Von Juan E. Alemann
Letztes Jahr setzte weltweit eine bedeutende monetäre Expansion ein, die durch die Pandemie und deren Folgen bedingt war, gelegentlich auch durch andere Umstände. Ohne diese gigantische Geldschöpfung wären die wirtschaftlichen Folgen des Covid-19 unverhältnismäßig schlimmer gewesen, mit Rückgängen des Bruttoinlandsproduktes von 15 und mehr Prozent, und Arbeitslosenraten von bis zu 20%. Diese Expansion hat sich bisher minimal auf die Preise ausgewirkt, und dabei die traditionelle monetäre Theorie in Frage gestellt, die grundsätzlich auf einem direktem Zusammenhang von Geldmenge und Preisen ausgeht. Dass die USA und die EU jetzt jährliche Inflationsraten aufweisen, die ein bis zwei Prozentpunkte über den 2% liegen, die das bisherige Ziel darstellen, ist gewiss keine Tragödie, und lässt sich zum Teil auch durch andere Umstände erklären, wie der gestiegene Erdölpreis, der auf der OPEC-Entscheidung beruht, die Förderung nicht im notwendigen Ausmaß zu erhöhen. Das Ziel von 2% wurde seinerzeit aufgestellt, um Zunahmen bei bestimmten Preisen zu berücksichtigen, die durch besondere Umstände verursacht werden, was bei Nullinflation einen irrealen Rückgang anderer Preise erfordern würde.
Was ist mit dem Geldüberhang geschehen, der 2020 eingetreten ist? Von einer Abschöpfung des “zu vielen” Geldes ist nicht die Rede. Die monetäre Expansionspolitik wird auch 2021 überall weitergeführt, aber abgeschwächt. In den Vereinigten Staaten u.a Ländern hat der Geldüberhang zunächst zu einer höheren Sparrate geführt, und dann ging ein großer Teil von den Ersparnissen in die Börse, wo er die Kurse in die Höhe getrieben hat. In den USA ergab sich dabei das Paradoxon, dass die Wirtschaftsleistung zurückging, aber die Kurse von Aktien von Unternehmen, die von der Konjunktur abhängen, stiegen. In der Tat ist es so, dass in wohlhabenden Ländern mehr Geld bei der Bevölkerung nicht zu einer unmittelbar höheren Nachfrage führt, weil der Konsum ohnehin schon hoch ist, und die Familien keine Notwendigkeit sehen, ihn weiter zu erhöhen. In armen Ländern ist es anders, weil ein ungedeckter Bedarf besteht.
Es ist gut möglich, dass die Preise in den Vereinigten Staaten weiter steigen. Gelegentlich dürfte die Fed darauf reagieren und die Geldpolitik verhärten. 1980 war die Inflationsrate auf ca. 10% jährlich gestiegen, zum großen Teil wegen des stark erhöhten Erdölpreises, und darauf reagierte der damalige Fed-Präsident Paul Volcker mit einer brutalen Verhärtung der Geldpolitik, die u.a. zu Zinsen auf Spardepositen bei Banken von ca.20% führte. Das hat eine weltweite Rezession ausgelöst, auch in Argentinien. Es dauerte längere Zeit, bis sich die Lage beruhigte und die jährliche Preiszunahme in den USA wieder auf ca. 2% zurückging. Außerdem führte dies zu einem starken Rückgang des Erdölpreises, was dabei auch beabsichtigt war.
Fangen wir jetzt von vorne an. Die Wirtschaftswissenschaft ging zunächst von einem direkten Zusammenhang von Geldmenge und Wirtschaftsleistung aus, die später als Bruttoinlandsprodukt definiert wurde. Doch dann kamen Theoretiker wie Irving Fisher auf, die die Umlaufsgeschwindigkeit in die Gleichung einschlossen. Je länger das Geld von der Bevölkerung in bar gehalten wird, umso geringer ist die Umlaufsgeschwindigkeit. Die Pandemie und die Krisenerscheinungen, die sie herbeigeführt hat, hat allgemein zu einer größeren Geldhaltung geführt, weil viele Menschen befürchteten, ihre normalen Einkommensquellen zu verlieren. Somit ist die Umlaufsgeschwindigkeit in den USA, der EU u.a. Ländern stark gefallen, was die Zunahme der Geldmenge zumindest zum Teil ausgeglichen hat.
In Ländern mit stabiler Währung besteht kein Problem, die Liquiditätshaltung zu erhöhen. Aber in Inflationsländern, wie ganz besonders Argentinien, ist es anders. Hier wird die Haltung von Liquiditätsreserven in der lokalen Währung so niedrig wie möglich gehalten, weil die Inflationssteuer, lies Verringerung der Kaufkraft des Bargeldes, so weit wie möglich vermieden wird. Axel Kicilloff, Gouverneur der Provinz Buenos Aires und bis Dezember 2015 Wirtschaftsminister, der sich als keynesianischer Ökonom ausgibt, bagatellisierte unlängst die monetäre Expansion, die in Argentinien seit Jahren stattfindet und 2020 sehr betont war, mit dem Hinweis auf die Erfahrung fortgeschrittener Länder. Er hat dabei die Inflationswirkung vergessen. Nebenbei bemerkt: sein Meister, Lord Keynes, machte sich auch keine Sorgen über die Inflation, weil Großbritannien, die Vereinigten Staaten u.a. in den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als er sein berühmtes Buch schrieb, eine schwere Deflation erlebten.
