Von Juan E. Alemann
Argentinien ist weltweit, abgesehen von den kommunistischen Staaten, die auf den Kapitalismus übergegangen sind, das Land, das bei weitem am meisten Staatsunternehmen u.a. staatliche Objekte privatisiert hat, und dies besser als kommunistische Staaten u.a. vollzogen hat. Die Privatisierungen waren gesamthaft so umfangreich und so erfolgreich, dass man sie jetzt als einen Widerspruch zur kritischen Lage der Wirtschaft empfindet. Doch ohne die Privatisierungen wäre die Lage noch viel schlimmer. Außerdem: dank der privatisierten Staatsunternehmen ist eine Überwindung der Krise überhaupt möglich. Die Politiker u.a. aus dem linken Spektrum sehen dies jedoch anders: für sie sind die Privatisierungen Schuld am bestehenden Schlamassel. Das Schlimme dabei ist, dass sie sich nicht belehren lassen.
Nach dem 2. Weltkrieg gab es in Argentinien zunächst eine Welle der Verstaatlichungen bei Unternehmen, die öffentliche Dienste betrieben, wie das Telefonunternehmen, die Eisenbahnen und U-Bahnen u.a. Doch schon 1954 gab es dann eine erste Privatisierung, die sich auf die Kleinomnibusse (genannt “colectivos”) bezog. Dieses städtische Verkehrsmittel war privat entstanden und wurde in den 1930er Jahren verstaatlicht. In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts hatte die zuständige staatliche Körperschaft Kleinomnibusse Marke Isotta Fraschini in Italien gekauft, die eine komplizierte Mechanik hatten und bald reparaturbedürftig wurden. Doch die Mechaniker der staatlichen Körperschaft konnten sie nicht reparieren, so dass sie alle in einem Schuppen landeten.
Daraufhin meldete sich eine Gruppe von Chauffeuren bei Transportminister Maggi, und schlug ihm vor, ihnen die Omnibusse zu übergeben, mit Zuteilung von Strecken, die sie zu den geltenden Tarifen bedienen würden. Sie forderten keine Subvention. Maggi war erstaunt und überbrachte den Vorschlag dem damaligen Präsidenten, General Perón, der noch erstaunter war, aber sofort zustimmte. Einige Monate später waren diese Omnibusse im Dienst.
Kurz danach kamen die anderen Omnibuschauffeure zu Maggi und forderten, dass auch ihnen Omnibusse übergeben werden. Auch hier erklärte sich Perón einverstanden. Doch dann gab es einen Konflikt mit der Gewerkschaft, die dabei verschwinden würde, den Perón nicht lösen konnte. Nach der Absetzung von Perón, unter General Aramburu als Präsident, legten die Chauffeure der neuen Regierung erneut ihren Wunsch vor, und Aramburu stimmte zu. Die Gewerkschaften waren damals entmachtet worden.
In kurzer Zeit wurden die grauen und verkommenen Omnibusse durch neue Einheiten ersetzt und bunt angestrichen. Die lokale Mercedes Benz begann damals, Motore für Kleinomnibusse herzustellen, und andere Unternehmen produzierten Karosserien, womit diese Privatisierung sich auch auf die Industrie auswirkte. Der Omnibusdienst wurde spürbar besser, und der Staat wurde ein hohes Defizit los. 1961, unter der Regierung von Frondizi, wurden auch die großen Omnibusse privatisiert. Und danach entwickelte sich das System bis zu dem, das heute besteht, nur mit großen Omnibussen und dem Metrobussystem, bei dem die Omnibusse einen Teil der großen Straßen exklusiv verwenden und die anderen Fahrzeuge den anderen. Argentinien ist mit dem privaten Omnibusdienst weltweit ein Ausnahmefall. Der Omnibusdienst wird subventioniert (was bei den “colectivos” nicht der Fall war), was jedoch viel weniger kostet, als ein Defizit bei staatlicher Betreibung. Dabei werden die Tarife niedrig gehalten. Im Grunde verdanken wir den effizienten privaten Omnibusdienst dem Zufall der Isotta Fraschini-Busse, der die Privatisierung in Gang setzte.
