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Die Notwendigkeit einer umfassenden Wirtschaftspolitik

Von Juan E. Alemann

Martin Guzman
Wirtschaftsminister Martín Guzmán.

Die Regierung hat keine Wirtschaftspolitik. Es werden vereinzelte Maßnahmen getroffen, um konkrete Probleme zu lösen, aber es fehlt ein Gesamtkonzept. Und schlimmer noch als das ist die Tatsache, dass sich die konkreten Maßnahmen widersprechen. So werden auf der einen Seite Preise eingefroren oder unter der allgemeinen Inflation erhöht, und auf der anderen Lohnzunahmen gefördert, die über der Inflation liegen und diese antreiben.

Präsident Alberto Fernández äußert gute Absichten, aber dabei bleibt es. Und Wirtschaftsminister Martín Guzmán kümmert sich um die Staatskasse, die Beziehungen zum Internationalen Währungsfonds und zu anderen Gläubigern, aber äußert auch kein wirtschaftspolitisches Konzept. Wenn Handelssekretär Roberto Feletti sagt, er kümmere sich um die Preise der Produkte des täglichen Haushaltsbedarfs, aber die Inflation sei Sache des Wirtschaftsministers, so hat er recht. Denn um die Inflationsrate zu senken muss nicht nur die Staatskasse in Ordnung gebracht werden und für das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz gesorgt werden, sondern auch eine vernünftige Lohnpolitik eingeleitet und noch viel mehr getan werden. Doch über dies äußert die Regierung, in der Person des Präsidenten und auch anderer hoher Beamten, kein Konzept, das mit Stabilisierung vereinbar ist, sondern sie trifft Maßnahmen, die die Preis-Lohnspirale beschleunigen.


Die gedrückte Stimmung und die Tatsachen

Der angesehene Konsumexperte Guillermo Olivetto bemerkt in einem Artikel in der Zeitung “La Nación” (11.4.22), dass die gedrückte Stimmung nicht den Tatsachen entspricht. Umfragen ergeben, dass 63% der Bevölkerung der Meinung ist, dass die wirtschaftliche Lage in einem Jahr noch schlechter als jetzt sein wird, während nur 26% eine Besserung erwartet. Olivetto weist darauf hin, dass beim Vergleich von Januar 2022 mit 2021 (und nicht mit dem Krisenjahr 2020) das Bruttoinlandsprodukt um 5,4% höher ist, und Restaurants und Hotels ein Plus von 54% aufweisen, Im Februar verzeichnet die Bautätigkeit eine interannuelle Zunahme von 8,4%, und die Industrie eine von 8,7%. Und es gibt noch viele weitere Zeichen der Besserung.

Und bei der Landwirtschaft sieht das Bild besonders gut aus. Die gesamten Ernten von Getreide und Ölsaat sind heute, auch in Dürrejahren, mehr als doppelt so hoch wie in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts, und peilen neue Rekorde an, von über 140 Mio. Jato. Der phänomenale technologische Fortschritt der Landwirtschaft, und der Unternehmergeist der Landwirte, zeigen ein Bild, dass nichts mit dem Stadtpessimismus zu tun hat.

Olivetto meint, dass die hohe Inflation dazu beiträgt, den Pessimismus zu schüren. Mit einer Jahresinflation um die 20% fand sich die Bevölkerung irgendwie zurecht, aber bei über 50% wird sie verängstigt, wobei bestimmte Zunahmen, die bis zu 100% in kurzer Zeit reichen, die Konsumenten besonders erschrecken.

Die Regierung nimmt dabei eine passive Haltung ein. Außer Produktionsminister Kulfas weist kaum ein hoher Beamter des wirtschaftlichen Bereichs auf positive Entwicklungen hin. Dies war auch bei vorangehenden Regierungen nicht viel anders. Offensichtlich befasst sich niemand in der Regierungsstruktur mit der Sammlung guter Daten und Tatsachen, um sie zu verbreiten. Gewiss: im Journalismus gilt der Grundsatz, dass gute Nachrichten keine Nachrichten sind. Die Regierung muss sich eben darum kümmern, dass die guten Nachrichten auch sichtbar werden, ohne dies aggressiv zum Ausdruck zu bringen. Denn wenn allgemein der Eindruck besteht, dass eine tiefe Krise besteht und es noch schlimmer wird, dann handeln Unternehmer u.a. entsprechend, und das wirkt rezessiv und inflationär.


Die Erfüllung der IWF-Ziele

Wirtschaftsminister Guzmán weicht der grundsätzlichen Frage über die Wirtschaftspolitik aus, und beschränkt sich auf die Erfüllung des Abkommens mit dem IWF. Im ersten Quartal 2022 wurde das primäre Defizit gesenkt, die Geldschöpfung stark verringert und die ZB-Reserven nahmen zu. Er war in dieser Hinsicht erfolgreich. Das primäre Defizit darf laut Abkommen dieses Jahr nicht über 2,5% des Bruttoinlandsproduktes liegen, und im 1. Quartal nicht über 0,32% des BIP. Faktisch lag es im ersten Bimester nur bei 0,13% des BIP, Guzmán weist darauf hin, dass er das für das 1. Quartal vereinbarte Ziel bequem erfüllt hat.