Während der tiefen Rezession, die in den USA nach dem Börsenkrach von 1929 einsetzte, beachtete die Federal Reserve, dass der Geldbestand, definiert als Banknoten im Umlauf, nicht abnehme, um keine Deflation hervorzurufen. Dennoch spürte die Wirtschaft eine ungenügende Geldversorgung. Jahrzehnte später untersuchte der Ökonom Milton Friedman das Problem, und entwickelte dabei die moderne Geldtheorie, bei der auch Bankdepositen berücksichtigt werden, die für Zahlungen eingesetzt werden, ohne Unterschied zum Bargeld. Er bemerkte, dass in der Krise der 30er Jahre einige Banken zusammengebrochen waren und die Sparer dabei ihr Geld verloren, so dass die Sparer allgemein von Bankdepositen zurückhielten. Die Geldmenge im weiteren Sinn war dabei gefallen.
In der Tat sind Girodepositen genau so gut Zahlungsmittel wie Bargeld. Aber auch Spardepositen haben den Charakter von Zahlungsmitteln, aber mit einer geringen Umlaufsgeschwindigkeit. Daraufhin hat Friedman die Begriffe M1, M2 und M3 entwickelt, die sich auf Bargeld, Bargeld mit Kontokorrentdepositen und Bargeld mit allen Depositen beziehen. In der Tat ist es so, dass immer weniger Bargeld gehalten wird. Das ist in den Vereinigten Staaten sehr ausgeprägt, tritt aber auch in Argentinien auf, wobei der Übergang der Zahlungen auf solche, die über Belastung von Bankkonten erfolgen (Zahlung mit Zahl- und Kreditkarten, oder direkter Internetüberweisung), dieses Jahr sehr groß war. Das kommt im stark gestiegenen Erlös der Schecksteuer zum Ausdruck, die allerlei Zahlungen belastet, aber nicht die, die mit Bargeld erfolgen.
Wir gelangen zum Schluss, dass die Geldtheorie viel komplexer ist, als sie oft dargestellt wird. Das hat auch bei der Analyse des Inflationsproblems Bedeutung. Extreme Monetaristen, die das Inflationsproblem vereinfachen und behaupten, mit einer Beschränkung der Geldschöpfung, immer bezogen auf Banknoten, sei das Problem gelöst, irren sich. Denn wenn die Inflation kostenbedingt ist, also auf einer Abwertung, auf Lohnerhöhungen und allgemeiner Abwälzung höherer Kosten auf die Preise beruht, dann schafft die Wirtschaft irgendwie Zahlungsmittel, sei es über den Multiplikatoreffekt von Bankdepositen oder über Wechsel und vordatierte Schecks, die auch als Zahlungsmittel eingesetzt werden, oft beim gleichen Scheck mehrmals. Und wenn dabei schließlich Zahlungsmittel knapp werden, hat dies eine rezessive Wirkung, die diese restriktive Geldpolitik politisch erschwert.
In Argentinien ist der Fall noch komplexer, weil weitgehend in Dollar (gelegentlich auch in Euros) gespart wird, und auch die normale Liquidität in Dollar gehalten wird. Wenn eine Zahlung in Pesos fällig ist, werden die Dollar in Pesos umgetauscht. Aber in vielen Fällen, besonders bei Immobilienübertragungen, wird direkt mit Dollar gezahlt. Die Dollarguthaben der Bevölkerung haben somit in Argentinien auch den Charakter von lokalem Geld, weil sie hier und nicht in den USA zwecks Zahlung eingesetzt werden. Die Federal Reserve der USA ist sich dessen bewusst, und berechnet, so weit es für sie möglich ist, den Dollarbestand im Ausland. Argentinien und Russland sind die Länder mit dem größten Bestand an Dollarscheinen. Aber auch in anderen Ländern ist er hoch, wie in Venezuela, wo die eigene Währung, der Bolivar, wegen der andauernden Hyperinflation einen sehr beschränkten Geldcharakter hat. Als der damalige Wirtschaftsminister Domingo Cavallo in den 90er Jahren Girokonten in Dollar bei lokalen Banken zuließ, hat er dabei den Charakter des Dollars als lokale Währung erweitert.
Wie weit sich die argentinische Wirtschaftsführung Gedanken über all dies macht, sei dahingestellt. Denn hier besteht die Gefahr, dass schließlich der Zusammenhang zwischen Banknoteumlauf und Inflation nicht relativiert, sondern direkt verneint wird, und es schließlich zu einem bösen Erwachen kommt.
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