Von Juan E. Alemann
Das Verbot des Exportes von Rindfleisch für einen Monat war angeblich eine einsame Entscheidung des Präsidenten, die er eventuell mit Mitarbeitern besprochen hat, die genau so wenig wie er über das Thema Bescheid wissen. Die Handelssekretärin Paula Español, die Gespräche mit Vertretern der Fleischindustrie führte, wurde dabei überrascht, ebenso wie der Landwirtschaftsminister Luis Basterra u.a. hohe Beamte, die sich mit dem Thema befassen. Wie weit Cristina mitgemischt hat, weiß man nicht. Sie hat vorsichtshalber geschwiegen. Mitglieder der Cámpora-Gruppe meinen, dass ein Konflikt mit der Landwirtschaft ihnen Stimmen bringt, von denjenigen, die durch den hohen Fleischpreis betroffen sind, wobei die Landwirte angeblich ohnehin mehrheitlich gegen sie eingestellt sind. Alberto Fernández hat keine blasse Ahnung über die Rinder- und Rindfleischwirtschaft, was er unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, als er auf eine Frage eines Journalisten über den Rinderbestand, antwortete, es seien 3 Mio. Rinder. Und das sagte er zwei Mal. Die Differenz zu den ca. 54 Mio., die es in Wirklichkeit sind, ist zu groß, um dies als Flüchtigkeitsfehler einzuordnen. Es ist schlichte Ignoranz. Schlimm!
Die Landwirte haben auf das Exportverbot zunächst mit einer Entscheidung der Verbände reagiert, keine Rinder zu verkaufen, solange das Exportverbot andauert. Das hat schon zu einer Preiszunahme vom Rindfleisch geführt, also genau das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war. Außerdem führt dies dazu, dass nach Ablauf der Periode der Exportsperre der verlorene Export aufgeholt wird, so dass es dann weniger Angebot auf dem Binnenmarkt gibt. Abgesehen davon stellt sich ein Problem mit verpflichteten Exporten, die Argentinien jetzt nicht erfüllt, was die Käufer verärgert und sie in Zukunft dazu führt, Lieferungen aus anderen Ländern zu bevorzugen. Für Argentinien hat der Export absolute Priorität, weil ohne höhere Exporte die Rechnung bei der Zahlungsbilanz nicht aufgeht.
Fangen wir jetzt von vorne an. Der Rinderbestand hatte gemäß Zahlen des Senasa (das Institut für landwirtschaftliche Sanität) 2008 einen Höhepunkt von 59 Mio. Rindern erreicht, und fiel dann bis auf 49 Mio. Rinder im Jahr 2011. Von da an stieg der Bestand wieder langsam, bis auf 55 Mio. Rinder im Jahr 2019. Ein Jahr danach, als Fernández regierte, waren es 54 Mio. Die Zahl ist nicht genau, weil Landwirte gelegentlich Rinder nicht angeben und sie dann schwarz verkaufen. Eine bessere Kontrolle der Schwarzwirtschaft in diesem Bereich würde somit zu einem erhöhten erfassten Bestand führen.
Der Bestand kann gewiss weiter erhöht werden; aber damit dies nicht auf Kosten der Saatfläche von Getreide und Ölsaaten geschieht, müssten mehr Rinder in Feed-lots gemästet werden, und das hat auch eine Grenze, weil die Rinder vorher auf Weiden wachsen müssen. Die Rinderwirtschaft hat schon seit über zwei Jahrzehnten Land an den Anbau von Getreide und Ölsaat abgegeben, was mit dazu beigetragen hat, dass die Gesamternte sich in drei Jahrzehnten mehr als verdreifacht hat. Und hier gibt es kein Zurück.
Die Rindfleischproduktion kann dennoch stark erhöht werden. Einmal kann die Geburtenrate (geborene Kälber im Verhältnis zum Kuhbestand) erhöht werden. Im durchschnitt liegt der Koeffizient um die 60%, aber viele Landwirte liegen bei über 80%. ¨Es besteht somit noch eine Marge bei all den Viehzüchtern, die unter dem Durchschnitt liegen, um den Koeffizient zu erhöhen, und das würde zu einer höheren Rinderproduktion führen. Als zweites können die Rinder auf ein höheres Gewicht gebracht werden. Es sollte somit durchaus möglich sein, die Rindfleischproduktion um 30% zu erhöhen.
