Von Juan E. Alemann
Fast alle lokalen Ökonomen sind überzeugt, dass Argentinien viel mehr exportieren muss, um nicht in wenigen Jahren in eine neue Krise zu geraten. Diejenigen, die meinen, das Problem sollte mit einer sehr restriktiven Importpolitik gelöst werden, stellen wohl eine unbedeutende Minderheit dar. Gewiss: wenn die Exportzunahme nicht gelingt oder nicht ausreicht, dann kommt unvermeidlich eine restriktiven Importpolitik, sei es bewusst oder als Folge einer Rezession, wie es jetzt der Fall ist. Doch dies hemmt schließlich das Wachstum und stellt somit keine echte Lösung dar. Was auch nicht bedeutet, dass der Import so weit geöffnet wird, dass er die lokale Industrie zerstört. Und auch nicht, dass die Preise der Importprodukte nicht kontrolliert werden, wie es jetzt der Fall ist. Es fällt auf, dass innerhalb der Regierung keiner der Minister und Staatssekretäre, die sich mit dem Zahlungsbilanzproblem und der Importpolitik befassen, auf dieses Problem hinweisen. Ein Importzoll von 35%, wie er in Argentinien als Höchstsatz besteht, sinkt auf 17,5%, wenn der angegebene Importpreis halbiert wird. Dies und noch mehr geschieht ständig.
Man vermisst bei Befürworten einer bedeutenden Exportzunahme konkrete Hinweise auf Maßnahmen, die dies herbeiführen. Es bleibt meistens bei allgemeinen Floskeln, und in der Praxis geschieht dann nichts, oder es kommt sogar zu Maßnahmen, die gegen den Export wirken. Fangen wir jetzt von vorne an, und teilen somit das Problem in drei Bereiche auf: 1. Die traditionellen Exporte von Getreide, Ölsaat und Rindfleisch (zu denen früher noch Wolle hinzukam, die jetzt wenig bedeutend ist); 2. Die Exporte von Industriegütern, die auf den Grundlagen von landwirtschaftlichen Rohstoffen erzeugt werden; 3. Andere Exporte.
Die traditionellen Exporte
Bei der ersten Gruppe kann eine Zunahme erreicht werden. Fachleute meinen, dass die Rekordernte von 145 Tonnen Getreide und Ölsaaten, die 2018/19 erzielt wurde, auf gut 200 Mio. Tonnen erhöht werden kann. Das kann auf zwei Wegen erzielt werden: Erhöhung der Erträge und Ausdehnung oder Intensivierung der Produktion in Grenzgebieten. Beides erfordert höhere Preise. Denn höhere Erträge beruhen besonders auf intensiver Düngung, wobei an einem gewissen Punkt die Einheitskosten steigen. Eine bedeutende Ertragszunahme kann in einigen Gebieten auch durch künstliche Bewässerung erreicht werden, Gegenwärtig werden 2 Mio. ha bewässert, und der nationale Bewässerungsplan von 2013 sieht eine Verdoppelung dieser Fläche bis 2030 vor. Insgesamt könnten 6 Mio. ha bewässert werden, mit Anlagen, die das Wasser wie dichter Regen auf das Land sprühen. Abgesehen davon, sind in Grenzgebieten, in denen es weniger regnet, und oft viel zu wenig, die Erträge ohnehin geringer, und es besteht auch die Gefahr eines Ernteausfalls als normale Erscheinung. In diesen Gegenden (besonders in Santiago del Estero) könnte viel mehr Sojabohne gesät werden.
Doch der Preis wird hier durch einen Exportzoll von 33% künstlich gedrückt, so dass die Rechnung nicht aufgeht. Wenn dieser Exportzoll, den es sonst nirgends auf der Welt gibt, abgeschafft oder zumindest stark verringert würde, dann verdienen die Sojaproduzenten der zentralen Gegend der sogenannten feuchten Pampa entsprechend mehr. Und dieses Mehreinkommen will man ihnen im Rahmen einer Gesamtvision über Einkommensverteilung nicht gönnen. Dabei muss man berücksichtigen, dass auch die Landwirte die Einkommenssteuer zahlen und bei Soja zum vollen internationalen Preis (minus Transportkosten) beim Gewinn auf einen Satz von 30% kommen, den die Inflation real noch weiter in die Höhe treibt. Außerdem wird dann behauptet, die Sojabohne würde andere Kulturen verdrängen. Das ist jedoch kein gültiges Argument. Es geht schließlich darum, den höchsten Erntewert pro Hektar zu erhalten, auch den höchsten Export pro ha, und das wird durch stark differenzierte Exportzölle verfälscht, und führt gesamthaft zu einem niedrigeren Exporterlös. Gelegentlich kommt die Initiative auf, den Exportzoll je nach Gegend zu differenzieren. Das wäre jedoch unkontrollierbar und würde auch legal beanstandet. Um einen maximalen Exporterlös aus diesen landwirtschaftlichen Produkten zu erzielen, muss man eine Einkommensverschiebung zu Gunsten dieser Landwirte in Kauf nehmen, und versuchen, dass dies im Rahmen eines relativ hohen und dauerhaften Wachstums keine starke Wirkung hat. Etwa wie in den Vereinigten Staaten, wo es keine Diskriminierung der Landwirte gibt, die genau die gleichen Produkte wie in Argentinien erzeugen, und gelegentlich sogar direkte oder verkappte Subventionen bestehen. Und der Reallohn ist dennoch sehr hoch.
