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Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die komplexe Beschäftigungsproblematik

Von Juan E. Alemann

Argentinien hat seit über drei Jahrzehnten ein vielfältiges Beschäftigungsproblem: die Arbeitslosigkeit ist hoch, es besteht eine hohe Schwarzarbeit und die aktive Bevölkerung (Beschäftigte plus die, die eine Arbeit suchen) ist im internationalen Vergleich anormal niedrig. Dass die Arbeitslosigkeit auch in Zeiten guter Konjunktur, wie sie von 1991 bis 1998 bestand, anormal hoch blieb, deutet darauf hin, dass das Problem strukturell und nicht nur konjunkturbedingt ist.

Bis in die 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts lag die Arbeitslosigkeit meistens unter 4% der aktiven Bevölkerung, mit gelegentlichen Spitzen von 6% bis 8%. Bis zu 4% handelt es sich um die sogenannte “friktionelle” Arbeitslosigkeit, weil sie sich vornehmlich auf Personen bezieht, die ihre erste Arbeit suchen oder ihre Stelle wechseln, oder nicht bereit sind, die ihnen gebotenen Arbeitsmöglichkeiten anzunehmen.

Die hohe Arbeitslosigkeit stört auch den sozialen Aufstieg, und führt dazu, dass junge Menschen, besonders gut ausgebildete und talentierte, auswandern. Dass die Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen unter 28 Jahren viel höher als die allgemeine ist, verschlechtert die qualitative Bedeutung der Zahl. Argentinien exportiert weitgehend gut ausgebildete Menschen und importiert Personen mit einem sehr niedrigen Ausbildungsniveau. Das ist für das Lande in schlechtes Geschäft, besonders wenn man bedenkt, dass die Nachfrage nach ausgebildeten Arbeitskräften (nicht nur auf dem Gebiet der Informatik) im Zuge der technologischen Revolution stark zugenommen hat, so dass es sogar freie Stellen gibt, die die Unternehmen nicht decken können, während auf der anderen Seite die Nachfrage nach ungelernten Arbeitskräften wegen Automatisierung der Arbeitsprozesse geringer ist. Eine Ausnahme bei den Einwanderern aus Südamerika sind die Venezolaner, die in den letzten Jahren in beträchtlichen Mengen gekommen sind, und meistens gut ausgebildet sind. Viele sind Ärzte und Ingenieure. Doch sie konkurrieren mit lokalen Personen, wobei sie meistens bereit sind, Arbeiten und Arbeitsbedingungen anzunehmen, die die lokalen Konkurrenten als Beleidigung empfinden.

Die Arbeitslosigkeit lag laut INDEC im 2. Quartal 2021 bei 9,6% der aktiven Bevölkerung, gegen 10,2% im 1. Quartal 2021, 13,1% im 2. Quartal 2020. Es ist die niedrigste Arbeitslosigkeit seit dem 2. Quartal 2018. Doch gleichzeitig nahm die Unterbeschäftigung interannuell von 9,6% auf 13,7% zu. Das bezieht sich auf selbstständig Tätige und auch Arbeitnehmer im Abhängigkeitsverhältnis, die unter 35 Wochenstunden arbeiten, aber mehr arbeiten wollen. In vielen Fällen handelt es sich, besonders jetzt, um verkappte Arbeitslose.

Von den über 2 Mio. Arbeitslosen erhalten nur 140.000 die Arbeitslosensubvention, die von $ 864 bis $ 14.400 monatlich beträgt. In den USA u.a. Ländern erhalten fast alle Arbeitslosen die Subvention. Die Schwarzarbeiter, die ihren Arbeitsplatz verlieren, sind selbstverständlich ausgeschlossen, ebenso die Selbstständigen. Aber auch von den legal Beschäftigten erhalten sehr viele keine Subvention. Das verleiht dem Problem in Argentinien eine viel größere soziale Bedeutung als in fortgeschrittenen Staaten.

