Von Juan E. Alemann
Am Freitag der Vorwoche stimmte der Vorstand des Internationalen Währungsfonds dem Abkommen mit Argentinien zu, das kurz vorher von der Deputiertenkammer und danach auch vom Senat angenommen worden war, in beiden Fällen nur dank Stimmen der Opposition. Das neue Abkommen sieht einen Gesamtkredit von u$s 44 Mrd. vor, läuft auf 10 Jahre, und sieht während viereinhalb Jahren, also bis 2026, keine Rückzahlungen vor, die dann bis 2034 andauern. In diesen Tagen zahlt der Fonds u$s 9,858 Mio., die auf schon gezahlte Quoten und eine unmittelbar fällige Quote des alten Abkommens entfallen, wobei ein Überschuss verbleibt, der zur Stärkung der ZB-Reserven eingesetzt werden soll, so dass der Devisenmarkt nicht der Gefahr der Zahlungsunfähigkeit ausgesetzt ist.
Der Fonds hat dabei die These der argentinischen Regierung angenommen, dass zunächst erreicht werden müsse, dass die Wirtschaft wächst, und erst gezahlt wird, wenn dies eingetreten ist und die Zahlungen das Wachstum nicht behindern. Die Voraussetzungen für Wachstum sind jetzt gegeben. Die Wirtschaft hat sich voll von der Pandemiewirkung erholt, mit einer Zunahme des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2021 von 10,3%, was zeigt, dass die produktive Struktur erhalten blieb. Man muss es der Regierung auch anrechnen, dass sie durch Subventionen für Lohnzahlungen, weiche Kredite und Duldung von Schulden wegen nicht geleisteter Steuerzahlungen, im Jahr 2020 einen Zusammenbruch verhindert hat, der die Erholung dann erschwert hätte. Der Rückgang des Vorjahres, von 9,9%, wurde fast voll aufgeholt, aber der von 2019 (-2%) und 2018 (-2,6%) nicht.
Die Arbeitslosigkeit sank per Ende 2021 auf 7%, gegen 11% ein Jahr zuvor. Doch über zwei Drittel der 2021 geschaffenen Arbeitsplätze entfallen auf Schwarzarbeit. Die Regierung hat ein Auge zugedrückt, und dies geduldet. Lieber ein Schwarzarbeiter als ein Arbeitsloser. Doch dies ist ein Signal, dass die Arbeitsgesetzgebung flexibler gestaltet werden muss. Die Arbeitslosigkeit ist in Wirklichkeit höher, weil das INDEC diejenigen, die sich nicht um einen Arbeitsplatz bemühen, nicht als Arbeitslose betrachtet, auch wenn sie keine Arbeit haben und meistens erwarten, dass sie über einen Familienangehörigen oder einen Freund einen erhalten.
In diesem Jahr hat sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt, so dass private Ökonomen und auch der IWF, zunächst für das ganze Jahr mit einer BIP-Zunahme von 3% bis 3,5% rechnen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Regierung nicht viel tut, um neue Wachstumsimpulse zu schaffen, und auch, dass die Inflation um die 50% jährlich verbleibt. Im Fondsabkommen ist bis zu 40% vorgesehenen. Bei Hochinflation, also um die 100% jährlich, sieht der Fall anders aus, und bei Hyperinflation gilt keine bisherige Prognose mehr.
Die Auflagen des Abkommens
Das Abkommen ist an Auflagen gebunden, die für Argentinien schwer zu erfüllen sind. Der Vorstand des IWF warnt deshalb, dass das Risiko der nicht-Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen außerordentlich hoch ist. Es wird deshalb eine kontinuierliche Verhandlung geben, und nicht nur eine Revision alle drei Monate, wie es im Abkommen vorgesehen ist.
Das primäre Defizit wurde für 2022 auf $ 1.759 Mrd. angesetzt, was angeblich 2,5% des Bruttoinlandsproduktes darstellt. Doch dies hängt von der Inflation ab. Wenn die Inflation höher als vorgesehen ist, dann stellt obiger Pesobetrag im Verhältnis zum BIP einen geringeren Prozentsatz dar. Deshalb setzt der Fonds den Akzent auf die absolute Zahl und nicht der Prozentsatz zum BIP. Dieses Defizit wird dieses Jahr kaum eingehalten werden können. In den folgenden Jahren soll das primäre Defizit dann geringer sein, bis es ganz verschwindet. Das erfordert jedoch strukturelle Maßnahmen, die im Abkommen nicht vorgesehen sind und die Regierung scheut.
