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Die Frauenversammlung von Buenos Aires

Actualizado: 26 jun 2020

Rund um das Teatro Cervantes wurde am Samstag eine feministische Plattform geschaffen

Von Antje Waldschmidt

La asamblea de las mujeres: Die Journalistinnen Tina Gerhäusser, Soledad Vallejos und Claudia Piñeiro im Gespräch. (Foto: Antje Waldschmidt)

Buenos Aires (AT) - Es ist 15 Uhr. Bis weit in die Libertad hinein, formt sich vor dem Teatro Cervantes eine Schlange aus Wartenden. Der Großteil sind Frauen. Doch an diesem Nachmittag steht keine von ihnen für eine Theatervorstellung an: Diese Frauen sind gekommen, um über Feminismus zu sprechen. Und der Andrang ist groß.

Am Samstag, den 23. März hat das argentinische Nationaltheater – Teatro Cervantes, in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut, dem Institut français d’Argentine, der Stiftung Medifé und mit Unterstützung der Alliance française sowie der Rosa-Luxemburg Stiftung zur „Asamblea de las mujeres“ (Versammlung der Frauen) geladen. Symbolisch wurde dafür das fast 2500 Jahre alte Theaterstück des griechischen Dichters Aristophanes „Frauen in der Volksversammlung“ wieder zum Leben erweckt. Mit der Komödie soll der langwierige Kampf der Frauen, ebenso wie die jahrhundertelangen Anstrengungen der feministischen Bewegungen für volle Bürgerrechte und ein Leben mit rechtlicher Gleichstellung, Freiheit, Autonomie und Teilhabe auf die Bühne gebracht werden.

„Wir haben zwar seit 14 Jahren eine Kanzlerin, aber keine Parität in Deutschland“, sagt Tina Gerhäusser. Die Journalistin und Moderatorin ihres eigenen politischen Programms bei der Deutschen Welle (DW) ist eine von drei Referentinnen aus Deutschland, die zur Frauenversammlung nach Buenos Aires geladen wurden. Im morgendlichen Panel diskutiert sie mit den argentinischen Journalistinnen Soledad Vallejos und Claudia Piñeiro über die Rechte von Frauen im öffentlichen Raum. „Das Jahr 2019 ist ein besonderes für den deutschen Bundestag: 100 Jahre zuvor durften Frauen erstmals wählen“, erklärt Gerhäusser. Dennoch seien auch 100 Jahre später lediglich 31 Prozent Frauen im Parlament vertreten, obwohl 51,2 Prozent der Deutschen weiblich sind. „Das ist ein Rückschritt – der niedrigste Wert seit 20 Jahren“, sagt Gerhäusser.

Die eintägige Veranstaltung „Asamblea de las mujeres“ thematisiert aus argentinischer, deutscher und französischer Perspektive sowohl aktuelle feministische Anliegen als auch Ansichten auf die Vergangenheit. So soll ein historischer Bogen von eben jener „Volksversammlung der Frauen“ aus der Antike bis hin zur heutigen Mobilisierung für Gleichberechtigung der Frauen gespannt werden.

Neben Referentin Gerhäusser sind auch Julia Korbik, Autorin eines modernen, jungen Feminismus und die Kulturwissenschaftlerin Sonja Eismann, die das feministische Missy Magazin mit herausgibt, aus Deutschland angereist. Anhand von Panels, Lesungen, Workshops, Kunstinstallationen und Filmen, die über den Tag verteilt stattfinden, wird die Plattform zum Leben erweckt. Insgesamt gibt es mehr als 35 Programmpunkte.

Auch die internationale feministische Buchmesse Pre-FILFEM 2019 in der Bar Las Meninas neben dem Nationaltheater gehört dazu. Neben Klassikern des Feminismus wie Bücher von Simone de Beauvoir und Rita Segato präsentieren sich hier feministische Zeichnerinnen und Illustratoren, ebenso wie das Wissenschaftsmagazin „intrépidas“. „Intrépidas wurde geschaffen, um Mädchen zwischen sechs und zwölf Jahren an naturwissenschaftliche Themen heranzuführen“, sagt Herausgeberin Angeles Estrada Vigil. Denn bereits in der Grundschule würden diese Themen geschlechtsstereotypisch aufbereitet werden, so dass Mädchen sich schnell von den Wissenschaften abwenden. Ziel von Intrépidas sei es, das zu ändern.

Höhepunkt der Veranstaltung ist das einstündige Interview am Nachmittag, das die Journalistin und Politologin María O’Donnell mit Rita Segato über Geschlechterbeziehungen in Lateinamerika führt. Der Hauptsaal des Nationaltheaters „María Guerrero“ ist bis zu den Galerien gefüllt. Die promovierte Anthropologin und Forscherin Rita Segato, die zu den renommiertesten feministischen Denkerinnen Lateinamerikas gehört, gibt sich kritisch. Sie mahnt die Frauen Argentiniens an, mehr auf eigene Bewegungen und Gedanken zu hören und nicht alles aus eurozentristischer Perspektive zu übernehmen. Zum Ende folgen versöhnliche Töne: „Als mich mein Sohn hier in Argentinien besuchte und wir durch die Straßen liefen, grüßten mich die Leute - alte und junge, wohlhabende und auf der Straße lebende. Darauf sagte mein Sohn: Wie schön ist es in einem Land zu leben, wo man dafür berühmt sein kann, zu denken.“


Der Andrang vor dem argentinischen Nationaltheater für die Veranstaltung ist groß. (Foto: kim)

Die Frauenversammlung von Buenos Aires dauert mehr als elf Stunden. Von 11 bis nach 22 Uhr schafft sie eine lebendige Plattform, auf der Ideen frei ausgetauscht werden: Das Nationaltheater füllt sich an diesem Samstag mit einem vielfältigen, offenen und pluralistischen Geist. Neben ähnlichen Herausforderungen, wie dem Gender Pay Gap, der bedeutet, dass Frauen in Argentinien durchschnittlich 27 - und in Deutschland 21 Prozent weniger als die Männer ihrer Länder verdienen, kristallisieren sich auch Unterschiede heraus. Einen davon fasst Psychologin und Journalistin Liliana Hendel, insbesondere mit Blick auf das kürzlich im Senat gescheiterte Gesetz für ein liberales Abtreibungsrecht in Argentinien, wie folgt zusammen: „In Deutschland kann über diese Themen geredet werden, in Argentinien können wir das noch nicht.“


INFOBOX FEMINISMUS

Der Feminismus ist eine gesellschaftspolitische Bewegung, die sich für die Gleichberechtigung der Geschlechter einsetzt, Diskriminierungen aufdeckt und gesellschaftliche Normen und Strukturen verändern will.

Es können u.a. folgende Ansätze unterschieden werden:

  • Gleichheitsfeminismus: Feministische Strömung, die davon ausgeht, dass Männer und Frauen gleich sind – Unterschiede sind nicht biologisch, sondern gesellschaftlich bedingt.

  • Postkolonialer Feminismus: Kommt vorwiegend im amerikanischen „Black Feminism“ vor. Geht nicht von einer kollektiven weiblichen Identität aus. Ungleichheiten, die in Verbindung mit historischen Erfahrungen stehen (z.B. Kolonialismus) werden in feministische Analysen miteinbezogen.

  • Post-Feminismus: Diese Strömung ist nicht eindeutig definiert. Bezeichnet u.a. eine Strömung, die Sexismus für überwunden und Feminismus für obsolet hält.

Quelle: Korbik, Julia (2014): Stand Up. Feminismus für Anfänger und Fortgeschrittene, Rogner & Bernard.

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