewusst, wissen aber nicht, wie sie das Problem anpacken sollen.
In Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien ist das Zweiparteiensystem inzwischen durch eines mit vielen Parteien ersetzt worden, die den traditionellen ihre politische Stellung streitig machen. Das funktioniert, vor allem in Italien und Spanien, mit politischen Reibungen, die den Ländern nicht gut bekommen. Doch reifere Gesellschaften, wie die deutsche, vertragen es schließlich, weil auch die Außenseiter und die Neuaufkömmlinge keinen Stuss äußern können, weil sie dann von der Gesellschaft abgelehnt werden. In Argentinien sind wir aber noch lange nicht so weit. Ohne Zweiparteiensystem entstünde Chaos, noch viel größer als jetzt.
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