Von Juan E. Alemann
Die argentinische Wirtschaft weist Eigenarten auf, die einzigartig in der Welt sind, aber verstanden werden müssen, um die bestehende Krise zu überwinden, und den Weg des Wachstums, der stark abnehmenden Inflation und der schrittweisen Lösung der komplexen sozialen Probleme zu erreichen. Sonst bleibt alles bei guten Absichten. Yanet Yellen, die für die Staatsfinanzen der USA verantwortlich zeichnet, sagte zu Guzmán beim Treffen in Venedig, sie wolle verstehen, was in Argentinien geschieht, und bat Guzmán, es ihr zu erklären. Obwohl sie sich 45 Minuten unterhielten, gelang es Guzmán nicht, ihr eine überzeugende Erklärung zu geben. Im Grunde hat er eben die argentinische Wirtschaftsrealität auch nicht verstanden.
Er machte Mauricio Macri für die Schuld für die kritische finanzielle Lage verantwortlich, und fügte dabei hinzu, dass 50% des IWF-Kredites (er nannte die Zahl von u$s 24 Mrd.) für Kapitalflucht eingesetzt worden seien. Abgesehen davon, dass dies nicht stimmt, zeigte auch er dabei, dass er das Problem der Staatsschuld nicht verstanden hat. Frau Yellen forderte, dass die argentinische Regierung einen Plan zur Bekämpfung der Inflation und eine Wachstumsstrategie vorlege, und betonte, dass dieses Programm die Zustimmung des Internationalen Währungsfonds haben müsse. Dass sie das strukturelle Problem der argentinischen Wirtschaft nicht versteht, ist begreiflich. Denn die Welt funktioniert eben ganz anders als Argentinien. Doch dass es Wirtschaftsminister Guzmán nicht erkennt, ist verhängnisvoll. Denn ohne Erkenntnis der Realität gibt es keine Lösung.
Fangen wir mit dem IWF-Kredit an. Diese Mittel wurden vornehmlich eingesetzt, um Schulden zu zahlen, also staatliche Titel, die nach und nach verfielen. Der größte Teil stammte aus der vorangehenden Regierung. Die Diskussion über die Verantwortung für die Staatsschuld ist abwegig. Die Staatsverschuldung ist eine direkte Folge des Defizites der Staatsfinanzen, das unter den Regierung von Cristina stark zunahm und Macri dann senkte, aber nicht ausmerzen konnte. 2019 stand Macri vor der Alternative, einen Default zu erklären oder einen Megakredit des Fonds zu erhalten, um die Amortisation der Staatstitel, die damals nach und nach verfielen, zahlen zu können. Diese Alternative war eine direkte Folge der PASO-Wahlen, bei denen die Formel der beiden Fernández, Alberto und Cristina, mit 15 Prozentpunkten vor der von Macri mit Pichetto gewann.
Cristina hat als Präsidentin klar gezeigt, dass sie es mit Schuldverpflichtungen nicht ganz Ernst nimmt und die Spielregeln der internationalen Finanzwelt missachtet. Ihr Wahlsieg bei den PASO-Wahlen, der dann in den allgemeinen Wahlen mit einem viel geringeren Vorsprung bestätigt wurde, wirkte wie ein dunkler Sturmschatten auf die Macri-Regierung. Das Problem Argentiniens ist nicht die Staatsverschuldung als solche, sondern die Tatsache, dass die Spielregeln nicht eingehalten werden. Cristina fügt allein durch ihre Präsenz der argentinischen Wirtschaft einen phänomenalen Schaden zu. Kein Land kann seine Staatsschulden zahlen, ohne neue Schulden aufzunehmen. Und das setzt ein bestimmtes Verhalten voraus, das Cristina nicht hat. Die Tatsache, dass Argentinien aus dem weltweit üblichen System der automatischen Schuldenerneuerung ausgeschlossen ist, stellt die erste Eigenart des Landes dar. Der argentinische Staat kann auf Jahre hinaus keine Titel auf dem internationalen Finanzmarkt unterbringen.
Dies wird auch von Minister Guzmán nicht begriffen. Die Rechnung mit der Amortisation der Schuld gegenüber dem IWF, plus weiterer verpflichteter Amortisationen geht auch in 10 Jahren ohne Neuverschuldung nicht auf. Das Programm muss somit als erstes zukünftige Kredite der Weltbank, der BID, der Andenköperschaft und der chinesischen Förderungsbank einkalkulieren. Und dann muss auch mit normalen Bankkrediten für Finanzierung von Kapitalgüterlieferungen gerechnet werden, was voraussetzt, dass die bestehende Schuld mit den Staaten des Pariser Klubs ohne Konflikte abgebaut wird. Aber mit Mitteln, die auf dem Finanzmarkt aufgenommen werden, kann Argentinien auf Jahre hinaus nicht rechnen. Dessen muss sich Guzmán bewusst sein.