Das zweite Problem besteht in der Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der Rinder- und Rindfleischwirtschaft. Einmal sollte der Rindermarkt von Liniers abgeschafft werden. Das soll in Kürze erfolgen, aber durch einen neuen Rindermarkt außerhalb der städtischen Gegend von Buenos Aires und Umgebung. Doch dabei verbleibt das Grundproblem, dass der Verkauf über einen physischen Markt mit hohen Kosten verbunden ist, die gut 7% des Rinderpreises ausmachen. Diese Kosten beziehen sich nicht nur auf die Gebühren des Marktes, sondern auch auf den Transport der Rinder zum Markt und von dort zum Schlachthaus (statt direkt zu diesem) und den Gewichtsverlust, den die Rinder dabei erleiden, Der Anteil der Rinder, die über den Markt von Liniers verkauft werden, lag in früheren Zeiten über 50% der gesamten Rinderverkäufe, liegt aber heute nur noch um die 15%.
Logisch wäre, wie in fortgeschrittenen Staaten, der Verkauf über Internet. Dabei würde viel gespart, auch wenn es dabei auch Makler geben muss, die dem Schlachthof die Lieferung und dem Landwirt die Zahlung sichern. Dies ist bisher wegen Widerstand der traditionellen Makler gescheitert, die befürchten, dabei ihr gutes Geschäft zu verlieren. Der kooperative Geist der argentinischen Wirtschaft, bei dem sich Interessen einzelner Gruppen gegenüber dem allgemeinen Interesse durchsetzen, kommt auch hier zum Vorschein.
Schließlich sei noch auf ein Problem hingewiesen, dass in der Trennung von Exportschlachthöfen und Konsumschlachthöfen besteht. In anderen Ländern gibt es diese Trennung nicht, die Probleme schafft. Wenn der Fleischexport aus irgend einem Grund zurückgeht (oder, wie jetzt, verboten wird), dann müssten die Exportschlachthöfe auf den Binnenmarkt übergehen. Aber das stößt auf Schwierigkeiten, weil die Konsumschlachthöfe Steuern hinterziehen, und es bei den Sanitätsmaßnahmen nicht so Ernst nehmen, und somit billiger verkaufen. Auch würden bei einer Integrierung von Konsum und Export bestimmte Teiles des Rinderleibes mehr exportiert und andere mehr für den Binnenkonsum bestimmt, was erlaubt, für den ganzen Leib einen besseren Preis zu erhalten.
Vor einigen Jahren, unter der zweiten Amtszeit von Cristina Kirchner, wurde ein allgemeines Kontrollsystem eingeführt, dass die Hinterziehung stark verringert, aber nicht ausgemerzt hat. Seinerzeit hatten Privatunternehmen ein System vorgeschlagen, bei dem die Rinder beim Eingang in den Schlachthof gewogen wurden, dann auch der Rinderleib nach der Schlachtung, und die Daten, einschließlich der Identität des Lieferanten der Rinder und des Beziehers des Rindfleisches, der AFIP direkt übertragen würden. Dies wurde vom Staat übernommen, der es jedoch nicht ganz ernst nimmt. Das Landwirtschaftsministerium und die AFIP sollten sich die Mühe nehmen, zu untersuchen, wie dies effektiv funktioniert. Am besten wäre es, wenn sie Privatunternehmen für die Kontrolle verpflichten.
Wenn mit all unseren Vorschlägen die Marge zwischen dem Rinderpreis und dem Fleischpreis beim Metzger, die in Argentinien viel höher als in den USA u.a. Ländern ist, verringert wird, dann kann der Landwirt einen höheren Preis erhalten, und der Konsum zu einem niedrigeren kaufen. Wobei selbstverständlich nicht umso viel billiger wäre, wie es den Beamten des Handelssekretariates vorschwebt, und außerdem die Inflation alles verzerrt.
Der Rindfleischkonsum pro Kopf der Bevölkerung liegt in Argentinien mit zwischen 45 und 50 kg pro Kopf, höher als in anderen Ländern, ausgenommen Uruguay, wo er auf ähnlichem Niveau liegt. In den Vereinigten Staaten sind es 38,14 kg, in Brasilien 36,05 kg, in Australien 26,18 kg, in der EU 17,31 kg, und in China nur 6,8 kg. Der Konsum von tierischem Protein wird weltweit mehr von Geflügel, Schweinefleisch und Fisch gedeckt. In Argentinien hat sich der Konsum auch stark in diese Richtung geändert, nur dass der Fischkonsum sehr niedrig ist, obwohl das Land über eine hohe Eigenproduktion verfügt. In Argentinien könnte dann noch Schaffleisch hinzukommen, das in früheren Zeit auch in höheren Mengen konsumiert wurde, aber jetzt fast nur noch in Patagonien. Tierisches Protein sollte der argentinischen Bevölkerung somit nicht fehlen.
Es gibt gewiss auf dem Gebiet der Rinder- und Rindfleischwirtschaft noch viel zu tun. Doch dabei sollte man die Politik beiseitelassen, und vermeiden, dass der lange Schatten der Wahlen auch dieses Thema überdeckt.
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