Der Betrag, den die ZB dem Bundesstaat überträgt, wird voraussichtlich weit unter der für das 1. Quartal festgesetzten Obergrenze von $ 236, Mrd. liegen, nachdem im 1. Bimester nur $ 93 Mrd. waren. Schließlich haben die u$s 9,7 Mrd., die der IWF an der Staat gezahlt hat, auch erlaubt, Zahlungsverpflichtungen von u$s 2,8 Mrd. bequem zu erfüllen. Guzmán will den Eindruck vermitteln, dass er die Staatsfinanzen fest im Griff hat. Doch was ihm im 1. Quartal 2022 gelungen ist, wird in den kommenden Quartalen auch strukturelle Reformen erfordern, die auf faktischen und politischen Widerstand stoßen. Ist er sich dessen bewusst?

Die Zahlungsbilanz weist eine merkwürdige Lage auf. Die beste Weizenernte aller Zeiten, von 21,8 Mio. Tonnen, von der ca. 70% schon exportiert wurde, zu besonders hohen Preisen, hat wesentlich zum Export beigetragen. Für ganz 2022 wird damit gerechnet, dass die Exporte von Getreide, Ölsaaten und ihren Industrieprodukten zwischen u$s 36 und u$s 39 Mrd. erreichen, 54% über dem Durchschnitt 2017/20 und 50% über 2019. Trotz dieser Dollarschwemme gelingt es der ZB nicht, die Reserven entsprechend zu erhöhen, obwohl die Importe vom Produktionsministerium und der ZB drastisch gehemmt werden. Wie weit dies durch eine Kurskorrektur (von ca. 30%?) wieder normalisiert wird, lässt sich nicht sagen. Der bestehende Wechselkurs reicht für Getreide, Ölsaaten und ihre Industrieprodukte aus, aber eben nicht für andere Produkte, vor allem der Industrie, die nicht auf der Landwirtschaft fußt. Eine echte Exportpolitik muss jedoch umfassend sein, um die vielen Möglichkeiten nutzen, die schon bestehen.

Guzmán reist jetzt nach Washington, um an der Generalversammlung des IWF teilzunehmen, was ihm auch erlaubt, mit den für Argentinien zuständigen Beamten des Fonds persönlich zu sprechen. Er will ihnen zeigen, dass er sich an die vereinbarten Ziele halten will und dabei erfolgreich ist. Im Grunde ist das Abkommen mit dem IWF sein Wirtschaftsprogramm. Doch in Wirklichkeit ist es nur ein Finanzprogramm, das auf schwachen Füssen steht, wenn es nicht von einer umfassenden Wirtschaftspolitik gestützt wird, die an erster Stelle auch die Arbeits- und Lohnpolitik, aber auch die Landwirtschaftspolitik, die Energiepolitik u.a. Aspekte der Wirtschaft einschließt.


Das Problem der Einkommensverteilung

Die Wirtschaft steht jetzt vor einem Grundproblem: die Preise von Weizen, Mais und Sonnenblume sind infolge des Ukraine-Krieges stark gestiegen, und das wirkt sich intern auf Weizenmehl (also auch auf Brot und Teigwaren), Maismehl (Polenta) und Speiseöl aus, indirekt auch auf den Preis von Hühnern, Schweinen und Rindern, die auch mit Mais gefüttert werden. Feletti besteht auf der These, dass der interne Preis dieser Produkte von dem internationalen abgekoppelt werden müsse, was im Klartext eine Erhöhung der Exportzölle bedeutet. Doch auf der anderen Seite braucht Argentinien dringend höhere Exporte, die an erster Stelle die Landwirtschaft bieten kann. Zu höheren Preisen von Getreide und Ölsaat wird mehr produziert, einmal durch intensivere Düngung, eventuell auch durch Bewässerung, und dann durch Ausdehnung der Saaten auf Grenzgebiete, in denen es weniger regnet und Dürren häufiger sind. Landwirtschaftsexperten stellen für dieses Jahr geringere Aussaaten von Weizen und Mais wegen des Preissprunges bei Düngemittel in Aussicht. Achtung!

Die internen Preise landwirtschaftlicher Produkte werden ohnehin schon durch einen zurückgebliebenen Wechselkurs gedrückt, zu dem die bestehenden Exportzölle hinzukommen, Das erscheint als zu viel. Beiläufig besteht ein legales Problem mit den Exportzöllen, das jedoch durch ein Gesetz gelöst werden kann. Aber die Regierung hat bisher kein Gesetz in diesem Sinn im Kongress eingebracht. Exportzölle bestehen seit den 59er Jahren des vorigen Jahrhunderts und sind auch im Zollgesetzbuch vorgesehen. Vor den Exportzöllen gab es differenzierte Wechselkurse, die die gleiche Wirkung hatten. Für landwirtschaftliche Exporte galt der niedrigste Kurs.