Die Zahl der Beschäftigten lag im 2. Quartal 2021 bei 41,5%, gegen 42,6% im 2. Quartal 2019. In absoluten Zahlen sind es im 2. Quartal 2021 19 Mio. Menschen, 4 Mio. mehr als ein Jahr zuvor, als auch die Quarantäne eine starke Wirkung hatte. Die Zahlen über Beschäftigte reimen sich nicht mit denen der Arbeitslosen zusammen. Das beruht darauf, dass diejenigen, die keine bezahlte Arbeit haben, aber sich nicht direkt bemühen, eine zu erhalten, nicht als Arbeitslose eingestuft werden. Es handelt sich dabei meistens um Menschen, die sich bei Anzeigen von Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen, nicht melden, weil sie davon ausgehen, dass sie dabei stundenlang Schlange stehen müssen und schließlich nicht beschäftigt werden. Sie hoffen, einen Arbeitsplatz über Familienangehörige, Nachbarn oder Freunde zu erhalten. Im Wesen sind sie genauso arbeitslos wie die, die Schlange stehen.

Hinzu kommt noch das Problem der Schwarzarbeit, die in Argentinien einen anormal hohen Umfang erreicht hat. Obwohl das INDEC angibt, auch diese Beschäftigten zu erfassen, sind die Zahlen sehr ungenau. Denn die Schwarzarbeiter befürchten, dass der INDEC-Beamte sie anzeigen wird, und sie dann ihre Arbeit verlieren. Da die INDEC-Angestellten keine Rückfragen machen, besonders wenn die Antwort des Befragten unglaubhaft ist, sollte man das Ergebnis mit Vorsicht betrachten. Der Fall wird noch komplexer, weil in vielen Fällen ein Teil des Lohnes weiß und ein anderer schwarz gezahlt wird. Die Löhne liegen in diesem Bereich unter denen der legal beschäftigten. Und außerdem steht für sie keine Pension in Aussicht. Meistens haben sie auch keine Versicherung gegen Arbeitsunfälle und –krankheiten. Es entstehen dadurch viele Konflikte.

Die Regierung weiß, dass es sich um einen unhaltbaren Zustand handelt, geht aber nur mild gegen Schwarzarbeit vor, um zu vermeiden, dass noch mehr Arbeitslose entstehen. Ein Schwarzarbeiter ist auf alle Fälle ein geringeres soziales Problem als ein Vollarbeitsloser. Die Regierung weicht der Lösung aus, weil sie nicht weiß, wie sie das Problem in Angriff nehmen soll. Grundsätzlich muss beim Übergang von schwarz auf weiß die Vergangenheit gestrichen werden. Wenn bestimmt wird, dass die Schwarzunternehmer geschuldete Sozialbeiträge zahlen müssen, eventuell in Raten, und auch Lohndifferenzen rückwirkend zahlen müssen, dann wird die Legalisierung unmöglich. In der Tat machen die Bürokraten des Arbeitsministeriums und auch die Gewerkschaftsanwälte die Legalisierung unmöglich. Es bedarf einer politischen Entscheidung des Präsidenten, der dabei auch seine Leute im Parlament überzeugen muss. Doch bisher hat Alberto Fernández kein Sterbenswörtchen über das Thema geäußert. Der einzige Politiker, der dieses heiße Eisen angegangen ist, ist Florencio Randazzo. Alle Achtung!

Man kann somit gut zwei bis vier Prozentpunkte zur Arbeitslosigkeit hinzufügen, die das INDEC angibt. Doch dann kommt noch etwas anderes hinzu: die aktive Bevölkerung liegt bei 45,9%, gegen 47,7% vor zwei Jahren. Das bedeutet, dass die Zahl derjenigen, die prinzipiell keine Arbeit suchen, besonders Hausfrauen, die sich um den Haushalt und die Familie kümmern, gestiegen ist, was anormal ist. Normal wäre für Argentinien im internationalen Vergleich eine aktive Bevölkerung von über 50% der Gesamtbevölkerung. Hier besteht somit eine verkappte Arbeitslosigkeit, die zum großen Teil darauf zurückzuführen ist, dass die Löhne, die diese Menschen erhalten können, zu niedrig sind, um den Schaden auszugleichen, der bei Aufgabe der Haushaltsarbeit entsteht. Hierzu sei bemerkt, dass die Fernarbeit, also von den Wohnungen aus, statt im Büro, die wegen der Pandemie exponentiell zugenommen hat, und zum großen Teil ganz oder teilweise verbleiben wird, den Hausfrauen eine gute Gelegenheit bietet, zu arbeiten und sich gleichzeitig um den Haushalt und die Kinder zu kümmern. Somit sollte die aktive Bevölkerung effektiv schon gestiegen sein. Das dürfte das INDEC jedoch erst später erfassen.

