Von Marion Kaufmann
Nur ein- bis zweimal habe ich auf der Liste der Veranstaltungen, noch auf der Messe selbst, bei Vorträgen oder Rundtischgesprächen, die bei der Buchmesse 22 geplant waren, das Wort „Übersetzungen“ gesehen.
Es scheint, dass keiner der Organisatoren der enormen Messe sich überlegt hat, dass auf den Tischen Berge von deutschen, englischen, französischen oder vielleicht auch indischen oder polnischen Büchern lagen, die jeder Argentinier genießen kann, weil sie jemand ins Spanische übersetzt hat.
Es kann natürlich passieren, dass in einer Zeitung ein Kritiker in einem Buch von etwa 400 Seiten, drei oder vier Übersetzungsfehler entdeckt. Der Zeitungsleser wird dann das ganze Buch negativ beurteilen. Das ist sehr ungerecht und nicht nur das, es zeigt, dass der Kritiker nie einen Text übersetzt hat. Er weiß nicht, dass der Übersetzer manchmal stundenlang ein bestimmtes Wort sucht, das nicht nur im Klang, im Sinn und in der Farbe dem Original entspricht, sondern auch in der Länge. (Einmal hat mir der Chef eines großen Verlages einen fünf Seiten langen Text zum Übersetzen gegeben. Er wollte meine Arbeit schon am folgenden Tag haben, denn „ach was, das machen Sie doch an einem Nachmittag!“)
„Was bedeutet eine gute oder eine schlechte Übersetzung?“ wurde einst der mexikanische Schriftsteller Juan Villoro gefragt. „Es klingt paradox“, hat er gesagt, „aber der gröbste Fehler ist die exzessive Treue zum Original. Auch die Zeichensetzung muss beachtet werden, denn verschiedene Sprachen atmen anders und man übersetzt ja nicht nur Worte, sondern auch Gewohnheiten. In Romeo und Julia, zum Beispiel, ist die Rede von den neun Leben der Katzen. In Mexiko ist man jedoch gewöhnt, von den sieben Leben der Katzen zu sprechen. Das ist dann eine korrekte Arbeit. Übersetzen bedeutet zu verstehen, neu zu interpretieren.“
Wenn in einem Roman der Held durch eine witzige Sprache gekennzeichnet wird, muss der Übersetzer als kluger Wortspieler agieren und ähnliche Witze in seiner Sprache suchen oder erfinden. Besonders muss man bei Dialekten, beim Argot und bei den typischen Redensarten eines Landes aufpassen: denn wenn es bei den Briten „cats and dogs“ regnet: bei uns „regnet es in Strömen“.
Der bedeutende Schriftsteller José Ortega y Gasset nennt sein kleines, knappe 91 Seiten langes zweisprachiges Buch „Elend und Glanz der Übersetzung“. Er sagt darin, dass die Übersetzung kein Duplikat des Originaltextes sei, sie ist nicht dasselbe Werk mit verändertem Wortschatz, noch darf sie das sein wollen. Er betont: „Die Übersetzung gehört nicht einmal zu der gleichen literarischen Gattung wie das übersetzte Werk: sie ist nicht das Werk, sondern ein Weg zu dem Werk.“ Einmal fertig, ist sie tadellos.
Übersetzen verlangt einen gewissen Teil an Mut. Nun ist es aber so, dass manch ein Übersetzer eher schüchtern ist, deshalb er ja auch diese untergeordnete Tätigkeit gewählt hat.
„In der geistigen Ordnung gibt es kaum eine geringere Arbeit als das Übersetzen.“ Eine Feststellung, die sich sich Kritiker, Verleger und auch Leser anscheinend angeeignet haben. Deshalb wird diese Art des Schreibens nicht respektiert, nicht gewürdigt und schlecht bezahlt.
Comments