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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die kritischen Aspekte der argentinischen Wirtschaft

Von Juan E. Alemann

Präsident Alberto Fernández bemüht sich, positive Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung hervorzuheben, und das ist verständlich, und sollte sogar selbstverständlich sein, was es jedoch nicht ist. Nicht nur diese Regierung, sondern auch sämtliche vorangehende verstehen es nicht, gute Nachrichten systematisch zu vermitteln, die es immer gibt. Wenn man das heutige Argentinien von dem vor 10 oder 20 Jahren vergleicht, so stechen viele Änderungen hervor, die mit der allgemeinen Auffassung der langfristigen Stagnation unvereinbar sind, angefangen mit den vielen Automobilen, die nicht sehr alt sind und die Straßen überall verstopfen. Das war vor einigen Jahren noch nicht so akut. Wenn der Präsident jetzt darauf hinweist, dass die Wirtschaftsleistung 2021 um über 10% gewachsen ist und im 1. Quartal 2022 weiter wuchs, und die Arbeitslosigkeit stark zurückgegangen ist, so hat er recht. Doch es gibt viele weitere positive Aspekte, ganz besonders bei der Landwirtschaft und beim Bergbau, die auch der Präsident ignoriert. Allerdings müsste der Präsident, wenn er wirklich positiv denkt, auch Fortschritte anerkennen, die unter der Macri-Regierung erreicht wurden. Die Darstellung und Analyse der Wirtschaft muss entpolitisiert werden, um wirklich begriffen werden zu können.


Die Schwarzwirtschaft

Was der Präsident nicht gesagt hat, dass die Erholung der Wirtschaft, die zunächst kein echtes Wachstum, sondern eine Rückkehr zur Normalität ist, mit einer tiefgreifenden strukturellen Änderung einhergegangen ist, nämlich einer bedeutenden Zunahme der Schwarzwirtschaft. Von denjenigen, die 2021 und 2022 neu beschäftigt wurden, arbeitet der weitaus größte Teil schwarz. Das wird auch durch die Subventionen gefördert, die arme Menschen erhalten, die sie verlieren, wenn sie einen formellen Arbeitsplatz erhalten. Das führt u.a. dazu, dass es für Bauunternehmen schwierig ist, Arbeiter anzuheuern, wie es der Präsident der Bautenkammer unlängst erklärte. Bei kleineren Bauobjektes, wie bestimmten Straßenreparaturen, werden dennoch Schwarzarbeiter eingestellt, weil dies wenig kontrolliert wird. Juan Grabois, der in engem Kontakt mit armen Menschen steht und angibt, diese zu vertreten, erklärte unlängst auch, dass die Bezieher von Armensubventionen fast alle arbeiten. Er dürfte recht haben, denn mit der Subvention alleine kommen sie nicht aus, und andererseits sehen sie gewiss nicht verhungert aus. Das bedeutet auch, dass die Zahl der Beschäftigten, die das INDEC angibt, in Wirklichkeit höher ist, aber mit einer schlechten Qualität vieler Arbeitsplätze, in denen die Löhne niedriger und die Arbeitsbedingungen schlechter sind. Die Erfassung der Schwarzarbeiter ist für das INDEC sehr schwierig, wobei viele nichts davon wissen wollen, mit einem INDEC-Beamten zu sprechen.

Die Schwarzwirtschaft sollte nicht mehr unter den Teppich gefegt und als ein vorübergehendes Phänomen betrachtet werden. Sie muss bei der Analyse der argentinischen Wirtschaft eingeschlossen werden, mit ihren Eigenarten und ihrer gesamtwirtschaftlichen Auswirkung. Nur die hohe und stark gestiege Schwarzwirtschaft erklärt, dass Argentinien keine soziale Explosion erlebt hat. Nebenbei bemerkt: die Regierung ist gegenüber der Schwarzarbeit toleranter geworden, um die soziale Problematik nicht zu verschärfen. Aber wie sie mit dem Thema schließlich zurechtkommt, weiß in der Regierung niemand.


