Von Juan E. Alemann
Argentinien erlebt gegenwärtig eine tiefe Krise auf dem Gebiet der Wirtschaft, der sozialen Lage, der Sanität, der Sicherheit und des Drogenhandels. Das hat es bisher nie gegeben und stellt die Regierung vor extrem schwierige Herausforderungen, die auch auf die politische Szene überlaufen und dabei noch komplexer werden. Man kann den Präsidenten gewiss nicht beneiden.
Fangen wir mit der Wirtschaft an. Das Bruttoinlandsprodukt ist 2020 um ca. 10 Prozent zurückgegangen, und das reale Einkommen pro Kopf der Bevölkerung liegt heute unter dem, was vor einem Jahrzehnt erreicht wurde. Dieses Jahr begann mit einer Erholung, die jedoch kurzlebig war und bestenfalls in einer Stagnation bis 2022 weitergeht. Der Staat steht kurz vor einem neuen Default, weil die unmittelbar bevorstehenden Schuldenzahlungen nicht möglich sind, und die allmächtige Cristina sich einem Abkommen mit dem IWF widersetzt, das auch eine Ordnung der Staatsfinanzen beinhaltet. Sie will dies bis zu den Wahlen verschieben; doch die Wirtschaft verträgt diese Pause nicht, in der auch ein faktischer Default eintritt.
Die Wirtschaftskrise wird von einer sozialen Krise von ungeahntem Ausmaß begleitet, die in hoher Arbeitslosigkeit, mit viel mehr Langzeitarbeitslosen und Arbeitslosen, die die INDEC-Erhebung bei Seite lässt, mit erhöhter Armut und viel mehr Obdachlosen, die auf der Straße schlafen. Ohne die staatliche Nahrungsmittelhilfe würden viele Menschen regelrecht verhungern. Hinzu kommt noch, dass die Kinder das ganze Jahr 2020 nicht in die Schule gingen, und zum größten Teil auch dieses Jahr nicht. Kinder des Mittelstandes haben meistens einen Computer zu Hause, was ihnen erlaubt, Zugang zum Lehrmaterial zu haben. Arme Kinder haben dies nicht. Sie bleiben bei ihrer Erziehung zurück, und es ist schwer, dies aufzuholen. Das führt dazu, dass sie lebenslänglich zur Armut verurteilt sind.
Die Sanitätskrise hat jetzt mit der zweiten Welle einen Umfang erreicht, bei dem die Pandemie noch kritischer als bisher auftritt. Es muss intensiv geimpft werden, doch der Impfstoff kommt nur in beschränkten Mengen ins Land, und die Impfung erfolgt ungeordnet. Die Regierung hat sich nicht rechtzeitig um die Versorgung mit ausreichenden Impfdosen gekümmert, dabei auch wegen unbedeutender Differenzen auf Pfizer verzichtet, und jetzt steht sie vor einem Problem, das gewiss hätte vermieden oder zumindest stark beschränkt werden können. Die tiefe Sanitätskrise vertieft die Wirtschaftskrise und die kritische soziale Lage.
Zu all dem kommt jetzt die Sicherheitskrise, die in einer explosiven Zunahme der Überfälle, Raube und Morde zum Ausdruck kommt. Sicherheitsministerin Sabina Frederic ist Anthropologin und hat keine blasse Ahnung von Sicherheit. Als erstes hat sie den Einsatz von Laser-Pistolen abgeschafft und dabei die Polizei bei ihrem Vorgehen gegen Verbrecher geschwächt. In armen Bezirken um die Bundeshauptstadt leben die Menschen mit Angst und flehen die Regierung um Polizeischutz an, der meistens kaum besteht.
Nicht zuletzt kommt noch das Drogenproblem. Patricia Bullrich hatte unter der Macri-Regierung schon einen großen Fortschritt erreicht, mit Beschlagnahme hoher Mengen von Kokain und Marihuana, und Festnahmen von Händlern. Jetzt geschieht kaum etwas auf diesem Gebiet. In Rosario ist der Teufel los, mit einem offenen Krieg zwischen Drogenbanden, und letzte Woche auch im Stadtviertel Lugano in der Stadt Buenos Aires. Der Drogenkonsum hat stark zugenommen, und das hinterlässt eine große und zunehmende Zahl junger Menschen, die langsam verkommen, sich nicht in den Arbeitsprozess eingliedern können, und stehlen müssen, um Drogen zu kaufen. Von den fünf Krisen ist diese die schlimmste.
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