Brüssel und London haben Zeit bis Sonntag
Brüssel/London (dpa) - Noch läuft die letzte Frist für die Verhandlungen, doch die Europäische Union rüstet sich vorsorglich für ein Scheitern des erhofften Brexit-Handelspakts mit Großbritannien. Um das befürchtete Chaos zur Jahreswende abzumildern, schlug EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mehrere Notmaßnahmen für einen No-Deal-Brexit vor. Es geht unter anderem darum, Flug- und Straßenverkehr sowie die Fischerei aufrechtzuerhalten. Die Zeit für eine Lösung ist kurz: "Wir werden am Sonntag eine Entscheidung treffen", sagte von der Leyen gestern in Brüssel.
Am Vorabend hatte die Kommissionschefin bei einem Abendessen rund drei Stunden mit dem britischen Premierminister Boris Johnson verhandelt. Danach betonten beide Seiten die offene Atmosphäre, machten aber deutlich, dass die Unterschiede noch immer sehr groß seien. Die Knackpunkte haben sich seit Monaten nicht geändert: Es geht um Fischerei, fairen Wettbewerb und die Frage, wie die Vereinbarungen im Streitfall rechtlich durchgesetzt werden. Bis zum Sonntag sollen die Verhandlungsteams in Brüssel weiter versuchen, die Hindernisse aus dem Weg zu räumen.
Aus London hieß es, es sei nicht ausgeschlossen, dass die Gespräche auch danach fortgesetzt würden. Es sei aber wichtig, "Endgültigkeit" zu haben, sagte Außenminister Dominic Raab der BBC. "Es hängt von den Fortschritten ab, die bis dahin gemacht werden." Die gesetzte Frist solle "helfen, die Gedanken zu fokussieren".
Beachtung fand vor allem das Menü, das von der Leyen ihrem Gast servieren ließ. Beobachter werteten es als deutliche Anspielung auf die Verhandlungen. Im Mittelpunkt: Fisch. Gedünsteter Steinbutt zum Hauptgang, zuvor Jakobsmuscheln - um die noch vor knapp zwei Jahren ein heftiger Streit zwischen französischen und britischen Fischern im Ärmelkanal tobte. Es war damals so schlimm, dass die Marine ausrückte, britische Medien schrieben vom "Jakobsmuschel-Krieg".
Und auch beim Nachtisch wurden Beobachter fündig: Pavlova - eine mit Früchten gefüllte Sahnetorte - gilt als australisches Nationalgericht. Downing Street hatte oft betont, das Vereinigte Königreich werde im Falle eines No Deals zu "australischen Konditionen" mit der EU Handel treiben - gemeint sind letztlich die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO).
Großbritannien hat die EU Ende Januar verlassen. Ohne Vertrag drohen vom 1. Januar an Zölle, lange Staus und andere Handelshürden. Denn am 31. Dezember endet die Brexit-Übergangsfrist, und Großbritannien scheidet aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Auf einen solchen Fall stellt sich die EU-Kommission nun ein. "Wir müssen vorbereitet sein - auch darauf, dass am 1. Januar kein Vertrag in Kraft ist", sagte von der Leyen.
Für den Fall des Scheiterns sehen die von der EU vorgelegten Notmaßnahmen vor, bestimmte Flugverbindungen zwischen Großbritannien und der EU für sechs Monate aufrechtzuerhalten - basierend auf Gegenseitigkeit. Auch für die Anerkennung von Sicherheitszertifikaten für Flugzeuge soll es eine Übergangsregel geben, damit diese nicht in der EU stillgelegt werden müssen. Eine ähnliche Regelung auf Gegenseitigkeit soll es geben, um Frachttransporte und Busverkehr am Laufen zu halten, ebenfalls für sechs Monate.
