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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die Inflationsspirale nähert sich ihrem kritischen Punkt

Von Juan E. Alemann

Die monatlichen Inflation hat im Juli mit 7,4% einen neuen Höhepunkt erreicht, und private Erhebungen der ersten Augustwoche ergeben, dass auch dieser Monat mit einer hohen Inflation abschließen wird. Für ganz 2022 rechnen private Ökonomen mit über 80%, eventuell auch über 90% und 100%. Die Hochrechnung von 7,4% auf 12 Monate ergibt 235%.

Diese hohe Inflation treibt auch Löhne und Gehälter in die Höhe. Die Arbeitsverträge, die im März/April abgeschlossen wurden, enthalten alle eine Revisionsklausel, und nach einer weiteren Erhöhung ist oft eine zweite und dritte Revision vorgesehen. In mehreren Fällen liegt die Jahreszunahme schon über 80%, und im Fall der Reifenindustrie will die kommunistisch beherrschte Gewerkschaft eine Zunahme von über 100% durchsetzen, bei Löhnen, de ohnehin schon weit über den normalen liegen, und hat die Unternehmen dieser Industrie mit Streiks unter Druck gesetzt. Da die ZB Reifenimporte nur ausnahmsweise zulässt, können die Unternehmen diese Kostenerhöhungen ohne Schwierigkeiten auf die Preise abwälzen. Die Schließung der Wirtschaft, die als Folge der Beschränkung der Zahlungsgenehmigungen für Importe durch die ZB besteht, macht die Unternehmer bei den Lohnverhandlungen noch nachgiebiger, weil sie die Lohnzulagen bequem auf die Preise übertragen können. Einzelne bedeutende Lohnerhöhungen haben einen Demonstrationseffekt auf andere Branchen, wobei auch vernünftige Gewerkschafter dabei unter Druck gestellt werden, und überhöhte Forderungen stellen müssen.

Hinzu kommt, dass Alberto Fernández, der schließlich immer noch als Präsident existiert, die Reallohnthese weiter vertritt, was gegenwärtig eine Zusage zur selbstbeschleunigenden Lohn-Preisspirale bedeutet, die in Hyperinflation endet. Für Wirtschaftsminister Sergio Massa, der auf ein Rahmenabkommen zwischen dem Spitzenverband der Gewerkschaften, der CGT, und den Spitzenverbänden der Unternehmen hinzielt, ergibt sich dabei ein unlösbares Problem. Denn er müsste damit beginnen, die These der Erhaltung des Reallohnes beiseitezulassen, und davon ausgehen, dass Argentinien eine Krise erlebt, die sich verschärfen wird, und auf alle Fälle einen allgemeinen realen Einkommensverlust für einen großen Teil der Bevölkerung bedeutet und auch die Lohnempfänger betrifft. Doch dabei sind Schwarzarbeiter, selbstständig Tätige und Kleinunternehmer in den meisten Fällen noch viel stärker betroffen.

Diese selbstbeschleunigende Inflationsspirale wird auch durch die Erhöhung der Zinsen angetrieben. Die ZB hat in der Vorwoche die Zinsen auf Lelic-Titel von 60,5% auf 69% angehoben, was bedeutet, dass man bei Kapitalisierung der Quartalszinsen auf ca. 100% gelangt. Diese Zinserhöhung gilt auch für Fristdepositen und, vor allem, für Kredite auf Schuldensaldi von Kreditkarten. Der mit diesen Krediten finanzierte Konsum wird zum Fluch. Denn viele Konsumenten können diese Kredite bei Verfall nicht zahlen, und bei Erneuerung der Kredite steigt der Betrag dann exponentiell. Vorläufig liegt der Zinssatz bei 125%. Hier entsteht dann ein großes soziales Problem, das zu den vielen, die schon bestehenden, hinzukommt.

Diese zweite Inflationsspirale, die im Wettlauf der Inflation mit den Zinsen besteht, treibt die Inflation noch mehr in die Höhe. Nebenbei bemerkt: die Zinsen, die dabei von den Finanzanstalten gefordert werden, die nicht der ZB-Regelung unterstehen, steigen noch mehr, auf irgendwo nahe zu 150%. Dieser informelle Kreditbereich ist in Argentinien sehr bedeutend, und bestimmt höher als die gesamten Bankkredite für kleine und mittlere Unternehmen.

