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  • Foto del escritorArgentinisches Tageblatt

Die Arbeitslosigkeit ist schlimmer als sie aussieht

Von Juan E. Alemann

Das Statistische Amt gibt die Arbeitlosigkeit im 4. Quartal 2018 mit 9,1% der aktiven Bevölkerung (diejenigen, die arbeiten plus die, die eine bezahlte Beschäftigung suchen) an, 1,9 Prozentpunkte über dem gleichen Quartal 2017. Das ist in einem Land, in dem nur wenige eine Arbeitslosenversicherung beziehen, gewiss mehr, als die Gesellschaft verträgt. Wobei sich die Lage im ersten Quartal 2019 ganz bestimmt weiter verschlechtert hat.

Die Zahl beruht auf einer Erhebung bei ca. 10.000 Haushalten in 31 städtischen Ballungsgebieten, und das Ergebnis wird dann auf das ganze Land hochgerechnet, obwohl die Bedingungen in den ländlichen Gegenden anders sind. Vor allem bei den Unterbeschäftigten, also denjenigen, die unter 35 Wochenstunden arbeiten, aber länger arbeiten wollen, ist es so, dass in den Gebieten, in denen Landwirtschaft betrieben wird, die Tätigkeit im Laufe des Jahres schwankt, und es üblich ist, dass keine 35 Stunden gearbeitet werden und dies normal ist. Abgesehen davon ist eine Hochrechnung von 10.000 Haushalten auf etwa 10 Mio. rein statistisch nicht zulässig. Die ganze Statistik über Beschäftigung sollte daher mit Vorsicht interpretiert werden.

Die INDEC-Zahlen über die Beschäftigungslage sind folgende:


Hier ist zunächst zu bemerken, dass die aktive Bevölkerung in Argentinien anormal niedrig ist. In vergleichbaren Ländern liegt sie über 55% und in fortgeschrittenen sogar über 60% der Gesamtbevölkerung. In vielen Fällen lohnt sich eine Beschäftigung nicht, so dass vor allem Frauen es vorziehen, sich dem Haushalt zu widmen. Würden mehr Möglichkeiten für Fernarbeit geschaffen, so dass die Arbeit zu Hause verrichtet wird (was die Computertechnologie zunehmend erlaubt), dann würde die aktive Bevölkerung eventuell höher sein. Es fehlt eine gesetzliche Rahmenordnung für die Fernarbeit, die zu Hause verrichtet wird, so dass eventuell Probleme entstehen. Eine normale Büroarbeit wird in Stunden gemessen, die Heimarbeit gemäß konkreten Leistungen, und das ist in der bestehenden Arbeitsgesetzgebung nicht vorgesehen. In Brasilien hat der ehemalige Präsident Michel Temer das Thema auch in seine umfassende Reform der Arbeitsgesetzgebung aufgenommen, und diese Regelung kann hier als Vorbild genommen werden.

Als Arbeitslose werden nur diejenigen eingestuft, die sich um eine bezahlte Beschäftigung bemühen. Aber viele tun dies nicht, u.a. weil sie schon oft Schlange gestanden haben und abgelehnt wurden. Sie erwarten, dass ihnen ein Arbeitsplatz über Freunde vermittelt wird. Auf alle Fälle handelt es sich dabei auch um Arbeitslose, sodass man zur offiziellen Zahl gut ein bis zwei Prozentpunkte hinzuzählen kann.

Was bei obiger Statistik auffällt, ist der hohe Prozentsatz derjenigen, die zwar eine bezahlte Beschäftigung haben, aber eine bessere suchen. Dass dieser Prozentsatz in einem Jahr stark zugenommen hat, bedeutet, dass viele Menschen eben eine bessere Arbeit suchen. Das ist normal, aber die Zunahme deutet darauf hin, dass mehr Menschen einen Arbeitsplatz besetzen, weil es keinen besseren gab, wobei sie ihn jedoch anstreben.

Bei der Arbeitslosigkeit wird die Langzeitarbeitslosigkeit nicht gemessen, die gemäß internationalen statistischen Konventionen bei zwei und mehr Jahren besteht. Wenn eine hohe Arbeitslosigkeit jahrelang andauert, wie es in Argentinien der Fall ist, dann kann man davon ausgehen, dass der Prozentsatz der Langzeitarbeitslosen zunimmt, was die Gesamtzahl qualitativ verschlechtert. Ein Arbeitsloser für drei Monate ist kein soziales Problem, einer von zwei Jahren wohl, weil ihm dabei die Reserven zum überleben ausgehen. Außerdem: je länger ein Mensch arbeitslos ist, umso schwieriger fällt ihm die Erhaltung eines Arbeitsplatzes.