Doch darüber hinaus muss man verstehen, dass die sogenannte Kapitalflucht zum allergrößten Teil keine solche ist, sondern nur eine Haltung von Liquidität in Dollar. In einem Inflationsland wie Argentinien, bei dem die Inflationsmentalität und die Furcht vor Hochinflation und Hyperinflation auf Jahre hinaus verbleiben werden, muss man den Tatbestand berücksichtigen, dass die Liquiditätshaltung in Pesos auf ein Minimum reduziert wird, also nur auf den Betrag, der für unmittelbare Zahlungen eingesetzt wird. Der Rest wird vornehmlich in Dollar gehalten, eventuell auch in Euros.
Wenn man dies begreift, muss man sich auch überlegen, wie man damit zurechtkommt. In diesem Sinn besteht nur eine Möglichkeit: die Legalisierung des freien Devisenmarktes, so dass die schwarzen Transaktionen und auch solche, die über Kauf und Verkauf von Staatstiteln in Dollar erfolgen, über diesen Markt gehen. Und gleichzeitig muss es eine Weißwaschung für Dollaranlagen geben, also für Dollardepositen bei lokalen Banken und für Kauf von Staatstiteln in Dollar. Und dann muss die ZB-Bestimmung von 2002 aufgehoben werden, die Dollarkredite für interne Geschäfte verbietet. Das bimonetäre Währungssystem, das faktisch schon besteht, muss formell anerkannt werden, so dass laufende Transaktionen in Pesos erfolgen, aber Kapitaltransaktionen (Spar- und Fristdepositen bei Banken und Bankkredite, Immobilienkäufe u.a.) in Dollar.
Hier kommt gleichzeitig eine weitere Eigenart der argentinischen Wirtschaft zum Vorschein: der anormal hohe Anteil der Schwarzwirtschaft, der irgendwo zwischen 30% und 40% des Bruttoinlandsproduktes liegt. So etwas mag es in extrem unterentwickelten Ländern geben, sollte aber in Argentinien nicht sein. Aber es ist ein Fehler, das Problem zu verneinen, oder heuchlerisch eine effektive Bekämpfung der Schwarzwirtschaft zu fordern. Gewiss könnte die Schwarzwirtschaft wirksamer bekämpft werden, denn sie ist in vielen Fällen offen sichtbar. Aber dann würde die Arbeitslosigkeit noch weiter in die Höhe springen, und das hätte auch noch mehr Armut und auch Hunger zur Folge.
Zunächst muss davon ausgegangen werden, dass man mit dieser hohen Schwarzwirtschaft zusammenleben muss. Dann muss man verstehen, dass periodische Weißwaschungen ein normaler Bestandteil der Rechtsordnung sind, damit Mittel, die in der Schwarzwirtschaft geschaffen wurden, im legalen Bereich eingesetzt werden können. Schließlich muss man den Übergang von schwarz auf weiß erleichtern. Das bedeutet als erstes, dass ein Unternehmen, das schwarz tätig ist und auf den legalen Bereich übergehen will (was beim Wachstum der Unternehmen eine normale Erscheinung ist) keine Steuern und Sozialbeiträge für die vergangenen Jahre zahlt, und bei den Arbeitnehmern der Arbeitsvertrag erst im Moment des Übergangs auf die normale Wirtschaft wirksam ist. Man kann den Arbeitnehmern eventuell einige Jahre anrechnen, um später eine eventuelle Entlassungsentschädigung zu berechnen. Aber die Schwarzarbeiter können nicht beanspruchen, dass sie rückwirkend als legal eingestellte Arbeiter eingestuft werden, und das Unternehmen die geschuldeten Sozialbeiträge zahlt. So etwas ist einfach irreal, und führt dazu, dass die Schwarzwirtschaft schwarz bleibt.
Wenn diese Eigenarten der argentinische Wirtschaft nicht begriffen werden, hat ein Umschuldungsabkommen mit dem IWF, wie immer es gestaltet wird, keine solide Grundlage, und enthält im Keim schon eine spätere neue Umschuldung.
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