Das monetäre Problem

Doch gleichzeitig muss man sich der kritischen Aspekte der argentinischen Gegenwart bewusst sein. An erster Stelle steht die hohe Inflation, die die Bevölkerung beunruhigt und den Unternehmen Probleme stellt. Schlimmer als die Inflation selbst ist die Tatsache, dass die Regierung nicht weiß, wie sie dem Problem begegnen soll, und dabei den Eindruck vermittelt, dass die hohe Inflation, die jetzt über 50% jährlich liegt, weitergehen wird und bald 60%, 80% und 100% jährlich erreichen wird, und jederzeit auf eine Hyperinflationswelle übergehen kann.

Eine effektive Bekämpfung der Inflation ist ein Krieg mit vielen Fronten. Dass die Geldschöpfung stark verringert werden muss, ist nur ein Aspekt, wobei man nicht bemerkt, dass die Wirtschaftspolitik in diese Richtung geht. Die Staatsfinanzen weisen weiter ein hohes Defizit auf, das Wirtschaftsminister Guzmán mit Mogeleien gedrückt hat, so dass es so aussieht, als liege das primäre Defizit im 1. Quartal 2022 unter der mit dem IWF vereinbarten Grenze. Es wurden laufende Einnahmen gebucht, die keine sind, und es wurden Ausgaben hinausgeschoben. Strukturelle Maßnahmen, die das Defizit wirklich verringern, blieben aus. Doch der IWF weiß dies, und es dürfte unmittelbar zu einem Zusammenstoß kommen. Guzmán ist sich dessen bewusst und will jetzt den Strom- und Gastarif allgemein um 40% erhöhen (und bei wohlhabenden Haushalten viel mehr), während Cristina auf 20% besteht. Wenn sie sich wieder durchsetzt, kommt es zu einem Konflikt mit dem Fonds, der schwere Folgen haben könnte, im Extremfall einen Default herbeiführen könnte.

Es sei daran erinnert, dass das Staatsdefizit entweder durch zusätzliche Verschuldung oder durch Geldschöpfung gelöst wird. Wobei die Aufnahme von Schulden sehr schwierig geworden ist.


Das Leliq-Problem

Die ZB wird dem Schatzamt weiter Mittel zuführen müssen, die sie durch Verschuldung mit Leliq und passiven Swaps bei den Banken aufnimmt, oder direkt durch Geldschöpfung erhält. Das kritische Problem, das jetzt besteht, liegt darin, dass der Betrag der Leliq plus passiver Swaps schon $ 5,5 Bio. erreicht hat, und somit weit über der monetären Basis von etwa $ 3,5 Bio liegt, und eine weitere Erhöhung nur sehr begrenzt möglich ist, und auf alle Fälle auf Kosten des Bankkredites für die Privatwirtschaft geht, was rezessiv wirkt. Dieser hohe Leliq-Bestand stellt einen besonders kritischen Aspekt der gegenwärtigen Lage dar. Unter der Macri-Regierung hatte der Bestand an Lebac (die den Leliq entsprechen) auch stark zugenommen, und der Fonds verhalf dann, ihn abzubauen. Jetzt ist das gleiche Problem wieder da, sogar schlimmer als damals, und es steht keine Möglichkeit in Aussicht, den Leliq-Bestand abzubauen. Für dieses kritische Problem scheint auch der Fonds keine Lösung zu haben. Vorerst geht er am Problem vorbei und betrachtet diese ZB-Schuld nicht einmal als Staatsschuld, was sie im Wesen ist.


Die inflationäre Lohnpolitik

Zu diesem kritischen Problem kommt an zweiter Stelle die inflationäre Lohnpolitik hinzu, der sich der Präsident nicht einmal bewusst ist. Er fördert sie sogar. Schlimm! Alberto Fernández hat sich der These der Gewerkschaften angeschlossen, dass einmal der verlorene Reallohn (ausgehend von einem konjunkturellen Höhepunkt, der keine echte Grundlage hatte) unmittelbar aufgeholt und dann erhalten werden muss. Diese These führt dazu, dass Lohnerhöhungen von 60% und 80% aufkommen, die dann direkt oder indirekt die Kosten der Unternehmen erhöhen und auf die Preise abgewälzt werden. Dabei fällt jetzt auf, dass die Gruppen, die ohnehin schon höhere Löhne und Gehälter haben, wie die Lastwagenfahrer und die Bankangestellten, bei den Lohnforderungen an der Spitze stehen. Das stärkt dann die Stellung anderer Gewerkschaften, die schließlich nur die Angleichung an Arbeitnehmer fordern, die schon viel mehr verdienen. Aber die allermeisten Unternehmen können dies nur mit Abwälzung auf die Preise verkraften.

