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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die Inflationsheuchelei

Von Juan E. Alemann

Nach dem zweiten Weltkrieg gab es viele Länder mit Inflation, bei jährlichen Preissteigerungen von 20 und mehr Prozent. Argentinien war keine Ausnahme, als es ab 1945 diesen Weg einleitete. Periodisch wurde versucht, die Inflation zu bremsen, und zwei Mal gelang es, Stabilität zu erreichen: Einmal im Jahr 1952, und dann von Mitte 1991 bis Ende 2001. Danach gab es eine Periode einstelliger Inflation, und dann stieg sie wieder. Heute liegt die Jahresrate über 50%, und das einzige, was man weiß, ist dass dies gefährlich ist und bald in Hyperinflation ausarten kann.

Die Regierungssprecher, die der Opposition und auch die meisten Ökonomen äußern sich dahingehend, dass die Inflation bewältigt werden muss, um wieder wachsen zu können. Es wird ständig darauf hingewiesen, dass Argentinien weltweit eine Ausnahme ist, wenn man Länder wie Venezuela und einige afrikanische draußen lässt, in denen die Katastrophe schon voll eingetreten ist. Aber die Vorstellungen, wie man die Inflation überwinden kann, oder sie zumindest auf eine einstellige Jahreszahl drücken kann, sind sehr konfus, auch wirklichkeitsfremd und widersprüchlich. Sie zeugen auch von einer großen Heuchelei. Denn die meisten glauben selber nicht an das, was sie sagen.

Als erstes erfordert die Inflationsbekämpfung, dass die Geldschöpfung drastisch verringert wird, wenn möglich zunächst auf Null, und dann nur im Ausmaß des realen Wachstums der Wirtschaft. Das erfordert einen ausgeglichenen Staatshaushalt. Doch um dieses Ziel zu erreichen, müssen unter vielen anderen Dingen die Subventionen für öffentliche Dienste verringert werden. Das bedeutet an erster Stelle viel teureren Strom, aber auch teureres Gas, Wasser und öffentlichen Personentransport. Das treibt den Preisindex in die Höhe, wirkt somit inflationär, widerspricht also dem Ziel dieser Politik. Streng genommen müsste ein Überschuss bei den Staatsfinanzen erreicht werden, um auch die Zinsen zu decken, die die ZB auf ihre Leliq-Scheine zahlt, die sonst mit Geldschöpfung gedeckt werden. Die ZB gehört auch zum Staat, und die wirtschaftliche Wirklichkeit lässt sich nicht durch die Tatsache täuschen, dass sie als unabhängiges Gebilde dargestellt wird.

Und jetzt kommt der zweite Teil dieser Geschichte hinzu. Wenn das Gleichgewicht der Staatsfinanzen zu einem Inflationssprung führt, dann bedeutet das einen Einkommensverlust der Bevölkerung, also auch einen niedrigeren Reallohn. Wenn jedoch dieser erhalten werden soll, wie es der Präsident, die Vizepräsidentin u.a. Regierungssprecher am laufenden Band sagen, dann beginnt der Reigen von neuem. Denn dann steigen auch die Gehälter der Staatsangestellten, die Pensionen und die Hinterbliebenenrenten, und dann ist das Defizit wieder da. Das ist so klar wie die Tatsache, das zwei mal zwei vier ergeben.

Hinzu kommt jetzt noch, dass die Deckung des Defizites mit Verschuldung auf dem internationalen Finanzmarkt auf viele Jahre hinaus ausgeschlossen ist. Wenn das Defizit nicht mit Verschuldung gedeckt wird, dann wird unvermeidlich zur Geldschöpfung gegriffen. Eine andere Lösung gibt es nicht. Minister Guzmán rechnet jetzt mit hohen Krediten der Weltbank, der BID, der Andenköperschaft sowie chinesischer u.a. Förderungsbanken. Die Fonds-Beamten meinen zunächst, Guzmán sei zu optimistisch. Auf alle Fälle fehlen noch Studien, lange Verhandlungen und ein Programm der Auszahlungen, die sich normalerweise auf Jahre hinaus erstrecken. Die Staaten zahlen prinzipiell ihre Schulden mit Aufnahme neuer Schulden, wobei normalerweise ein negativer Saldo verbleibt. In Argentinien müssen die Rechnung aufgehen, wenn möglich mit einem Überschuss. Ohne Möglichkeit der Neuverschuldung auf dem Finanzmarkt verbleiben nur die Weltbank u.a. internationale Förderungsinstitute. Es ist also richtig, wenn Guzmán sie in die Gesamtrechnung einbezieht. Aber er muss sich viel mehr als bisher um diese Kredite kümmern. Wie bekannt wurde, kümmert sich Gustavo Beliz, Staatssekretär für strategische Angelegenheiten im Präsidialamt, um dies.

Ein weiterer Aspekt einer Stabilisierungspolitik besteht darin, dass bedeutende Kursschwankungen vermieden werden müssen. Denn sie wirken sich sofort auf das gesamte Preisgefüge aus, also nicht nur auf Preise von Importgütern und solchen, die auch exportiert werden. Argentinien hat nicht nur faktisch ein bimonetäres System, sondern denkt und kalkuliert auch weitgehend in Dollar. Doch um den Wechselkurs kontrollieren zu können, braucht die ZB ein Reservepolster. Die gegenwärtige Lage, bei der die ZB mit ihren Reserven die Zahlungen von Zinsen und Amortisationen in den kommenden Monaten nicht decken kann, stellt einen Kurssprung in Aussicht, wobei allein dies, auch wenn es schließlich nicht eintritt, inflationär wirkt.