Im Grunde geht es darum, dass man nicht übertreiben soll. In der Regierung tritt Landwirtschaftsminister Julián Domínguez entschieden gegen eine Erhöhung der Exportzölle und somit gegen Handelssekretär Roberto Feletti auf, und weder Präsident Fernández noch Wirtschaftsminister Guzmán nehmen Stellung dazu. Es muss eine offizielle Definition geben, um klare Spielregeln für die Landwirtschaft, die Mühlen und Speiseölfabriken zu schaffen.

Solange der Präsident an der These der Erhaltung des Reallohnes festhält, die die Gewerkschaften zum Dogma gemacht haben, kann er das Problem mit der Landwirtschaft nicht lösen. Der Reallohn muss sich aus den wirtschaftlichen Umständen ergeben, aber er kann nicht an das Einkommen der Landwirtschaft gebunden werden. In den USA, der EU und anderen Staaten erhalten die Landwirte viel höhere Preise als in Argentinien, aber der Reallohn ist gleichzeitig auch viel höher als hier. Die Regierung sollte sich somit bemühen, den Preis von Getreide, Ölsaat und auch Rindfleisch vom Reallohn abzukoppeln.


Bleibt Martín Guzmán im Amt?

Die fehlende Wirtschaftspolitik führt auch dazu, dass das Verbleiben von Martín Guzmán im Amt beanstandet wird. Cristina will, dass er geht, und auch Produktionsminister Matías Kulftas und ZB-Präsident Miguel Angel Pesce. Aber Präsident Alberto Fernández stützt sie und will eventuell andere Minister oder Staatssekretäre ersetzen. Angeblich soll es nach dieser Osterwoche eine Entscheidung geben. Doch bei diesem Präsidenten, dem Entscheidungen schwer fallen, und der außerdem jetzt wieder Vater geworden ist (was ihn von der Regierungstätigkeit ablenkt), weiß man nie, was er vorhat.

In der Tat ist es gefährlich Guzmán gerade jetzt zu entlassen, da das Abkommen mit dem Fonds abgeschlossen ist, er aber weiter verhandelt. Denn im Grunde handelt es sich beim Abkommen um eine Dauerverhandlung, bei der die Regierung schließlich gezwungen ist, harte Maßnahmen zu treffen, um die Auflagen erfüllen zu können. In der Tat sollte er auf alle Fälle bei den Beziehungen zum IWF weiter mitwirken, auch wenn er nicht mehr Wirtschaftsminister ist. Produktionsminister Matías Kulfas macht seine Arbeit gut, spricht mit Unternehmern und ist grundsätzlich pragmatisch. Er sollte auf alle Fälle im Amt bleiben. Und Pesce verwaltet die Devisenbewirtschaftung so gut wie er kann, entscheidet jedoch nicht über grundsätzliche Aspekte der Wirtschaftspolitik.

In der gegenwärtigen Lage erscheint ein Wirtschaftsminister notwendig, der seine Rolle voll ausübt. Etwa wie Cavallo unter Menem. Der Präsident müsste ihm einen weiten Entscheidungsbereich überlassen, und ihm politische Rückendeckung geben, wie es bei Menem mit Cavallo der Fall war. Auch Cristina darf nicht mehr mitmischen. Gibt es einen Kandidaten, der die Bedingungen erfüllt, die ein Wirtschaftsminister in dieser schweren Stunde erfordert? Gute Ökonomen gibt es sehr viele. Macri hatte mehrere in seiner Regierung. Prat Gay, Sturzenegger, Melconian, Dujovne, Lacunza u.a. In der Regierungspartei sind sie vorerst dünn gesät. Aber es gibt sie auch. Emanuel Alvarez Agis, der angeblich eine gute Beziehung zum Präsidenten hat und, mit Kicillof als Wirtschaftsminister, Staatssekretär für Wirtschaftspolitik war, hat ein gutes Niveau, ebenso wie andere, die weniger bekannt sind und meistens abseits der Politik stehen. Auch ist die Rede vom ehemaligen ZB-Präsidenten Martín Redrado, der mit viel Erfahrung zählt. Auch Cristina hat keinen Kandidaten, wobei ihr Lieblingskandidat Axel Kicillof jetzt in der Provinz beschäftigt ist, und ohnehin nicht die Bedingungen erfüllt, die jetzt notwendig sind. Ein Wirtschaftsminister muss außerdem eine starke Persönlichkeit haben, politisches Talent aufweisen und es verstehen, sich in schwierigen Momenten durchzusetzen.

Allein, die Suche nach einem Wirtschaftsminister kommt eigentlich an zweiter Stelle. An erster kommt die Überzeugung des Präsidenten, dass er einen echten Minister braucht, und auch bereit ist, ihm die notwendige Macht zu geben. Und dann kommt noch Cristina hinzu, die eventuell gute Kandidaten ablehnt, weil sie ihre Ideologie nicht teilen. Der Präsident muss Cristina ganz beiseitelassen. Das ist die ersten Voraussetzung für die Einrenkung der Lage. Und dann muss er sich gut beraten lassen.


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