Von Juan E. Alemann
Der Präsident hat in Argentinien, laut Verfassung und politischen Gepflogenheiten, eine sehr große Macht, die er in Krisenzeiten voll einsetzten muss. Denn es geht dabei um schwierige und konfliktbringende Entscheidungen. Dass Alberto Fernández ausgerechnet in dieser schweren Stunde von Cristina und ihren Leuten heftig kritisiert wird und dabei nachgiebig reagiert, stellt seine Autorität in Frage und macht alles noch schwieriger. Dass er auf die pöbelhaften Anschuldigungen von Hebe Bonafini mit einem Schreiben geantwortet hat, ist ein offenes Schwächezeichen, ebenso wie sein Telefonanruf an den cristinatreuen Journalisten Victor Hugo Morales, der ihn scharf kritisiert hatte. Er hätte von all dem nicht Notiz nehmen oder es mit einer Randbemerkung bewenden lassen sollen. Hebe und Victor Hugo haben offensichtlich auf Anweisung von Cristina gehandelt oder sie zumindest interpretiert, und AF ist auf ihr Spiel eingegangen. Ebenfalls war es falsch, das er das Iran-Abkommen jetzt rechtfertigte, nachdem er es seinerzeit heftig kritisiert hatte. Er hätte sagen sollen, dass das Thema der Justiz unterstehe, und er weder eingreifen könne noch wolle.
Verteidigungsminister Agustín Rossi, der zum Kern der politischen Führung der Partei gehört, sagte ohne Umschweife, jetzt müssten alle den Präsidenten stützen. Die interne Diskussion in der Regierungskoalition käme später. Auch andere haben danach in die gleiche Kerbe gehauen, weil sie begriffen haben, dass ein Versagen von AF sie alle mitreißen würde. Dieses Bewusstsein gibt AF jetzt die Möglichkeit, sich von Cristina zu lösen und seine Autorität zu festigen.
Cristina denkt prinzipiell anders als Alberto. Bei ihr kommt ständig ihre marxistisch gefärbte Anschauung zum Vorschein. Néstor Kirchner war mehr Pragmatiker als Ideologe, Alberto ist es noch mehr, und bei ihr ist es umgekehrt. Sie wird bei ihrer Haltung von Mitgliedern von “La Cámpora” angespornt, die noch extremer als sie sind, und auch in mehr Staatsintervention und mehr unternehmerischem Staatsbesitz Möglichkeiten für gutbezahlte Posten sehen. Für diese Ideologen ist die tiefe Krise eine Chance für eine Revolution im Sinn von Fidel Castro oder Hugo Chávez.
Doch abgesehen von ihrer Meinung über die Regierungsführung, kommt bei Cristina die Nervosität wegen ihrer Prozesse zum Ausdruck. Sie will, dass AF die Richter, die ihre Korruptionsfälle behandeln, unter Druck setzt, und Wege findet, um ihre Prozesse zu beenden. Doch das ist für AF nicht möglich. Die Opposition ist auf diesem Gebiet sehr wachsam und verfolgt die Prozesse eingehend. Und der Journalismus sorgt dafür, dass die Richter die Prozesse weiterführen. Diese wissen sehr gut, dass sie bei widerrechtlichen Entscheidungen gelegentlich zur Verantwortung gezogen werden. Auch andere hohe Beamte scheuen sich davor, ihre Unterschrift für gesetzwidrige Beschlüsse herzugeben. Das betrifft u.a. die AFIP-Leiterin Mercedes Marcó del Pont, die deshalb von Cristinisten Marcó del PRO benannt wird.
Gelegentlich wird damit spekuliert, dass Cristina will, dass Alberto scheitert und zurücktritt, so dass sie zum dritten Mal Präsidentin wird. Doch das ist wohl zu weit gedacht. Denn wenn AF die Krise nicht meistern kann und zurücktritt, dann reißt er auch Cristina mit sich in den Abgrund, auch wenn sie die Regierung übernimmt, Sie würde der Opposition die Regierung 2023 oder schon vorher in die Hände spielen.
AF bleibt nichts anderes übrig, als seine Macht zu festigen und Cristina klar zu zeigen, dass er und nicht sie regiert. Er muss sich dabei einmal auf die traditionellen peronistischen Strukturen stützen und dann auch Unterstützung von der Opposition erhalten, für die Cristina und nicht er der wirkliche Gegner ist.
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