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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die hohe Arbeitslosigkeit

Von Juan E. Alemann

Die Zahlen des Statistischen Amtes ergeben für das 3. Quartal 2020 eine Arbeitslosigkeit von 11,7% der aktiven Bevölkerung (diejenigen, die arbeiten, plus die, die arbeiten wollen, die zusammen 42,3% der Gesamtbevölkerung ausmachen), gegen 13,1% im 2. Quartal und 9,7% im 3. Quartal 2019. Das ergibt 2,25 Mio. Arbeitslose, 50.000 weniger als im 2. Quartal, aber 190.000 mehr als ein Jahr zuvor.

Dies stimmt jedoch nicht. Die beschäftigte Bevölkerung lag im 3. Quartal 2020 bei 37,4% der Gesamtbevölkerung, gegen 33,4% im 2. Quartal und 42,6% im 3. Quartal 2019. Das bedeutet, dass die Zahl der Beschäftigten im einem Jahr von 19,2 Mio. auf 17 Mio. gefallen ist, was 2,2 Mio. Menschen ausmacht, die formell nicht zu den Arbeitslosen gezählt werden, weil sie angeblich keine Arbeit suchen, aber in Wirklichkeit doch arbeitslos sind. Sie versuchen meistens, über Familienangehörige oder Freunde eine Arbeit zu finden. Sie bleiben nicht zu Hause, weil sie faul sind oder zu denen gehören, die normalerweise keine bezahlte Arbeit haben, weil sie sie sich um den Haushalt kümmern oder sonst ein Einkommen haben und sich um andere Dinge kümmern. Wenn man diese Leute zu den offiziell angegebenen Arbeitslosen hinzuzählt, dann gelangt man auf 4,45 Mio. Menschen, und auf einen Koeffizienten von 24%. Im 2. Quartal 2020 waren es noch 29%, aber das ist ein schwacher Trost.

Die argentinische Statistik misst die Dauer der Arbeitslosigkeit nicht, wie sie z.B. in Deutschland gemessen wird. Ein Mensch, der drei Monate keine Arbeit hat, sollte kein soziales Problem darstellen, einer der zwei Jahre arbeitslos ist, stellt hingegen ein großes Problem dar. Man kann davon ausgehen, dass bei zunehmender Arbeitslosigkeit die Zahl der Langzeitarbeitslosen zunimmt, weil diejenigen, die schon arbeitslos sind, es weiter bleiben, und noch neue dazukommen, die nach und nach die Grenze von zwei Jahren übersteigen. Somit hat sich die Arbeitslosigkeit qualitativ verschlechtert.

Hinzu kommt noch, dass die Unterbeschäftigung im 3. Quartal 2020 mit 15,2% ausgewiesen wird, gegen 11% im 2. Quartal 2020 und 14,1% im 3. Quartal 2019. Diese Kategorie umfasst diejenigen, die unter 35 Stunden pro Woche arbeiten, aber mehr arbeiten wollen. Was die Statistik nicht misst, ist, wie viele Stunden die Unterbeschäftigen im Durchschnitt arbeiten. Hier hat bestimmt ein starke Abnahme stattgefunden, wobei viele Menschen dieser Kategorie im 3. Quartal 2020 so wenig zu tun hatten, dass sie auch als Arbeitslose eingestuft werden sollten. Man kann bestimmt zwei Punkte der Unterbeschäftigten zu den Arbeitslosen hinzufügen, so dass man auf einen Koeffizienten von 26% gelangt.

Die Arbeitslosigkeit wird in Argentinien traditionell durch Aufnahme von unnötigen Beamten in der Staatsstruktur gemildert. Dies wurde unter den Kirchner-Regierungen in extremer Weise vollzogen. Der Staat hat in seinen drei Stufen (Bundesstaat, Provinzen und Gemeinden) mindestens eine Million völlig überflüssige Angestellte. Statt den Beamtenstab abzubauen, an erster Stelle durch Einfrierung der freiwerdenden Stellen (jährlich gehen ca. 3% in Pension, oder sie sterben oder treten zurück), werden weiter Angestellte aufgenommen, jetzt viele von der Kirchnergruppe “La Cámpora”, der sich viele junge Leute nur anschließen, um auf diese Weise eine Anstellung beim Staat zu erhalten. Kein Wunder, dass die Cámpora so stark an Zahl gewachsen ist! Die Macri-Regierung hat sich nicht getraut, dieses heiße Eisen anzupacken. Aber zumindest hat sich die Gesamtzahl nicht stark verändert. Wenn jetzt im Rahmen des Abkommens mit dem IWF die Aufnahme von Arbeitslosen in der Staatsstruktur gebremst wird, dann verschwindet diese künstliche Schaffung von Arbeitsplätzen, und das Problem wird noch akuter.