Rindfleisch stellt ein Problem für sich dar. Argentinien hat die Produktion schon erhöht, durch bessere Geburtenkontrolle, Mästung in “feed lots”, und Ausmerzung der Maul- und Klauenseuche, und kann gewiss noch mehr produzieren. Außerdem ist der Binnenkonsum von über 80 und gelegentlich über 90 kg pro Kopf und Jahr in den letzten Jahrzehnten auf knapp über 50 kg gefallen, so dass mehr exportiert werden kann. Doch die USA beschränken den Import auf 20.000 Jato und die EU hat einmal zwei Kontingente, eines (die Hilton-Quote) mit 20% Zoll, und das andere für Qualitätsfleisch zu Nullzoll. Darüber hinaus gilt ein beweglicher Zollsatz, der als Differenz zwischen einem Richtpreis und dem Importpreis berechnet wird. Dabei ergibt sich ein Zollsatz von bis zu 100%. Das widerspricht der WTO-Regelung, wurde jedoch von Argentinien bisher nicht beanstandet. Es sollte durch ein Kontingent mit niedrigem Zollsatz ersetzt werden, so dass Argentinien einen höheren Preis erhält. Das Rindfleischproblem wurde in den letzten Jahren entschärft, weil China als großer Käufer aufgetreten ist. Doch China kauft grundsätzlich die billigeren Teile des Rinderleibes, während die EU die teuren bezieht. Man kann somit nicht auf die EU verzichten. Doch die widerrechtliche Hemmung der Rindfleischimporte der EU wurde weder der WTO vorgelegt noch im Freihandelsabkommen behandelt. Hoffen wir das jetzt, da Felipe Solá Außenminister ist, der 8 Jahre lang ein sehr erfolgreicher Landwirtschaftssekretär unter Menem war, und das Außenhandelssekretariat wieder von ihm abhängt, die Regierung diese Probleme aufnimmt.
Zum Rindfleisch ist jetzt noch Schweinefleisch hinzugekommen, mit der Aussicht auf einen bedeutenden Exportsprung. Dies beruht auf der Schweinepest, die vor drei Jahren in China aufgetreten ist und zu einer drastischen Verringerung des Bestandes geführt hat, so dass China jetzt den Bedarf auch mit importierten Schweinefleisch decken muss, und dabei sogar Investitionen zu diesem Zweck in Argentinien in Aussicht gestellt hat. Doch die bestehenden Betriebe, die in den letzten drei Jahrzehnten entstanden oder stark ausgeweitet und modernisiert wurden, sind schon jetzt in der Lage, Schweinefleisch in hohen Mengen zu exportieren. Und nicht nur nach China. Auch fördert die lokale Schweinefleischproduktion den Rindfleischexport, weil der interne Konsum stark auf Schweinefleisch übergegangen ist.
Was noch fehlt, ist die Förderung des Exportes von Schaffleisch. Die Schafe wurden vor vielen Jahrzehnten schon genetisch so verändert, dass sie Wolle und wenig Fleisch erzeugen. Doch jetzt ist Wolle wenig gefragt und auch wenig Wert, so dass eine umgekehrte Entwicklung in Gang gesetzt wurde, die jedoch sehr langsam voranschreitet. Sie sollte beschleunigt werden.
Industrieprodukte mit landwirtschaftlichen Rohstoffen
Bei dieser Exportgruppe besteht prinzipiell das Problem, dass die Staaten, die diese Produkte importieren, für diese höhere Zolle erheben als für die Rohstoffe, aus denen sie hergestellt werden. Der Zollsatz für Sojaöl und -mehl ist in der EU, in China und in anderen Ländern wesentlich höher als für Sojabohne. Dieses Schema wiederholt sich bei Weizenmehl gegenüber Weizen, und auch bei Teigwaren gegenüber Mehl, bei anderen Getreidarten und auch bei Leder gegenüber Rinderhäuten. Die verarbeiteten Produkte verlieren dabei an Konkurrenzfähigkeit.
