Von Juan E. Alemann
Das statistische Amt hat die Arbeitslosigkeit für Ende 2020 mit 11% der aktiven Bevölkerung angegeben, weniger als die 13,1%, die es im 2.Quartal und der 11,7% vom 3. Quartal waren, aber viel mehr als im 4. Quartal 2019, das nur 8,9% auswies. Ohne das Entlassungsverbot, und die doppelte Entlassungsentschädigung bei begründeten Entlassungen, wäre die Arbeitslosigkeit wohl noch höher gewesen. Indessen haben diese Maßnahmen auch gegen Neueinstellungen gewirkt. Insgesamt waren somit 2,23 Mio. Menschen arbeitslos, 360.00 mehr als ein Jahr zuvor.
Die Arbeitslosigkeit ist in den einzelnen Gegenden des Landes sehr unterschiedlich: in der Umgebung der Bundeshauptstadt steigt sie auf 14,1%, in der der Stadt Córdoba auf 22,6%. Außerdem ist sie jungen Menschen besonders hoch. Bei Männern unter 29 Jahren liegt sie bei 19%, und bei Frauen dieser Altersgruppe bei 26%. Kein Wunder, dass so viele junge Menschen auswandern.
Diese Statistik beruht auf einer Erhebung bei ca. 10.000 Haushalten in den 31 städtischen Ballungszentren des Landes, die dann auf das ganze Land hochgerechnet wird. Indessen ist es statistisch fragwürdig, das Ergebnis von 10.000 Haushalten auf etwa 10 Mio., die im ganzen Land bestehen, hochzurechnen. Hinzu kommt hier noch, dass die Verhältnisse in den ländlichen Gegenden des Landes anders sind, in vielen Fällen mit großem saisonalen Einfluss, bedingt durch Ernten, Ferienzeiten u.a. Umstände. Die Arbeitslosigkeit ist in ländlichen Gegenden grundsätzlich anders als in der Stadt, weil die Arbeitslosen allgemein über Ernährung verfügen. Die INDEC-Statistik ist somit eine grobe Schätzung.
Doch es kommt noch mehr hinzu. Die Zahl der Beschäftigten lag Ende 2020 bei 40,1% der Bevölkerung, gegen 37,4% im 3. Quartal, 33,4% im 2. Quartal, 42,2% im ersten. und 43% im 4. Quartal 2019. In einem Jahr sind es somit 2,9 Prozentpunkte weniger. In absoluten Zahlen gab es Ende 2020 1,1 Mio. Beschäftigte weniger als im Vorjahr. Doch die Arbeitslosigkeit nahm in dieser Periode um 2,1 Prozentpunkt zu, was bedeutet, das 0,8 Prozentpunkte übrig bleiben, die im Wesen auch Arbeitslose sind und zu den 11% addiert werden müssen. Das INDEC betrachtet nur diejenigen als arbeitslos, die sich um einen Arbeitsplatz bemühen, was bedeutet, dass sie sich bei Suchanzeigen melden und Schlange stehen. Das tun jedoch sehr viele nicht. Die meisten Arbeitslosen versuchen, einen Arbeitsplatz über Verwandte, Nachbarn und Freunde zu erhalten.
Man muss hier auch berücksichtigen, dass der Koeffizient der aktiven Bevölkerung (diejenigen,die arbeiten plus die, die eine Arbeit suchen) in Argentinien anormal niedrig ist. In vergleichbaren Ländern sind es über 50% der Gesamtbevölkerung, und in den USA u.a. Ländern über 60%. Das bedeutet, dass viele Menschen nicht arbeiten, weil es ihnen nicht konveniert, sei es weil sie den Lohn als zu niedrig betrachten, oder ihnen die Beschäftigung, die ihnen geboten wird, nicht passt. Es handelt sich hier um potentiell Arbeitslose, die zum Teil bei wirtschaftlichem Aufschwung und qualitativ besseren Arbeitsmöglichkeiten in den Arbeitsprozess eintreten würden.
Außerdem muss man die Unterbeschäftigten berücksichtigen, von denen viele so wenig zu tun haben, dass man sie in Wirklichkeit zu den Arbeitslosen hinzurechnen muss. Als unterbeschäftigt werden diejenigen eingestuft, die unter 35 Wochenstunden arbeiten, aber mehr arbeiten wollen. Der Koeffizient der Unterbeschäftigten lag Ende 2020 bei 17%, gegen 15,2% im 3. Quartal und 14,3% Ende 2019. Man kann gut 2 Prozentpunkte zum Koeffizient der Vollarbeitslosigkeit hinzufügen. Wir gelangen somit mit diesen und auch den Arbeitslosen, die das INDEC nicht berücksichtigt, auf gut 15% der aktiven Bevölkerung.
Von denjenigen, die erst im 4. Quartal beschäftigt wurden, entfallen fast alle auf Schwarzarbeit. Entweder sie arbeiten im Abhängigkeitsverhältnis ohne Soziallasten, also auch ohne Recht auf Pensionierung, oder sie arbeiten auf eigene Rechnung, ohne Steuern und Sozialabgaben zu zahlen. Das besagt etwas, nämlich, dass die Arbeitsgesetzgebung die Beschäftigung hemmt. Die Zahl der Schwarzarbeiter liegt bei etwa einem Drittel der Beschäftigten, was sich mit der Schätzung eines analogen Anteils der Schwarzwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt zusammenreimt. Hinzu kommen noch diejenigen, die zum Teil weiß und zum Teil schwarz arbeiten, die sehr viele sind.