Schließlich sei noch bemerkt, dass der Rückgang der aktiven Bevölkerung von 47,1% im 3. Quartal 2019 auf 42,3% im 3. Quartal 2020 nicht normal ist. Dass es im 2. Quartal 2020 nur 38,4% der Bevölkerung waren ist noch anormaler, und dürfte wohl nicht stimmen. In vergleichbaren Ländern liegt der Koeffizient der aktiven Bevölkerung zwischen 50% und 60% der Gesamtbevölkerung. In der Tat kommt auch hier eine verkappte Arbeitslosigkeit zum Vorschein. Würde es mehr ordentlich bezahlte Arbeitsmöglichkeiten geben, würden sich bestimmt viele Hausfrauen u.a. melden, die jetzt angeblich kein Interesse an einem bezahlten Arbeitsplatz haben.

Allgemein wird erwartet, dass sich die Wirtschaft nächstes Jahr erholt und dabei auch Arbeitsplätze geschaffen werden, die dieses Jahr verloren gingen. Das dürfte zum Teil wohl der Fall sein. Doch in vielen Fällen haben die Unternehmen gemerkt, dass sie mit einer geringeren Belegschaft auskommen, eventuell gelegentlich mit Überstunden. Die Computertechnologie ist dank Pandemie und Quarantäne stark vorangekommen, nicht nur was Heimarbeit und Internet-Handel betrifft, sondern auch bei unterschiedlichen Produktionsprozessen. Man sollte somit davon ausgehen, dass von den dieses Jahr verlorenen Arbeitsplätzen nur ein Teil wieder besetzt wird, allerdings nur sofern die aufstrebende Konjunktur effektiv eintritt.

Angesichts dieser Lage sollte die Beschäftigungsproblematik erste Priorität erhalten. Das scheint jedoch nicht der Fall zu sein, denn die Regierung kümmert sich kaum um dieses Problem. An erster Stelle muss die Arbeitsgesetzgebung revidiert werden, die in ihrer Essenz beschäftigungshemmend ist. Potentiell instabile Arbeitsplätze werden oft nicht besetzt, weil eine eventuelle Entlassung zu teuer ist und die Rechnung dann nicht aufgeht. Die Entlassungsentschädigung muss erst ab zwei Jahren statt der bestehenden drei Monaten gelten. Die Gefahr, dass dann die Arbeitnehmer nach zwei Jahren entlassen und neue genommen werden, um der Entlassungsentschädigung zu entgehen, ist unbegründet. Niemand entlässt einen Arbeitnehmer, der seine Arbeit gelernt hat, um mit einem neuen den Lernprozess, der vor allem die Chefs stark beansprucht, von Anfang an zu beginnen.

Allgemein werden arbeitsintensive Tätigkeiten benachteiligt, bei denen Argentinien einen relativen Vorteil im Vergleich zu anderen Ländern haben sollte. Allgemein, und besonders bei Jugendlichen, sollten Neuanstellungen gefördert werden, u.a. durch eine starke Verringerung (Halbierung?) der Sozialbeiträge. In diesem Sinn ist schon eine offizielle Initiative aufgekommen.

Ebenfalls muss die Schulung der Informatiktechnologie intensiviert werden. Denn es werden viele neue Arbeitsplätze geschaffen, die Kenntnisse auf diesem Gebiet voraussetzen. Es gibt schon private Initiativen in diesem Sinn, aber der Staat ist hier im Rückstand.

Diese hohe Arbeitslosigkeit hängt direkt mit dem hohen Armutskoeffizienten zusammen. Die Armut kann nicht verringert werden, solange eine so große Zahl von Menschen keine bezahlte Arbeit haben. Sozialminister Daniel Arroyo (für uns der beste Minister im Kabinett) ist sich des Problems bewusst, so dass er abgesehen von Nahrungsmittelprogrammen, mit denen 11 Mio. Menschen unentgeltlich Nahrungsmittel oder direkt eine Mahlzeit erhalten, auch ein Beschäftigungsprogramm in Gang gesetzt hat, benannt “Potenciar trabajo” (“Arbeit verstärken”), das sich auf Schaffung von Arbeitsplätzen bezieht, die für Nahrungsmittelproduktion, Umwandlung von Elendsvierteln in normale Stadtviertel u.a. Zwecke eingesetzt werden. Einzelheiten gab der Minister nicht bekannt. Auch löst dies das Beschäftigungsproblem nur zum geringsten Teil. Aber es ist ein Beitrag, bei dem zwei Fliegen mit einem Schlag getötet werden, indem Arbeitslose beschäftigt werden und ein sozialer Bedarf gedeckt wird. Es muss jedoch noch viel an diesem Programm gearbeitet werden, damit es effektiv in Gang kommt und nicht, wie üblich, in einer schlichten Subvention endet, die Menschen den Ansporn nimmt, sich um eine effektive Arbeit zu bemühen.


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