Der Internationale Währungsfonds trat in früheren Zeiten allgemein für Kursfreiheit ein, und meinte, der Kurs werde sich schließlich auf einem Gleichgewichtsniveau einpendeln. Inzwischen hat auch der Fonds den argentinischen Fall verstanden, und rät zur Kurspflege und zum Aufbau einer Devisenreserve. Angeblich fordert er jetzt auch eine Abwertung, die den realen Kursverlust dieses Jahres teilweise aufholt. Er geht so weit, die entsprechende Geldschöpfung zu dulden. Wobei er stillschweigend voraussetzt, dass diese nicht zu einer ohnehin schon hohen Geldschöpfung hinzukommt, die durch das Defizit der Staatsfinanzen bedingt ist.

Um das Gleichgewicht der Zahlungsbilanz zu sichern, muss es zunächst bei der Leistungsbilanz bestehen. Das erfordert höhere Exporte, umso mehr wenn die Wirtschaft effektiv wächst. Denn der Import hat dabei eine Elastizität von über eins, was bedeutet, dass er prozentual mehr als das BIP zunimmt. Um höhere Exporte zu erreichen, müssen die Bereiche auf die es ankommt, an erster Stelle die Pampa-Landwirtschaft, ein höheres Einkommen erhalten. Doch das geht auf Kosten des Einkommens der städtischen Bevölkerung, also auch des Reallohnes. Gegenwärtig wird das Einkommen der Pampa-Landwirte gedrückt (durch einen zurückgebliebenen Wechselkurs und Exportzölle), so dass genau das Gegenteil dessen gemacht wird, was für das wirtschaftliche Gleichgewicht und die Inflationsbekämpfung notwendig ist.

In der Regierung gehen Handelssekretär Feletti u.a. jetzt von einem anderen Stabilisierungskonzept aus, nämlich der Notwendigkeit einer Einkommenspolitik. Das bedeutet einen direkten Eingriff in die Preisbildung und die Löhne. Die Regierungssprecher betonen dabei stets, dass die Unternehmer zu viel verdienen, was einmal durch die Bilanzen dementiert wird, und dann zumindest in gewissen Fällen notwendig ist, um Investitionen anzuziehen. Doch Lohnkontrollen werden kaum erwähnt. Und wenn vom Konzept der Erhaltung des Reallohnes ausgegangen wird, dann geht die Gleichung von vornherein nicht auf. Die Stabilisierung von 1952 wurde durch eine harte Lohneinfrierung erreicht, die Perón mit seiner großen Macht durchsetzte, ohne Gewerkschaftstricks zu dulden, um sie zu durchbrechen. 1967, unter General Onganía als Präsident und Adalbert Krieger Vasena als Wirtschaftsminister,wurden die Löhne auch eingefroren, aber eben nicht so strikt. Infolgedessen wurde der Erfolg nur halbwegs erreicht. In beiden Fällen, 1952 und 1967, wurde die Lohneinfrierung von ausgeglichenen Staatsfinanzen begleitet.

Eine Lohneinfrierung scheint jetzt schwer möglich, auch wenn sie, wie 1952, von einer Preiseinfrierung begleitet wird. Aber man könnte zumindest bestimmte Regeln bei den Lohnverhandlungen einführen, um die Erhöhungen zu begrenzen. Einmal müsste verhindern werden, dass einzelne Branchen, bei denen die Gewerkschaften gute Druckmöglichkeiten haben und die Unternehmer nachgiebig sind, hohe Zulagen durchsetzen, die dann als Richtlinien auf die restlichen Verhandlungen wirken. Genau das geschieht gegenwärtig bei den Lastwagenfahrern und den Arbeitern der Speiseölindustrie. Und dann mussten bei den Verhandlungen auch ein Vertreter des Wirtschaftsministerium dabei sein, auch mit Stimmrecht, der sich gegen Lohnerhöhungen ausspricht, die auf die Preise übertragen werden. Denn er vertritt theoretisch den Konsumenten, der sonst an der Verhandlung nicht teilnimmt, aber die Zeche bezahlt.

All dies, was wir hier dargestellt haben, wird bei der öffentlichen Diskussion über die Inflation kaum erwähnt, und wenn, dann in sehr konfuser Form, so dass man aus den Empfehlungen nicht klug wird. Es besteht eine enorme Konfusion, und auch will niemand es mit den Gewerkschaften und der Gruppe La Cámpora aufnehmen.

Es ist daher empfehlenswert, die Wachstumsstrategie nicht von der Voraussetzung abhängig zu machen, dass eine erfolgreiche Inflationsbekämpfung vorher oder gleichzeitig erreicht werden. Brasilien und viele andere Länder sind in der Nachkriegszeit auch mit hoher Inflation stark gewachsen, und Argentinien in der ersten Periode der Militärregierung, mit José A. Martínez de Hoz als Wirtschaftsminister, auch. Das BIP nahm in den 5 Jahren seiner Amtszeit (1976 bis 1981) bei einer Inflation von über 100% in den ersten vier und einer von 50% im letzten Jahr um 30% zu, was kumulativ +5,6% jährlich ergibt. Gewiss muss die Inflation effektiv bekämpft werden, und dies bedarf noch viel gedanklicher Aufklärungsarbeit. Aber mischen wir dies nicht mit der Wachstumspolitik, die ohnehin schon komplex genug ist.


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