Um diesem Problem entgegenzukommen, wurden in Argentinien traditionell niedrigere oder gar keine Exportzölle für diese Industrieprodukte erhoben, so dass sie einen höheren Nettokurs als ihre Rohstoff erhielten. Außerdem wurden sogenannte Rückvergütungen gezahlt, also direkte Subventionen, die als Rückerstattung von Steuern verkleidet wurden. Wenn dabei die Rechnung aufging und die Exporte stattfanden, dann bedeutete dies einen Übertragung von steuerlichen Mitteln von Argentinien auf die EU, China u.a. Staaten. Das hat gewiss keinen vernünftigen Sinn. Doch Argentinien hat dieses Problem bisher nicht bei der Welthandelsorganisation vorgebracht, oder im Sinn von Donald Trump gehandelt, der in diesen Fällen Strafzölle auf Importe von Ländern verfügt, die den Import von US-Produkten hemmen. Auch ist nicht bekannt, dass das Thema im Rahmen des Freihandelsabkommens zwischen dem Mercosur und der EU gelöst wurde. Offiziell wurde zumindest nichts darüber berichtet. Was die differenzierten Exportzölle betrifft, so hat sie Macri in wichtigen Fällen abgeschafft, was zu einer sogenannten ”Primarisierung” der argentinischen Exporte geführt hat, also zu einer Erhöhung des Anteils der Rohstoffe (vor allem Getreide, Ölsaaten) am Gesamtexport. Das hat die Regierung von Fernandez zurechtgebogen, aber die Landwirte beklagen sich, dass dies auf ihre Kosten geschehen ist, nämlich über einen Exportzoll, der u.a. den lokalen Preis der Sojabohne verringert.
Metalle, Erze u.a. Produkte
Eine dritte Gruppe von Exportprodukten bezieht sich an erster Stelle auf Bergbauprodukte, wobei Gold ganz oben steht und gelegentlich mehr zum Export beitrug als Rindfleisch. Argentinien ist heute einer der größten Goldproduzenten der Welt. Der Bergbau kann noch mehr zum Export beitragen vor allem mit Kupfererz (das auch zu reinem Kupfer verarbeitet werden könnte, womit der Exportwert stark steigt). Das Bergbaugesetz aus der Menem-Regierung, das sich immer noch in Kraft befindet, ist eine gute Grundlage für diese Tätigkeit, muss aber strikt eingehalten werden, was die Kirchner-Regierung nicht getan hat. Denn das Gesetz sieht vor, dass die steuerlichen Bedingungen, die bei der Gewährung einer Konzession bestehen, für die ganze Periode derselben eingehalten werden muss. Das bedeutet, dass die Exportzölle, die auf Initiative des damaligen Handelssekretärs Guillermo Moreno eingeführt wurden, legal nicht zulässig sind.
Es gibt jedoch noch viel mehr Exportprodukte, bei denen Zunahmen möglich sind. Es handelt sich um Tabak, Baumwolle, Zucker, Yerba Mate, Tee, Zitronen u.a. Arten von Zitrusfrüchten und auch Äpfel, Pfirsiche u.a. Obstarten. Der Zitronenexport ist in letzter Zeit in Schwung gekommen, nachdem die USA ihn wieder zugelassen hat und China als Käufer aufgetreten ist. Die Provinz Tucumán hat sich in den letzten vier Jahrzehnten zu einem großen Zitronenproduzenten entwickelt, wobei diese Zitronen qualitativ zu den bestehen der Welt gehören. Bei Obst muss sehr auf Sanität geachtet werden, wie es jetzt wieder der Fall mit den Orangen gezeigt hat, deren Import von der EU wegen schwarzer Flecken verboten wurde.
Bei Äpfeln aus dem Tal vom Río Negro, die qualitativ die besten der Welt sein dürften, ist der Export schwierig geworden, wobei es sich ohnehin um einen komplizierten Export handelt, weil die Äpfel kalt gehalten werden, gut verpackt und sorgfältig behandelt werden müssen, damit sie nicht durch Quetschungen beschädigt werden. Eigentlich müssten die Äpfel am Produktionsort zu Apfelmus verarbeitet werden, das in den USA und der EU bei Strudel und Apfelkuchen eingesetzt wird. Dieser Export sollte technisch viel einfacher als der von Äpfeln sein. Es handelt sich hier eigentlich nur um einen Fall von vielen, bei denen man beim Export einen Schritt weiter denken muss. Viele Länder exportieren verarbeitete Lebensmittel. Frankreich exportiert Käse, besonders Camembert, Deutschland saure Gurken in Glasgefäßen (die vor einigen Jahren auf bei Jumbo und Disco zu haben waren), usw.
