Von Juan E. Alemann
Die Devisenbewirtschaftung hat zur Folge, dass sich neben dem offiziellen Wechselkurs, der für Verrechnung von Außenhandelsgeschäften und auch anderen gilt, ein freier Markt bildet, mit einem viel höheren Kurs. Die Tatsache, dass dieser freie Kurs zum Teil legal ist, wenn die Geschäfte über Kauf und Verkauf von Staatspapieren erfolgen, die auf Dollar lauten, und diese Geschäfte zunehmend gehemmt werden (weil die gekauften Titel eine bestimmte Zeit gehalten werden müssen, bevor sie verkauft werden dürfen, und auch, weil diese Devisenkäufe für diejenigen verboten sind, die Devisen auf dem offiziellen Markt beantragen, bilden sich zwei Kurse auf diesem Markt, zu denen dann noch der Schwarzkurs hinzukommt, der durch die erwähnten Kontrollen einen zusätzlichen Schub erhält. Da der Schwarzmarkt wenig transparent ist, bestehen hier auch verschiedene Kurse.
Die Differenz zwischen dem offiziellen und dem schwarzen Markt, wird auf spanisch “brecha” genannt, was als “Bresche” übersetzt wird, obwohl das spanische Wort im Wörterbuch auf deutsch mit “Lucke” bezeichnet wird. Doch damit unsere Leser uns besser verstehen, werden wir auch die Bezeichnung “Bresche” verwenden.
Die freie Kurs, in seinen verschiedenen Ausdrucksformen liegt um etwa 80% über dem offiziellen, und dies seit längerer Zeit. Gelegentlich hat die Bresche auch ca. 100% erreicht. Das hat Folgen auf das wirtschaftliche Geschehen, die weit über die Unterfakturierung bei Exporten und Überfakturierung von Importen hinausgehen. Gewiss ist diese Wirkung auf den Außenhandel schädlich, weil sie die offizielle Handelsbilanz verschlechtert. Aber eine genauere Analyse ergibt, dass die Angabe falscher Preise bei Rohstoffen und vielen anderen Produkten beschränkt ist, weil die Marktpreise bekannt sind, besonders wenn die Produkte an Warenbörsen gehandelt werden. Aber bei vielen anderen Produkten sind die Preise differenziert, und in einigen Fällen schwanken sie stark, was die Kontrolle erschwert.
Als Wirtschaftsminister Roque Fernández (Mitte 1996 bis Dezember1999) bei einer Liste von Produkten dieser Art eine zusätzliche private Kontrolle einführte, wurden unzählige Fälle von Preisen aufgedeckt, die weit unter den wirklichen lagen, und so effektiv eine viel niedrigere Zollbelastung hatten. Dabei gab es Fälle, in denen der angegebene Preis nur um die 10% des wirklichen betrug. Wie weit Beamte des Zollamtes an diesem Geschäft beteiligt waren, sei dahingestellt. Auf alle Fälle hatten es viele zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht. Jetzt müsste diese Kontrolle wieder eingeführt werden, um Überpreise bei Importen aufzudecken. Aber bei dieser Regierung ist private Mitwirkung verpönt.
Beim Export fördert diese Lage ungewollt die Ausfuhr von Produkten, die keinen einheitlichen Weltmarktpreis haben, oder dieser wenig bekannt ist. Darunter fallen viele landwirtschaftliche Produkte, wie bestimmte Obstarten, Nüsse und Pecan-Nüsse u.a., aber auch Industrieprodukte. In diesem Fall ergibt sich gelegentlich auch die Tatsache, dass diese Produkte importierte Teile enthalten, die zum offiziellen Kurs verrechnet werden, Diese Exporte verursachen dann einen Importdruck auf dem offiziellen Markt.
Dieses Phänomen taucht ganz besonders bei Automobilen auf, die in Argentinien erzeugt werden, aber eine hohe importierte Komponente haben. Die lokalen Fabrikanten setzen die Preise auf dem Binnenmarkt gemäß Kosten (plus eine Gewinnmarge) fest. Für den Käufer, der die Dollar, die er dafür einsetzt, zum freien Kurs tauscht, sind die Automobile anormal billig, was die Nachfrage anspornt. Dabei sind voll importierte Modelle besonders billig, weshalb die ZB sie beschränken muss, obwohl dies keine legale Grundlage hat. Das Wesen dieser Kfz-Käufe besteht in einer Subvention, die die ZB (also die Regierung) zahlt. Dass in einer Periode akuter wirtschaftlicher und sozialen Krise ausgerechnet der Automobilkauf subventioniert wird, hat gewiss keine vernünftige Rechtfertigung. Subventionen, damit arme Familien essen können, sind etwas ganz anderes.