Diese für ein Land wie Argentinien anormal hohe Schwarzwirtschaft wird von der Regierung unter den Teppich gefegt. Einmal wird die Schwarzarbeit nur ausnahmsweise aufgedeckt und bestraft, auch wenn sie sichtbar ist, weil dies die Arbeitslosigkeit noch mehr erhöhen würde. Dann wird nichts getan, um den Übergang von schwarz auf weiß zu erleichtern, so dass dieser für die meisten Unternehmen dieser Kategorie unmöglich ist. Und schließlich wird die hohe Schwarzwirtschaft bei der Wirtschaftspolitik kaum berücksichtigt. U.a. zwingt dies, periodische Weißwaschungen durchzuführen, damit schwarze Sparguthaben formell investiert werden können und bestimmte schwarze Geschäfte in die Legalität eintreten können. Es gibt zwar Weißwaschungen, wie die jüngste für die Bauwirtschaft, aber eben zu wenige. Die Legalisierungen, die aus Weißwaschung schwarzer Vermögen hervorgehen, schaffen auch Arbeitsplätze, die bitter notwendig sind.
Das INDEC hat dieses Mal auch die Heimarbeit bemessen. Ende 2019 arbeiteten 5,8% der Beschäftigten von ihrer Wohnung oder einem anderen Ort als ihr Büro aus. Im 2. Quartal 2020 stieg der Koeffizient auf 22,2%. Im dritten ging er auf 21,8% zurück und im vierten auf 20,2%. Interessant ist auch die Tatsache, dass im 4. Quartal 2019 nur 2,8% der Beschäftigten mit eigenen Anlagen (Computer u.dgl.) arbeiteten, während es Ende 2020 13,6% waren. Bei diesen Arbeitnehmern ist der Sprung zur Selbständigkeit gering, auch zur zusätzlichen Arbeit außerhalb der Firma, bei der sie angestellt sind.
Vorläufig dauert diese Heimarbeit an, weil die Pandemie nicht aufgehört hat und die Impfung sehr langsam voranschreitet. Wie weit sie in Zukunft so hoch verbleibt, sei dahingestellt. Viele Unternehmen haben sich schon auf hohe Fernarbeit eingestellt und gemietete Büroräume abgeschafft, so dass die Heimarbeiter, wenn sie ins Büro kommen, dies vorher melden müssen und dann ein Büro für einen oder mehr Tage zugeteilt bekommen. Die Unternehmen sparen somit Geld, und die Arbeiter und Angestellten sparen Zeit und Transportkosten, und können sich auch um den Haushalt kümmern, was bei Frauen besonders wichtig ist. Man kann somit erwarten, dass die Fernarbeit verbleibt.
Das INDEC misst die Dauer der Arbeitslosigkeit nicht, obwohl dies von großer Bedeutung ist. Ein Mensch, der drei Monate arbeitslos ist, stellt kein soziales Problem dar, weil man davon ausgehen kann, dass er über Reserven verfügt oder von Verwandten und Freunden unterstützt wird. Aber bei einem Menschen, der zwei Jahre arbeitslos ist, ist die Lage ganz anders. Wenn die Arbeitslosigkeit längere Zeit hoch bleibt, wie es gegenwärtig der Fall ist, kann man davon ausgehen, dass der Anteil der Langzeitarbeitslosen zunimmt. Und das macht die Arbeitslosigkeit qualitativ noch schlimmer.
Die tiefe Krise, die das Land erlebt, hat die Unternehmen zur Rationalisierung gezwungen. Hinzu kommt kommt der ständige Vorstoß der Computer- und Internettechnologie, die viel Arbeit sparen. Das bedeutet, dass Arbeitsplätze zerstört wurden, und es in naher Zukunft noch mehr sein werden. Das schafft eine explosive soziale Lage, über die die Regierung sich nicht bewusst zu sein scheint. Oder sie fegt das Problem unter den Teppich. Von Vollbeschäftigung als oberstes Ziel der Wirtschaftspolitik ist weder in der Regierung, noch in der Opposition, noch bei den vielen privaten Wirtschaftlern, die ihre Meinung im Fernsehen äußern, die Rede. Auch bei den paritätischen Verhandlungen über Löhne und Arbeitsbedingungen kommt das Thema nicht auf.
Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist unter den bestehenden Umständen gewiss nicht einfach, aber sie ist unerlässlich. Als erstes muss die Periode, während der ein neu eingestellter Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Entlassungsentschädigung hat, von jetzt drei Monasten auf zwei Jahre erweitert werden. Es geht hier darum, potentiell instabile Arbeitsplätze zu besetzen, die heute wegen der Entlassungsentschädigung nicht besetzt werden. Als zweites sollten die Soziallasten bei zusätzlichen Arbeitnehmern für etwa 2 Jahre stark verringert werden. Mit diesen Maßnahmen könnten schon mehrere tausend Arbeitslose wieder beschäftigt werden. Darüber hinaus hängt die Beschäftigung eng mit dem wirtschaftlichen Wachstum zusammen, also besonders mit Investitionen, die heute sehr niedrig sind. Wobei auch viele technologische Investitionen arbeitssparend wirken. Die Beschäftigungsproblematik bedarf noch viel Denkarbeit, die man vermisst, wobei man jedoch sofort mit den oben aufgeführten Maßnahmen beginnen sollte.
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