Ein besonderer Fall stellt Holz dar. Argentinien hat wie kaum ein anderes Land beste Bedingungen für den Anbau künstlicher Wälder. Das wurde ab 1956 steuerlich gefördert, und ab 1978 mit einer direkten Subvention, so dass viel bewaldet wurde und eine relativ hohe Holzproduktion besteht, die zum Teil als Rohstoff und zum Teil als Bretter oder sonst was exportiert wird. Es ist eigentlich unverständlich, dass sich zwei große Zellulosefabriken in Uruguay und nicht in Argentinien niedergelassen haben. Den industriellen Mehrwert erhält jetzt das Nachbarland, das für diese Industrie den Rohstoff weitgehend aus Argentinien bezieht. Zumindest eine Fabrik hätte in Argentinien errichtet werden sollen. Doch die Regierung hat sich nicht darum gekümmert, was unbegreiflich ist.
Schließlich kommen noch allerlei Industrieprodukte hinzu, wobei es sich oft um Gelegenheitsexporte handelt. Das ist beim internationalen Handel normal. Gewiss könnten viele Industrieprodukte in höherem Umfang exportiert werden. Die Regierung muss über die zuständigen Ämter direkten Kontakt mit Unternehmer aufnehmen, die Exportinitiativen haben, und sich überlegen, wie sie den Unternehmern dabei helfen kann.
Schließlich sind Automobile u.a. Kraftfahrzeuge noch ein Sonderfall. Denn die Exporte entfallen zum allergrößten Teil auf den kompensierten Handelsaustausch mit Brasilien. Somit sind es keine echten Exporte, sondern nur ein Mittel, um den Fabriken zu erlauben, sich auf wenige Modelle zu konzentrieren und dabei Kosten zu senken.
Schlussfolgerungen
Der Export hängt auch mit den internen Kosten zusammen, bei denen oft Faktoren eine Rolle spielen, die das Exportunternehmen nicht beherrscht, wie, an erster Stelle, die provinzielle Bruttoumsatzsteuer, die eine kumulative Wirkung hat und in einigen Fällen einen hohen Betrag auf das Endprodukt darstellt. Diese Steuer müsste zurück erstattet werden. Ebenso ist das Transportproblem von Bedeutung, besonders bei Produkten, die in weiter Entfernung vom Hafen von Buenos Aires erzeugt werden. In diesem Sinn ist die Vollendung der Erneuerung der Belgrano-Frachteisenbahn (Buenos Aires bis Jujuy) besonders wichtig, die unter der Macri-Regierung eingeleitet wurde und schon weit fortgeschritten ist. Ebenfalls ist der schon begonnene Bau eines Tunnels wichtig, der Argentinien durch die Anden-Kordillere mit Chile verbindet, da viele Produkte nach dem fernen Orient exportiert werden und dieser Weg der kürzeste ist.
China u.a. Staaten der Region haben in den letzten Jahrzehnten als Kunden Argentiniens stark an Bedeutung gewonnen. Das hat bestimmte Probleme entschärft, an erster Stelle die Lieferungen von Getreide, Ölsaat und Rindfleisch. Die restriktive Haltung der Europäischen Union ist jetzt bei diesen Produkten nicht mehr so wichtig. Doch bei China u.a. Staaten fehlt noch der Übergang vom Rohstoff auf das verarbeitete Produkt, und ebenfalls bestehen unzählige Möglichkeiten für allerlei Produkte, vom Wein bis zur Pekannuss. Ein Markt von 1,4 Mrd. Menschen, mit einem zunehmendem konsumfreudigen Mittelstand, der ständig wächst, sollte nicht vernachlässigt werden. Der Zugang zu diesem Markt ist nicht einfach. Die argentinischen Unternehmer, die bei Getreide und Ölsaat gewohnt sind, zu liefern, aber nicht im strengen Sinn des Wortes zu verkaufen, müssen sich hier umstellen, und im Fall von China viel Geduld haben. Auch muss der Umstand, dass China in Argentinien bei Infrastrukturprojekten, Lieferungen von Eisenbahnen u.a. Bereichen groß aufgetreten ist, verwendet werden, um eine Gegenleistung zu fordern und argentinische Lieferungen zu erleichtern.
Die Themen, die wir hier angeschnitten haben, sind vielfältig und komplex. Und wir könnten noch mehr über die Exportproblematik schreiben. Wenn die Regierung sich systematisch mit dem Thema befasst, kann bestimmt erreicht werden, dass der Gesamtexport nicht nur von u$s 65 Mio. auf u$s 100 Mio. steigt, wie es ein Verband der Landwirtschaft und ihrer Industrie unlängst in Aussicht gestellt hat, sondern auf viel mehr. Warum nicht u$s 120 Mrd. oder mehr?
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