Von Juan E. Alemann
Wirtschaftsminister Martín Guzmán hat offensichtlich immer noch nicht verstanden, um was es bei der Staatsschuld geht. Das hat er klar bei seiner Erläuterung des Themas im Kongress gezeigt. Das ist schlimm, weil dabei der Eindruck entsteht, dass das Land vor einem unlösbaren Problem steht, das in einem totalen Zusammenbruch endet. Und dass wir in dieser schweren Stunde einen Minister haben, der seiner Aufgabe nicht gewachsen ist.
Bei einer realistischen Betrachtung, wie wir sie an dieser Stelle darstellen, sieht der Fall anders aus. Es muss nur vernünftig gehandelt werden, ohne Betrugsmanöver, wie sie unter den drei Kirchner-Regierungen (2003 bis 2015) üblich waren. Man darf dabei nicht vergessen, dass die Fälschung des Indices der Konsumentenpreise den Inhabern von Staatstiteln in Pesos, die mit dem CER-Index berichtigt wurden, der sich an den der Konsumentenpreise hält, umgerechnet um die u$s 40 Mrd. gekostet hat.
Grundsätzlich handelt es sich darum, dass die argentinische Staat eine Schuld von u$s 343 Mrd. ausweist, von der jedoch nur 38% auf private Gläubiger entfällt. 22% entfallen auf Kredite der Weltbank, der BID, der Andenköperschaften und der chinesischen Förderungsbank, die langfristig amortisiert werden, und auch auf den IWF, der keinen Default fordern wird. Und dann verbleiben 30%, die auf innerstaatliche Schulden entfallen, bei der die ZB, die ANSeS, die Banco Nación u.a. staatliche Ämter als Gläubiger auftreten. Diese Schulden werden automatisch erneuert. Im Grunde handelt es sich nur um eine eigenartige Form der staatlichen Buchführung, wobei diese Staatsschuld bei einheitlicher Staatskasse verschwinden würde.
Ebenfalls sollte das Bruttoinlandsprodukt neu berechnet werden. Die Wirtschaftsstruktur von 1994, auf der es aufgebaut wird, ist völlig veraltet, wobei jetzt noch die tiefgreifenden Änderungen hinzukommen, die die technologische Revolution herbeigeführt hat. Das BIP ist in Wirklichkeit höher als es offiziell angegeben wird, womit dann die Staatsschuld nicht mehr um die 100% des BIP ausmachen würde, sondern weniger. Das ändert nichts an der Schuld als solcher, kommt aber bei den Gläubigern besser an. Es ist wichtig, dass das Thema an Dramatik verliert. Das erleichtert auch die Diskussion.
Schließlich sollten die Staatsausgaben in laufende Ausgaben und Kapitalausgaben aufgeteilt werden. Es ist etwas ganz anderes, wenn ein Defizit des Staatshaushaltes Investitionen finanziert, als wenn es laufende Ausgaben ausgleicht. In Deutschland besteht die gesetzliche Norm, dass das Haushaltsdefizit den Betrag der Staatsinvestitionen nicht übersteigen darf. Eine Norm dieser Art würde auch in Argentinien nützlich sein, und würde auf alle Fälle dem Defizit eine andere Bedeutung geben. Ohnehin werden bestimmte Staatsinvestitionen schon durch Kredite internationaler Finanzanstalten finanziert, so dass sie finanziell gedeckt sind.
Zur Schuld des Bundesstaates kommen noch etwa u$s 30 Mrd. der Provinzen, und umgerechnet ca. u$s 40 Mrd. der Zentralbank hinzu. Und dann fehlen noch Schulden, die sich aus Urteilen des ICSID- Weltbankschiedsgerichts ergeben, und kurzfristige Staatsschulden, die unter den Teppich gefegt werden. Die ZB-Schulden werden gemäß der internationalen Methodologie nicht zur Staatsschuld hinzugefügt, obwohl sie es sind. Und die Schulden der Gliedstaaten werden allgemein auch nicht addiert.
Im internationalen Vergleich steht Argentinien somit nicht schlecht da. Die großen Staaten haben allgemein Schulden in der Nähe ihres BIP oder sogar weit darüber, und die Schulden sind nur zum geringsten Teil innerstaatlich oder langfristig. Aber sie halten sich eben streng an die Regeln, die in der internationalen Finanzwelt gelten, die grundsätzlich auf dem Prinzip des römischen Rechts beruhen, “pacta servanda sunt”. Hätte Argentinien nicht eine Geschichte mit unzähligen offenen und verkappten Defaults, wobei der letzte, von Ende 2001, einen großen Schaden für die Gläubiger bedeutet hat, dann bestünde kein Problem. Dann könnte man die Schulden bei Verfall mit neuen Schulden ersetzen, wie es allgemein auf der Welt üblich ist.
Ohne Neuverschuldung ist die Abzahlung der Schuld äußerst schwierig, weil dies einen Überschuss bei den Staatsfinanzen erfordert (beim echten Defizit, nicht nur beim primären), das nur möglich ist, wenn es faktisch keine Staatsinvestitionen in Infrastruktur gibt, und die Gehälter der Staatsangestellten sowie Pensionen und Renten real stark sinken, Man muss davon ausgehen, dass neue Kredit aufgenommen werden, damit die Rechnung aufgeht, sowohl bei Haushalt wie bei der Zahlungsbilanz. Man kann zunächst davon ausgehen, dass die internationalen Finanzanstalten Argentinien weiter Kredite erteilen, wobei der Betrag höher als die Amortisationen liegen sollte. Allerdings muss man sich darum bemühen, was bedeutet, dass man gute Investitionsprojekte ausarbeiten muss (was die Mitwirkung privater Konsulenten ratsam macht), die der Weltbank u.a. vorgelegt werden und mit den Fachleuten dieser Anstalten diskutiert werden. Oft werden Kreditanträge bei der Weltbank, der BID u.a. hinausgeschoben, weil sie nicht richtig vorgelegt worden sind, also ohne eine gründliche Studie.