Alan Walters, Privatisierungsberater von Margaret Thatcher in Großbritannien, erklärte in einem Vortrag, den er in Argentinien 1987 hielt, dass dieses Modell von der britischen Regierung bei der Privatisierung des staatlichen Lastwagenunternehmens angewendet worden sei. Er sagte auch, dass er sich wundere, dass ein Land, das so erfolgreich bei dieser Privatisierung gewesen sei, bei anderen Privatisierungen nicht weiter fortgeschritten sei. In der Tat ist bis zur Menem-Regierung wenig geschehen, wenn man von den Erdölverträgen von Frondizi absieht, die keine eigentliche Privatisierung eines bestehenden Unternehmens waren, sondern nur die Zulassung von Privatunternehmen bei der Erdölförderung.
Die Militärregierung (März 1976 bis Dezember 1983) hat kaum privatisiert, weil sie eben den Unternehmern keine legale Basis bieten konnte. In der Tat wurde damals eine Gasleitung von Neuquén bis zur Bundeshauptstadt privat gebaut und betrieben, von der niederländischen Boiskalis, die das Objekt in kurzer Zeit vollendete und effizient betrieb. Die Pumpstationen hatten ein Viertel der Belegschaft der staatlich betriebenen Gasleitungen. Doch unter der Regierung von Alfonsín wurde das Unternehmen verstaatlicht, Boiskalis geriet in Konkurs und reichte Klage beim Weltbankschiedsgericht ICSID ein.
Dennoch fand unter der Militärregierung eine wichtige Privatisierung statt: die der Müllabfuhr der Stadt Buenos Aires, die sich danach auf das ganze Land ausdehnte. Damals erhielt Franco Macri, Vater von Präsident Mauricio Macri, die Zuteilung, und er brachte die US-Firma Waste Mangement als Partner her, die weltweit größte auf diesem Gebiet. Die Kosten der Müllabfuhr sanken für die Stadtverwaltung auf die Hälfe, und der Dienst wurde viel besser. Nach Ablauf der Konzessionsfrist wurde die Müllabfuhr neu ausgeschrieben und nach Stadtgebieten aufgeteilt, wobei andere Unternehmen auftraten und das ganze Verfahren grundsätzlich geändert und verbessert wurde.
Unter der Regierung von Alfonsín gab es keine Privatisierungen, obwohl ein Staatssekretariat für diesen Zweck geschaffen wurde. Die Staatsunternehmen boten einen schlechten Dienst und wiesen hohe Defizite auf, was mit zum Zusammenbruch beitrug, der 1989 zur Hyperinflation und zum vorzeitigen Ende der Alfonsín-Regierung führte.
Als Carlos Menem als Präsident antrat, machte er aus den Privatisierungen einen Kernpunkt seiner Wirtschaftspolitik. Er privatisierte nicht nur fast alle Staatsunternehmen, sondern auch die Betreibung von Straßen, Häfen, Flugplätzen u.a. Objekte. Das führte zunächst zu hohen Investitionen, aber auch zu phänomenalen Effizienzfortschritten und Einführung neuer Technologie. Lokale Politiker, vor allem aus den linken Lager, sprechen von einem Ausverkauf der Juwelen der Großmutter, womit sie zeigen, dass sie nichts verstanden haben. Es ging nicht um die Einnahmen aus dem Verkauf, die unbedeutend waren, sondern um Investitionen und, vor allem, um effiziente Betreibung. Der Sprung, der mit privatem Management und Einführung moderner Technologie stattfand, war phänomenal.