Weder Präsident Fernández, noch Arbeitsminister Moroni, noch andere Minister und Mitarbeiter der Regierung haben eine konkrete Vorstellung, wie sie mit diesem Problem umgehen sollen. Und Cristina und ihre Mannschaft noch weniger. Handelssekretär Roberto Feletti, der in seiner Jugend auch Gewerkschaftler war (er leitete die Beamten der ZB) meint, die Unternehmer verdienen zu viel, und will das Problem lösen, indem er Preise begrenzt und somit den Unternehmen keine Möglichkeit gibt, Lohnerhöhungen abzuwälzen. Das funktioniert jedoch nicht, weil die Unternehmer wissen, dass sie bei einer harten Haltung gegenüber den Gewerkschaftsforderungen Schaden durch Streiks und Störungen des Arbeitsprozesses erleiden, und dabei schließlich doch nachgeben müssen, weil ihnen die Regierung keine Rückendeckung gibt.

Der ultraliberale Politiker Javier Milei sagte unlängst, die Lohnverhandlungen sollten nicht auf Branchenebene erfolgen, sondern separat in jedem Unternehmen. In der Tat sind die Gesamtarbeitsverträge, und eigentlich die gesamte Arbeitsgesetzgebung, für Großunternehmen gedacht, können aber von Kleinunternehmen nur zum Teil eingehalten werden. Viele sogenannte Pymes halten sich nicht an die Verträge, und dabei gehen auch viele teilweise (oder ganz) auf Schwarzwirtschaft über. Das erlaubt ihnen dann, zu überleben. Milei hat grundsätzlich recht, und die Regierung sollte damit beginnen, den Unternehmensabkommen Vorrang vor der Branchenabkommen zu geben, wie es in der Reform von Präsident Fernando de la Rúa im Jahr 2001verfügt wurde, die nachher auf Gewerkschaftsdruck rückgängig gemacht wurde. Außerdem sollte die Allgemeingültigkeit (“homologación”) der Arbeitsverträge abgeschafft werden, die es in den USA und anderen Ländern nicht gibt. Verträge, auch Arbeitsverträge, gelten normalerweise nur für diejenigen, die sie unterzeichnet haben. Die Allgemeingültigkeit wurde von Mussolini in Italien eingeführt und von Perón übernommen. Es ist eine faschistische Erfindung, die eventuell in eine korporative Wirtschaft passt, aber nicht in eine Marktwirtschaft. Die Reform des Arbeitsrechts hört hier gewiss nicht auf. Es ist nur ein Beginn.

Wenn das Lohnproblem nicht in vernünftige Bahnen gelenkt wird, gibt es keine Stabilisierung. Das wissen alle, sagt aber niemand außer uns. Auch die Opposition (JxC) schweigt darüber. Das ist begreiflich, weil sie befürchtet, dann Stimmen zu verlieren. Aber sie müsste eine konkrete Vorstellung haben, wie sie das Problem in Angriff nimmt. Ohne dies kann eben nicht stabilisiert werden.


Das Zahlungsbilanzproblem

Bei den kritischen Aspekten der Wirtschaft sticht gegenwärtig das Problem der Zahlungsbilanz hervor. Die ZB hat praktisch keine verfügbaren Reserven, und betreibt eine strenge Devisenbewirtschaftung, die jedoch auf Dauer unhaltbar ist. Die Exporte, auch wenn sie jetzt wegen der hohen Weltmarktpreise für Getreide und Ölsaat begünstigt werden, reichen nicht aus, um den Importbedarf zu decken. Importgenehmigungen werden von der ZB hinausgeschoben, was immer mehr Fabrikationsprobleme schafft, da dann Teile für einen Produktionsprozess fehlen. Bei Konsumgütern, teuren Automobilen, Textilien und Produkten, die durch lokale Produktion ersetzt werden können, ist die Importsperre besonders strikt. Aber das reicht nicht aus, um ein Gleichgewicht bei der Leistungsbilanz herzustellen. Außerdem widerspricht dies den Bestimmungen der Welthandelsorganisation und des Mercosur. Die Regierung müsste in beiden Fällen eine Genehmigung beantragen, was sie nicht getan hat.