Dieser Zinswahnsinn muss aufhören. Prinzipiell muss von festen Zinsen auf Indexierung übergegangen werden, sei es, dass Staatstitel, Depositen und Kredite mit dem CER an den Index der Konsumentenpreise gebunden sind, oder an den offiziellen Dollarkurs. Viele Ökonomen sind prinzipiell gegen Indexierungen. Doch man muss davon ausgehen, dass Indexierungen die Inflation passiv begleiten, während feste Zinsen die zukünftige Inflation vorwegnehmen, und dabei eine höhere Inflation einkalkulieren, als sie dann in Wirklichkeit besteht. Und auch das wirkt auf die Inflationsspirale.

Diese Inflation wird auch von der monetären Seite angetrieben. Die anormal hohe Geldschöpfung der letzten Monate schafft die Voraussetzung für diese selbstbeschleunigende Inflationsspirale. Massa hat jetzt eine Politik eingeleitet, die sich eine Senkung der Inflationsrate durch geringere Geldschöpfung zum Ziel setzt. Doch dabei dürfen Schwierigkeiten aufkommen. Einmal muss der Staat dann mehr Schulden aufnehmen, und das ist heute besonders schwierig. Und dann wird das Problem traditionell mit Hinausschiebung der Zahlungen an Lieferanten u.a. gelöst, was zunehmende Probleme schafft und auf Dauer einen unhaltbaren Zustand herbeiführt, bei dem der Staat nur noch sehr teuer oder gar nicht kaufen kann. Außerdem: wenn die monetäre Politik restriktiver wird, aber die Kostenerhöhungen weiter andauern, dann tritt unvermeidlich eine bedeutende Rezession ein.

Bisher hat sich diese Inflationsspirale kaum auf die reale Wirtschaft ausgewirkt. Der hervorragende Konsumforscher Guillermo Olivetto kommt in seiner Analyse von Montag (siehe “La Nación“) zu unerwarteten Schlussfolgerungen. Olivetto bezieht sich zunächst auf eine Umfrage der Consulting-Firma Scientia, die ergibt, das die Supermärkte im ersten Halbjahr 2022 eine reale Umsatzzunahme im Vergleich zum Vorjahr von 1,4% hatten, aber im Juli folgende interannuelle Zunahmen aufweisen: Speiseöl: +59%, Kaffee: +38%, Reis: +30%, Teigwaren: +26%, Yerba Mate: +23%, Zucker: 18%, Waschseife: +17%, Toilettenpapier: +17%, Mehl: +15%. Normalerweise werden diese Produkte ständig und in gleichen Mengen gekauft, im Ausmaß des täglichen Bedarfs. Der Konsumsprung, der hier aufgetreten ist, deutet darauf hin, dass die Konsumenten sich vor einer hohen Inflation schützen wollen, indem sie vorzeitig Waren kaufen. Doch das bedeutet, dass sie gelegentlich weniger kaufen, sei es weil die Inflation zurückgeht, oder weil ihr Realeinkommen abnimmt, wie es voraussichtlich der Fall sein dürfte.

Olivetto weist auch darauf hin, dass der Meli-Preisindex, der sich auf eine Reihe von Produkten bezieht, die die Firma “Mercado libre” verkauft, im Juli einen Sprung von 28% verzeichnet, fast vier Mal so viel wie der INDEC-Index der Konsumentenpreise. Dieser Index wird nicht durch offizielle Preise und Preiskontrollen beeinflusst, und spiegelt somit eine äußerst gefährlich Entwicklung.

Es kommt hier bald zu einem bösen Erwachen. Die Zeichen einer Rezession sind vorerst noch schwach, aber sie treten in immer mehr Fällen, und stärker, auf. Das Wunder, die Konjunktur mit Geldschöpfung auf hohen Touren zu erhalten, ist nur kurzfristig möglich. Es platzt entweder wegen der eigenen Dynamik der Selbstbeschleunigung, oder als Folge einer Stabilitätspolitik. Massa ist sich bewusst, dass er diesen Weg beschreiten muss, um eine Hyperinflation und einen großen Zusammenbruch zu vermeiden. Ob ihn sein Berater Daniel Marx oder sonst jemand überzeugt hat, spielt keine Rolle. Er muss wissen, dass eine besonders schwierige Lage auf ihn zukommt, der er nicht ausweichen kann. Er muss sie erfolgreich bekämpfen, auch wenn er dabei auf großen Widerstand in der Regierung und noch mehr in der Regierungspartei stößt. Denn sonst reißt die Krise auch ihn mit, und dann ist es mit seiner politischen Karriere zu Ende.



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