Beim Telefonsystem fand ein Übergang von 2,7 Mio. festen Anschlüssen im Jahr 1990, die mangelhaft funktionierten, auf 8 Mio. fixe Telefonanschlüsse und über 50 Mio. Mobiltelefonen statt, mit einem Dienst, der hervorragend funktioniert. Im Hafen von Buenos Aires, der miserabel funktionierte, konnte die Kapazität vervielfacht werden, mit einer Verkürzung der Zeiten der Entladung und Aufladung der Schiffe von ca. 2 Wochen auf ca. 2 Tage. Die Privatunternehmen stellten Riesenkräne für diesen Zweck auf, während das Verfahren vorher manuell war. Bei der Stromversorgung sind die Pannen auf einen kleinen Bruchteil gesunken, sowohl an Zahl, wie an Dauer, und es gab trotz starker Zunahme der Nachfrage kein Versorgungsproblem. Bei Erdöl und Gas stiegen Produktion und Reserven sehr stark. Die Überlandstraßen wurden verbessert, so dass die Zahl der Unfälle stark sank. Bei der Wasserversorgung und -entsorgung trat bei der Privatisierung eine Verbesserung der Wasserqualität ein (so dass das Wasser als trinkbar eingestuft wurde, was es vorher nicht war), der Dienst wurde ausgeweitet, und der hohe Wasserverlust, der wegen defekten Röhren bestand, wurde abgeschafft. Bei YPF wurde bei der Privatisierung die Belegschaft von 52.000 auf 10.000 Personen verringert, bei höherer Produktion. Nach der staatlichen Übernahme der Kontrollmehrheit im Jahr 2012 wurden es sofort über 20.000, die das Unternehmen nicht verkraften kann.
Unter den Kirchners wurden mehrere Unternehmen rückverstaatlicht, an erster Stelle das Wasserunternehmen Aguas Argentinas, wobei sofort tausend unnötige Angestellte zusätzlich eingestellt wurden, und ein hohes Defizit entstand, das die Staatskasse belastet. Auch wurden Konzessionen zur Betreibung der Vorortseisenbahnen außer Kraft gesetzt, wobei der Staat den Dienst übernahm. Und bei den Unternehmen der Strom- und Gaswirtschaft wurden die Spielregeln missachtet, die bei der Privatisierung eingeführt worden waren, was den Unternehmen große Schwierigkeiten bereitet, Investitionen gehemmt hat, und auch zu einer ungenügenden Instandhaltung führte, so dass es zu mehr und größeren Pannen kam. Wenn es keine Lösung gibt, dann wird der Dienst zunehmend mangelhafter werden.
Die gegenwärtige Regierung ignoriert das Privatisierungsproblem. Es wird weder an der Lösung der Probleme gearbeitet, die die willkürliche und populistisch inspirierte Staatsintervention bei öffentlichen Dienste herbeigeführt hat, noch die Möglichkeit weiterer Privatisierungen erwogen. Unter Menem wurde auch eine private Zollkontrolle (für schwierige Fälle) und eine der staatlichen Käufe eingeführt, die beide sehr erfolgreich waren und jetzt notwendiger als damals sind.
Man hat den Eindruck, dass weder Präsident Alberto Fernández noch die Vizepräsidentin Cristina Kirchner das Effizienzproblem verstanden haben, das die Grundlage für Privatisierungen bildet. Denn der Staat ist prinzipiell starr und ineffizient, und das kommt bei unternehmerischen Tätigkeiten, die dynamisch sind, besonders krass zum Ausdruck. Außerdem werden bei staatlicher Verwaltung die Unternehmen politisiert, und das wirkt verheerend, an erster Stelle, weil leitende Beamte ernannt werden, die nicht dafür qualifizieren, und dann, weil die Belegschaften stark aufgebläht werden. Nicht zuletzt kommt noch die Korruption hinzu, die besonders bei populistischen Regierungen, wie die der Kirchners, ein phänomenales Ausmaß angenommen hat.
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