Unter der Kirchner-Regierung (2003 bis 2015) wurde das Beschäftigungsproblem durch Aufnahme von unnötigem Personal in großen Mengen beim Staat “gelöst”. Das war eine einfache, aber sehr schlechte Lösung, weil dieser zu große Staat dann die Privatwirtschaft erdrückte, und die Schaffung von produktiven Arbeitsplätzen behinderte. Doch jetzt ist ist dies nicht mehr möglich, wobei man an einen Abbau von Staatsangestellten denken sollte, was noch mehr private Arbeitsplätze notwendig macht. Die Regierung will das Problem nur mit wirtschaftlichem Aufschwung lösen, der zumindest in seiner Dauer und seinem Umfang fragwürdig ist. Doch die technologische Revolution hat auch dazu geführt, dass weniger menschliche Arbeit für einen bestimmten Zweck notwendig ist, wobei dies besonders ungelernte Arbeiter betrifft. Man muss schon viel weiter denken, um an das Problem anzugehen.

Allgemein ist die Rede davon, dass Arbeitsplätze geschaffen werden müssen, und auch, dass die Subventionen, die Arbeitslose oder kaum beschäftige Menschen erhalten, in Lohn für Arbeit umgewandelt werden müssen. Auch Präsident Alberto Fernández sagte dies unlängst. Doch in der Praxis geschieht überhaupt nichts, um diese Ziele zu erreichen. Wir wollen ihm einige Vorschläge machen: 1. Der Betrag, der als Subvention gezahlt wird, sollte weiter gezahlt werden, wenn der Betreffende eine bezahlte Arbeit erhält, und zunächst zu 50% auf den Lohn angerechnet werden können. Die Subvention müsste dann stufenweise verringert und binnen 3 Jahren abgeschafft werden. Ohne dies weigern sich viele Subventionsempfänger, legal zu arbeiten, weil sie die Subvention verlieren. 2. Die Entlassungsentschädigung muss nicht wie jetzt ab jetzt ab 3 Monaten gelten, sondern erst ab 2 Jahren. Das erlaubt, potentiell instabile Arbeitsplätze zu besetzen. 3. Die Ersetzung der Entlassungsentschädigung durch einen Fonds, wie er seit 1967 bei der Bauwirtschaft besteht, mit dem eine Entschädigung gezahlt wird, sollte sofort studiert werden. Es kann dabei auch zu Zwischenlösungen kommen. Dieses System begünstigt Arbeitslose von Unternehmen, die pleite gegangen sind, und keine Entschädigung zahlen. 4. Für Jugendliche muss es bis zum 35. Lebensjahr bei Männern und 30 bei Frauen stark verringerte Sozialbeiträge geben. Sie sollen sie nur voll während der 30 Jahre zahlen, die bei der Pensionierung gefordert werden. 5. Die Ausbildung für Tätigkeiten, bei denen Arbeitskräfte gesucht werden, muss gefördert werden, einmal mit Sonderkursen in den Sekundarschulen, besonders für Informatik, und auch durch Einführung des deutschen Dualsystems, das Studenten erlaubt, einige Stunden in Betrieben zu arbeiten, ohne vom Gesamtarbeitsvertrag erfasst zu werden. Es gibt bestimmt noch weitere Möglichkeiten, um die Beschäftigung zu erhöhen. Aber wir begnügen uns, wenn mit diesen fünf begonnen wird.


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