Guzmán geht davon aus, dass bei wirtschaftlichem Wachstum die laufenden Staatseinnahmen automatisch real zunehmen, und wenn dabei die Staatsausgaben real unverändert bleiben, dann sinkt der Fehlbetrag. Doch die wirtschaftliche Wirklichkeit ist komplexer. Die Staatsausgaben, besonders der Betrag für Zahlung von Pensionen und Renten steigt real ständig, ebenso die Ausgaben für Erziehung u.a. Zwecke. Man kann das Defizit nicht ohne strukturelle Reformen verringern, die konkrete Entscheidungen erfordern, die diese Regierung scheut.
Ein besonders kritischer Punkt beim Abkommen besteht in den Tarifen öffentlicher Dienste, an erster Stelle dem Stromtarif und der Gastarif. Der angesehene Wirtschaftsexperte Gabriel Rubinstein schätzt, dass mit dem IWF eine Zunahme von durchschnittlich 65% vorgesehen ist. Dabei wurde der Betrag, der für Subventionen vorgesehen ist, nicht abnehmen, wie es mit dem Fonds vereinbart wurde, sondern um 0,4% des BIP zunehmen. Diese Tarife müsste somit über 70% zunehmen.
Abgesehen davon ist der stark gestiegene internationale Preis für verflüssigtes Gas auch nicht vorgesehen. Die Gasrechnung wird voraussichtlich um u$s 4 Mrd. höher sein als veranschlagt. Viele andere Ausgabenposten werden schließlich höhere Beträge ausweisen, als vorgesehen wurde. Hier sei daran erinnert, dass es vorläufig kein Haushaltsgesetz für 2022 gibt, so dass zunächst das von 2021 (ohne Wertberichtigung) gilt, das dann per Notstandsgesetz beliebig geändert wird. Dabei neigt die Regierung dazu, den jeweils notwendigen Bedarf zu decken, ohne Sparmaßnahmen zu fordern. Und das schafft im Endeffekt einen Konflikt mit dem Fonds.
Die Begrenzung der Geldschöpfung
Abgesehen von den Budgetzielen sieht das Abkommen auch eine Begrenzung der Geldschöpfung vor, die kaum eingehalten werden kann. Das Defizit der Staatsfinanzen wird entweder mit Neuverschuldung oder mit Geldemission gedeckt. Die dritte Möglichkeit besteht in einer höheren Inflation, als sie mit dem Fonds vereinbart wurde, so dass das Defizit dann real, und auch als Prozentsatz des BIP, abnimmt, weil viele Ausgabenposten hinter der Inflation zurückbleiben, die Einnahmen aber real kaum beeinflusst werden. Die Inflation ist an sich schon schlimm genug, als das sie der Staat aus eigenem Interesse noch in die Höhe treibt.
Die Möglichkeiten der Unterbringung von Staatstiteln auf dem Finanzmarkt sind sehr beschränkt. Der internationale Finanzmarkt ist für längere Zeit für Argentinien geschlossen. Was Staatsverschuldung betrifft, muss der Akzent jetzt auf Kredite für Finanzierung von staatlichen Investitionen gesetzt werden. Es muss angestrebt werden, dass diese Kredite mindestens einen Prozentpunkt des Defizites decken. Der Rest entfällt dann auf Geldschöpfung. Doch hier kommt noch die Geldschöpfung hinzu, die die ZB benötigt, um die Zinsen auf die Leliq-Titel und die der passiven Swaps zu zahlen. Der Gesamtbetrag der ZB-Verschuldung liegt weit über der monetären Basis (Banknoten im Umlauf plus Bankdepositen bei der ZB) und lässt sich kaum noch erhöhen, weil die Banken nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen. Es wurde ihnen schon erlaubt, einen Teil der Pflichtreserven für diesen Zweck einzusetzen. Doch wenn weiter zu den Pflichtreserven gegriffen wird, dann wirkt das noch mehr monetär expansiv.
Man kann somit davon ausgehen, dass die mit dem Fonds vereinbarte Geldschöpfung nicht eingehalten wird. Doch dem muss der Fonds zustimmen, was er schließlich wohl tun muss, da sonst der Staat in Zahlungsunfähigkeit gerät, was ein totales Chaos verursachen würde. Aber der Fonds dürfte bei jeder Genehmigung für die nicht-Erfüllung der vereinbarten Ziele, strengere und wohl auch konkretere Forderungen bezüglich Eindämmung von Staatsausgaben stellen. Das Abkommen gerät kurzfristig unvermeidlich in die Phase der Diskussion um strukturelle Themen, also überschüssige Staatsangestellte, überhöhte Subventionen für öffentliche Dienste, unnötige soziale Subventionen, und Ausgaben, die mit einer absurd aufgeblähten Staatsstruktur zusammenhängen, mit neugeschaffenen Ämtern, die nur dazu dienen, Cámpora-Mitgliedern und anderen Parteifreunden eine gut bezahlte Stelle zu geben. Eventuell taucht dabei auch der Fall des Kohlenbergwerkes Río Turbio auf, das geschlossen werden muss, weil es überhaupt keinen Sinn hat, und dem Staat mit hohen Beträgen zur Last fällt.