Der gespaltene Wechselkurs hat auch zur Folge, dass Argentinien für ausländische Touristen sehr billig ist. Sie tauschen ihre Dollar meistens beim Hotelangestellten, der sie empfängt, der dabei ein schönes Geschäft macht und sein Einkommen stark erhöht. Wäre der Einreisetourismus nicht durch die Pandemie stark gehemmt, wären sämtliche Hotels überfüllt, und auch gute Restaurants und allerlei Geschäfte würden Hochkonjunktur erleben. Wenn jetzt die Impfung fortschreitet und daraufhin mehr Touristen kommen, dürfte dies auch eine Wirkung auf den freien Kurs haben, und die Bresche drücken. Auf der anderen Seite wirkt die Bresche entmutigend für Personen, die in Argentinien wohnen und hier ihr Einkommen verdienen, aber ins Ausland reisen wollen. Das ist bei der gegenwärtigen Zahlungsbilanzlage positiv.
Eine weitere Wirkung dieses hohen Marge zwischen den Wechselkursen besteht in der Förderung des Exportes von Internetdienstleistungen. Viele Tätigkeiten, sei es Routinetätigkeiten oder Entwicklungen von Software, kosten zum freien Kurs weniger als die Hälfte wie in den Vereinigten Staaten oder der EU. Ein Monatsgehalt von u$s 2.000 ist in den USA nicht viel, während eines von u$s 1.000 in Argentinien als hoch betrachtet wird. Die gut informierte Journalistin Silvia Naishtat berichtet in der Zeitung “Clarín” (30.7.21), dass um die 9.000 Stellengesuche für Informatikfachleute bestehen. Obwohl es in Argentinien vieel talentierte junge Menschen auf diesem Gebiet gibt, und angesichts des Überschusses bei den traditionellen akademischen Berufen viele junge Menschen auf Informatik übergehen, bleibt das Angebot hinter der Nachfrage zurück. Da die Exporte von Informatikdienstleistungen und Software über Internet erfolgen, kann sie die ZB nicht kontrollieren. Die lokalen Unternehmen, die auf diesem Gebiet tätig sind, müssen einen Teil zum offizielle Kurs verrechnen, um ihre Existenz und ihre Ausgaben zu rechtfertigen. Aber der größere Teil dürfte schwarz verrechnet werden, wobei auch die Gehälter zum Teil schwarz gezahlt werden.
Die Wirkungen der hohen Kursbresche erschöpfen sich nicht mit denen, die wir hier aufgezählt haben. Es kommen viele andere hinzu, dabei auch Wirkungen von Wirkungen. Außerdem fördert das ganze System die Steuerhinterziehung und die Schwarzwirtschaft, und schafft auch eine zunehmende Notwendigkeit für Weißwaschungen. Ohne diese bleibt alles schwarz, und bestimmte Investitionen, die zu sichtbar sind, um schwarz finanziert zu werden, bleiben dann aus.
Die Regierung sollte aufhören, die Problematik der Kursbresche unter den Teppich zu fegen, und zu versuchen, sie mit einzelnen Maßnahmen zu bekämpfen. Es handelt sich um ein strukturelles Problem, das in seiner Eigenart anerkannt werden muss, um zu erreichen, dass die Bresche auf ca. 20% abnimmt und dann nur ein kleineres Problem darstellt. Mit einer Marge dieser Größenordnung verschwinden viele der aufgeführten Probleme, weil sie sich nicht lohnen.
Grundsätzlich muss der freie Kurs als solcher legal zugelassen werden, so dass viele Devisengeschäfte, die gegenwärtig schwarz sind und eine Steuerhinterziehung bedingen, weiß werden. Und dann muss es gezielte Weißwaschungen geben, die in kurzen Abständen erfolgen. Nach der ersten, die für Investitionen in Wohnungsbauten bestimmt war, sollte dringend eine zweite erfolgen, die für Arbeitskapital von Unternehmen bestimmt ist, dessen Mangel eines der Haupthindernisse für die wirtschaftliche Erholung ist. Für die Bürokraten, die im Wirtschaftsministerium, im Produktionsministerium, im Amt des Kabinettschefs und in der Zentralbank sitzen, ist all das, was wir empfehlen, wirtschaftliche Ketzerei. Ohne eine grundsätzliche Mentalitätsveränderung gibt es keine Lösung.
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