Hinzu sollten dann noch Bankkredite für Kapitalgüterlieferungen kommen, die mit einer staatlichen Versicherung gegen politische Risiken zählen. Da die Staaten, die Maschinen und Anlagen erzeugen, an erster Stelle Deutschland, ein Interesse haben, sie zu exportieren, dürften sie Argentinien bei den konkreten Anträgen unterstützen. Doch damit dies reibungslos funktioniert, muss der aus nicht gezahlten Krediten dieser Art angehäufte Betrag, den der Pariser Klub vertritt, wie vereinbart bezahlt werden. Das erfordert zivilisierte Beziehungen zum Pariser Klub. Mit neuen Krediten für Kapitalgüterlieferungen sollte die Rechnung mit der Abzahlung der Altschuld aufgehen.
Statt all dies zu erklären, hat Guzmán vor dem Kongress nur dummes Zeug verzapft. Er wies darauf hin, dass Macri die Staatsschuld um u$s 100 Mrd. erhöht habe, was nicht stimmt und außerdem keine Bedeutung hat, weil es nichts am gegenwärtigen Problem der Staatsschuld ändert. Er fügte hinzu, Macri habe Dollarschulden aufgenommen, während er mehr Pesotitel untergebracht hat. Was er nicht sagte, ist, dass diese Pesoschuld zum größten Teil mit dem CER-Index wertberichtigt oder an den offiziellen Dollarkurs (“dollar linked”) gebunden ist. Und auch, dass die reinen Pesoschulden zu hohen Zinsen untergebracht werden, die eine ebenfalls hohe Inflation voraussetzen. Außerdem werden sie den Banken aufgezwungen, die somit kein Geld haben, um die Wirtschaft mit den normalen Krediten für Arbeitskapital zu versorgen. Ob Dollar oder mit dem CER indexierte Kredite macht keinen Unterschied aus. Ein Inflationsland wie Argentinien kann keine Kredite auf dem internationalen Finanzmarkt in der eigenen Währung aufnehmen, weil niemand bei einem Kredit Geld verlieren will.
Zwischen dem 31.12.15 und dem 31.12.19 stieg die Staatsschuld um U$S 82,4 Mrd., von u$s 240,66 Mrd. auf u$s 323,06 Mrd. Doch dies schließt Altschulden ein, wie die an die Holdouts, die Cristina nicht gezahlt hatte, was jedoch unhaltbar war und die Beziehungen zur internationalen Finanzwelt vergiftete. Die US-Justiz hatte diese Schulden auf u$s 18 Mrd. beziffert. Auch wurden Schulden gezahlt, zu denen das ICSID Argentinien verurteilt hatte, die unter der Regierung von Néstor Kirchner bei Enteignungen ohne Entschädigung und Bruch von Konzessionsverträgen entstanden sind. Schließlich musste Macri neue Schulden aufnehmen, um die alten zu zahlen, die ihm von der Regierung von Cristina übertragen wurden. Und dabei sah er sich gezwungen, ungünstige Bedingungen anzunehmen. Denn das Schlimmste, das die Kirchner-Regierung 2015 hinterlassen haben, war nicht die Schuld als solche, sondern die ständige Verletzung des guten Glaubens und der internationalen Spielregeln. Das belastet Argentinien jetzt und auf Jahre hinaus. Ohne dies könnte Argentinien kontinuierlich Staatstitel auf dem Finanzmarkt unterbringen, um die Amortisation der bestehenden zu zahlen, wie es auf der Welt allgemein üblich ist. Von einem gut ausgebildeten Ökonomen wie Guzmán hätte man erwartet, dass er nicht so viel dummes Zeug verzapft.
Vom 31.12.19 bis zum 31.7.21 stieg die Staatsschuld um u$s 20,83 Mrd. Guzmán wies darauf hin, dass die Staatsschuld unter Macri zu 77,8% aus Dollarschulden und zu 22,8% aus Pesochulden bestand, während es jetzt 74% und 26% seien. Das hat jedoch überhaupt keine Bedeutung. Er vermied es bei seiner Ausführung vor dem Kongress, auf die hohe Geldschöpfung hinzuweisen, die unter dieser Regierung stattgefunden hat. Das Staatsdefizit wird entweder mit Verschuldung oder mit Geldschöpfung gedeckt. Hätte die Regierung die Geldschöpfung beschränkt, hätte sie mehr Schulden aufnehmen müssen. Ob die Geldschöpfung die bessere Lösung war, ist auf alle Fälle fraglich.
Es ist ein großer politischer Fehler, nicht nur von Guzmán, sondern besonders von Cristina und Alberto Fernández, das Thema der Staatsschuld zu politisieren, und als eine Schuldfrage der Regierungen darzustellen. Denn die Staatsschuld ist ein Thema, dass auch die nächste Regierung und die danach kommenden betrifft, und muss als Staatsthema aufgefasst werden, um den Gläubigern verstehen zu geben, dass Argentinien, mit dieser oder einer anderen Regierung, die Schulden des Staates honorieren wird.
Yorumlar