Kommen jetzt Investitionsprojekte in Gang?
Das Abkommen mit dem Fonds schafft jetzt eine finanzielle Grundlage, um zahlreiche Investitionsprojekte in Gang zu setzen, die mit Finanzierung zählen. Mit der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank wird schon über ein Kreditpaket gesprochen, das laut Staatssekretär Gustavo Beliz u$s 18 Mrd. ausmacht. Die Regierung müsste sich jetzt bemühen, die einzelnen Projekte zu beschleunigen, was gute Projektstudien und intensive Verhandlungen voraussetzt. Der Präsident und der Kabinettschef müssen sich darum kümmern, dass die übliche argentinische Schlamperei nicht alles hinausschiebt. Es dauert ohnehin eine Weile, bis die Weltbank und die BID einen Kredit genehmigen, und die Auszahlungen kommen dann noch später.
Es bestehen auch zahlreiche Projekte, die mit Finanzierung der chinesischen Förderungsbank zählen, und andere, bei denen Handelsbanken den Kredit bereitstellen. Doch diese Kredite sind nur möglich, wenn die staatlichen Anstalten für Versicherung politischer Risiken den Kredit versichern. In diesem Sinn ist es von besonderer Bedeutung, dass die Schuld gegenüber dem Pariser Klub, die aus nicht zurückbezahlten Krediten dieser Art stammt, pünktlich bezahlt wird. Minister Guzmán hat jetzt eine neue Umschuldung und Änderungen der Bedingungen beantragt. Doch mit oder ohne dies müssen diese Schulden bezahlt werden.
Wenn es gelingt, viele dieser Projekte in Gang zu setzen, die mit Finanzierung zählen, dann hat dies eine dreifache Wirkung. Einmal erhält die Wirtschaft allgemein einen Wachstumsimpuls, dann erhält die Kapitalbilanz der Zahlungsbilanz einen Zuschuss, der zur Anhäufung von Reserven dient oder Zahlungen ins Ausland ausgleicht, die sich auf Amortisation schon gewährter Kredite und auch Zahlung von Dividenden u.a. bezieht. Schließlich decken viele dieser Kredite einen Teil des Defizites der Staatsfinanzen, der sich auf Staatsinvestitionen bezieht. Hier sei daran erinnert, dass in der staatlichen Buchhaltung Investitionen wie laufende Ausgaben verbucht werden, während in der privaten Buchhaltung nur die Amortisation als Ausgabe einer Periode betrachtet wird.
Die Politisierung wirkt weiter störend
Die Forderungen des Fonds werden sofort von den Betroffenen als “Anpassung” (ajuste) bezeichnet und als schädlich für die Bevölkerung hingestellt, obwohl sie im Grunde genau das Gegenteil bewirken, nämlich dem Wachstum eine solide Grundlage zu geben. Geld, dass der Staat vergeudet, fehlt dann der Privatwirtschaft für produktive Zwecke. Darum geht es im Grunde.
Wirtschaftsminister Guzmán ist sich bewusst, dass er die Politisierung der Diskussion mit dem Fonds vermeiden will. Das haben viele Politiker, die zu Cristina stehen, schon gemerkt, und beschuldigen ihn, eine geheime Verhandlung zu führen und sie nicht zu informieren. In diesem Sinn fordern viele von ihnen schon den Rücktritt von Guzmán, und sie haben dabei auch Cristina überzeugt, die ohnehin schon eine gestörte Beziehung zum Minister hat. Doch Präsident Alberto Fernández ist sich bewusst, dass er den Minister nicht opfern kann, einmal, weil er die Verhandlung mit dem IWF führt, die noch lange nicht beendet ist, und das Problem jetzt gut kennt. Ein neuer Minister müsste von vorne anfangen und würde dabei einen Konflikt mit dem Fonds schaffen. Zum Glück hat weder der Präsident, noch Cristina, einen Kandidaten, der die Bedingungen erfüllt, um Wirtschaftsminister zu sein und die Verhandlung korrekt weiterzuführen. Doch allein die Beanstandung von Guzmán durch Cristina und ihre Truppe wirkt störend. Statt Hindernisse aus dem Weg zu räumen, schafft der Kirchnerismus ständig neue. Deshalb ist es so bitter notwendig, dass der Präsident seine Stellung behauptet und sich in keiner Weise bemüht, Cristina und ihren Leuten entgegenzukommen.
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