Für das politisch sehr umstrittene Thema Fischerei schlägt die EU-Kommission einen Rechtsrahmen vor, der bis zum 31. Dezember 2021 gelten soll - oder bis zu einem Fischereiabkommen mit Großbritannien. Diese Vereinbarung soll den Zugang von britischen Fischkuttern in EU-Gewässer regeln und umgekehrt.
Beide Seiten betonen aber, dass ein Grundsatzabkommen nach wie vor möglich sei. Der irische Außenministers Simon Coveney sagte dem irischen Sender RTÉ, die EU stelle keine "unangemessenen" Forderungen. Sie wolle "die engste mögliche Beziehung mit Großbritannien und freien und fairen Handel".
Haushaltskompromiss gebilligt
Brüssel (dpa) - Der Weg für den EU-Haushalt und die milliardenschweren Corona-Hilfen ist frei. Die Staats- und Regierungschefs einigten sich gestern bei ihrem Gipfel in Brüssel auf einen Kompromiss zum neuen Rechtsstaatsmechanismus, den die deutsche Ratspräsidentschaft ausgehandelt hatte. Dies teilte EU-Ratschef Charles Michel am Abend auf Twitter mit. Zuvor hatten Ungarn und Polen wichtige Entscheidungen wochenlang blockiert. Beide Länder fürchten, dass der Mechanismus darauf zielt, ihnen wegen umstrittener politischer Projekte EU-Mittel kürzen zu können.
Der Kompromiss sieht nun vor, dass das neue Verfahren zur Ahndung von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit durch eine Zusatzerklärung ergänzt wird. Darin ist unter anderem festgelegt, welche Möglichkeiten Ungarn und Polen haben, sich gegen die Anwendung der Regelung zu wehren. Eine davon ist eine Überprüfung der Verordnung für das Verfahren durch den Europäischen Gerichtshof. Sie würde die erste Anwendung des Verfahrens vermutlich um Monate hinauszögern, wenn nicht sogar um mehr als ein Jahr.
ARGENTINIEN
„Sputnik V“ kommt
Buenos Aires (AT/mc/dpa) - Der russische Corona-Impfstoff „Sputnik V“ kommt. Präsident Alberto Fernández gab gestern am Jahrestag seines Amtsantrittes vor einem Jahr die Unterzeichnung eines entsprechenden Abkommens mit Russland bekannt. Dies mache es möglich, zwischen Januar und Februar zehn Millionen Menschen in Argentinien gegen das Virus immun zu machen, erläuterte der Staatschef bei einer Pressekonferenz in der Casa Rosada. Priorität haben die Risikopatienten.
Bereits zu Ende dieses Jahres könnten 300.000 Personen geimpft werden, machte Fernández seinen Landsleuten Mut. Der Vertrag sehe zudem auch die Möglichkeit weiterer Impfungen im März für fünf Millionen weiterer Menschen vor. Zudem habe Argentinien mit AstraZeneca und Covax zwei weitere Impfstoffvereinbarungen getroffen.
Fernández wies gleichwohl darauf hin, dass die Impfung nicht das sofortige Ende der Pandemie darstelle. Vielmehr gelte es auch in der nächsten Zeit, die Vorsichts- und Hygienemaßnahmen einzuhalten.
Der argentinische Präsident lobte ausdrücklich seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Dieser habe sich persönlich dafür stark gemacht, dass das Abkommen mit Argentinien zustande komme.
In Russland selbst begann vor wenigen Tagen eine breit angelegte Impfkampagne. Nach der ersten Injektion ist nach 21 Tagen eine zweite erforderlich. Nach Angaben der russischen Vize-Regierungschefin Tatjana Golikowa dauert es 42 Tage, bis sich nach der Impfung eine Immunität gebildet hat. In dieser Zeit besteht weiterhin Gefahr, sich anzustecken.
Experten beklagen, dass der Impfstoff noch nicht ausgetestet sei. Es fehle an Daten fehle, viele Fragen seien offen. Solche Zweifel hat die russische Regierung wiederholt zurückgewiesen.
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