Als Erstes müsste abgewertet werden, mit einem Sprung beim offiziellen Kurs auf gut $ 150. Das würde Importe hemmen und zusätzliche Exporte anregen, vor allem bei Industrieprodukten wie Wein, Obstkonserven und vielen anderen. Ein Inflationsland wie Argentinien kann sich keinen künstlich gedrückten Wechselkurs erlauben. Doch ein Abwertungssprung treibt sofort die Inflation an, und das ist bei den hohen monatlichen Inflationsraten, die jetzt bestehen, besonders gefährlich. Die Regierung steht vor einer Quadratur des Kreises.

Abgesehen von der Leistungsbilanz besteht auch ein Problem bei der Kapitalbilanz, das die Regierung ignoriert. Überweisungen und Dollarkäufe werden nur Tropfenweise gestattet, was bedeutet, dass auch Kapitalimporte gehemmt werden. Wer Kapital in Argentinien investiert, will gelegentlich über den Gewinn verfügen können. Sonst ist die Investition kein Geschäft.

Die einzig vernünftige Lösung besteht in einer vollen Legalisierung des freien Marktes, der gegenwärtig weitgehend schwarz ist, aber auch umständlich und mit hohen Kosten über Kauf und Verkauf von Staatstiteln in Dollar erfolgt, was jedoch in vielen Fällen legale Probleme schafft. Es müsste alles über einen legalen freien Markt gehen, der auch für den Tourismus in beiden Richtungen gelten muss. Ein völlig freier Markt, der neben dem offiziellen Devisenmarkt besteht, löst viele Probleme, u.a. das der Liquiditätshaltung in Dollar. Die Menschen halten ihre Liquidität in Argentinein nur zum geringsten Teil in der eigenen Währung, wie es weltweit üblich ist, sondern in Dollar (gelegentlich auch in Euros), und der Übergang von einer Währung auf eine andere ist schwarz. Das wäre bei einem freien Markt nicht mehr der Fall, und würde auch zu mehr Dollardepositen bei Banken führen.

Selbstverständlich müsste dann die ZB-Bestimmung von Anfang 2002 abgeschafft werden, dass keine Dollarkredite für interne Geschäfte gewährt werden können. Die fehlenden Pesokredite würden dann durch Dollarkredite ersetzt werden, was das Liquiditätsproblem der Unternehmen löst. Wenn es Argentinien schließlich gelingt, zur Stabilität zu gelangen. Oder zumindest die jährliche Inflationsrate einstellig zu halten, dann kann man an eine Vereinheitlichung des Devisenmarktes denken. Aber nicht vorher.


Der Umgang mit unlösbaren Problemen

Die Regierungen der Welt stehen immer vor unlösbaren Problemen, und die Regierenden müssen es verstehen, mit ihnen umzugehen. Meistens können sie zumindest entschärft werden. In vielen Fällen kann man Wege finden, um mit ihnen zusammenzuleben, und gelegentlich verschwinden viele von selber. Viele Länder leben seit Jahren mit einer anormal hohen Staatsverschuldung, die auch ein unlösbar kritisches Problem darstellt. Japan und Italien haben eine Staatsschuld von über 200% des BIP. Aber es geschieht nichts, was darauf zurückzuführen ist, dass die Regierungen es verstehen, damit umzugehen, und die Gesellschaft weiß, das sie dabei erfolgreich sind. Das Schlimme in Argentinien ist jetzt, dass Präsident Fernández, und noch weniger Vizepräsidentin Cristina, sich der Natur der kritischen Probleme bewusst sind, und gelegentlich Wege beschreiten oder vorschlagen, die sie noch kritischer machen.



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