Ein weiteres Problem stellt die jugendliche Arbeitslosigkeit, die weit über dem Durchschnitt liegt. Bei Frauen zwischen 14 und 29 Jahren liegt der Koeffizient bei 21,4% und bei Männern in diesem Alter bei 15,5%. Bei Jugendlichen, die keine bezahlte Arbeit erhalten, wird die Eingliederung in die Arbeitswelt mit der Zeit zunehmend schwieriger. Es besteht kein Zweifel, dass dies auch mit der hohen jugendlichen Kriminalität zusammenhängt, eben weil viele junge Menschen aus Verzweiflung versuchen, sich auf diese Weise ein Einkommen zu beschaffen. Die sogenannten „Motochorros”, also Diebe, die ein meistens teures Motorrad besitzen (sofern sie es nicht gestohlen haben), deren Zahl in den letzten Jahren exponentiell gestiegen ist, sind prinzipiell anders als die gewöhnlichen Verbrecher, die meistens aus armen Familien stammen, und gehören oft zum Mittelstand.

Bei Jugendlichen ist in den letzten Jahrzehnten ein zusätzliches Problem hinzugekommen: während die Unternehmen höhere Ausbildungsforderungen stellen, hat die Qualität der öffentlichen Erziehung allgemein abgenommen. Außerdem werden immer mehr Informatikkenntnisse gefordert, die die Schule allgemein nicht oder ungenügend bietet. Das Schulsystem, vor allem die Sekundarschulen, muss neu durchdacht werden, will man vermeiden, dass eine zunehmend hohe strukturelle Arbeitslosigkeit aufkommt.

Bei den Unterbeschäftigung werden Kraut und Rüben zusammengezählt. Einige haben genügend Arbeit, um ihre normalen Ausgaben zu decken, andere nicht. Man kann davon ausgehen, dass die durchschnittliche Zahl der gearbeiteten Stunden letztes Jahr abgenommen hat, wobei viele jetzt so wenig zu tun haben, dass man sie eigentlich als Arbeitslose einstufen sollte.

Schließlich besteht bei der Beschäftigung noch ein Problem mit dem hohen Anteil der Schwarzarbeit, die über Drittel der Beschäftigten umfasst und 2019 gestiegen ist. Hinzu kommen dann noch viele, die als formell Beschäftige eingestuft werden, aber einen Teil ihres Einkommens schwarz beziehen. Die Schwarzarbeit ist qualitativ schlecht, weil die Menschen, um dies es dabei geht, keine Unfall- und Krankenversicherung und auch kein Recht auf Pensionierung haben. Außerdem sind die Löhne meistens niedriger, als bei gleichen legalen Tätigkeiten. Die Regierung könnte die Schwarzarbeit gewiss effektiver bekämpfen als sie es tut, weil sie oft sehr sichtbar ist. Aber dann würde die Arbeitslosigkeit stark zunehmen, und das will man eben vermeiden. Die Macri-Regierung beteuert von Anfang an, an dieses Problem mit einem Gesetzesprojekt heranzugehen, dass den Übergang von schwarz auf weiß möglich macht und sogar fördert. Doch bisher ist es nicht einmal gelungen, ein sehr mildes Gesetzesprojekt in diesem Sinn durchzusetzen. Wenn man den Unternehmen, die Arbeitnehmer schwarz beschäftigen, die vergangene Hinterziehung von Sozialabgaben nicht streicht, und ihnen den Eintritt in die Legalität mit anfänglich geringeren Sozialbeiträgen erlaubt, wird sich kaum etwas am bestehenden Zustand ändern. Doch das verstehen weder Bürokraten noch Gewerkschafter.

Wenn wir all das berücksichtigen, was wir oben erläutert haben, gelangen wird zum Schluss, dass die Arbeitslosigkeit in Wirklichkeit bei gut 12% der aktiven Bevölkerung liegt, und dass sich ihre Struktur letztes Jahr weiter verschlechtert hat. Viele Menschen sind schlicht vom Wirtschaftssystem ausgeschlossen und auf soziale Hilfe angewiesen, was gewiss keine gute Lösung darstellt.

Die Problematik der Arbeitslosigkeit wird noch den Umstand kompliziert, das seine hohe Einwanderung besteht, und diese Menschen meistens gegenüber den lokalen Arbeitssuchenden bevorzugt werden, womit sie für diese ein Problem schaffen. Seit Jahrzehnten schon haben Paraguayer zuerst und Bolivianer lokale Bauarbeiter verdrängt. Dann kamen auch Peruaner u.a. hinzu. Doch in letzter Zeit sind Venezolaner in großen Mengen nach Argentinien gekommen, die meisten mit relativ guter Ausbildung und auch viele Akademiker, die in Segmenten des Arbeitsmarktes auftreten, in denen auch Überangebot besteht. Die Ausländer werden oft bevorzugt, weil sie den Gewerkschaften nicht nahe stehen, sich eventuell mit niedrigeren Löhnen zufrieden geben, keine Konflikte schaffen und auch keine Prozesse anstrengen. Sie passen sich den Umständen an und hüten ihren Arbeitsplatz.

Allgemein wird die Beschäftigung nur mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Beziehung gesetzt, so dass eine Lösung des Problems auf Grund eines Wachstums des Bruttoinlandsproduktes erwartet. Doch das Problem ist viel komplexer. Auf alle Fälle gibt es immer mögliche Arbeitsplätze, die nicht besetzt werden, weil sie unstabil sind und bei Entlassung dann sehr teuer werden.

Dank der modernen Technologie, die auch in Argentinien überall eingeführt wird und alles grundsätzlich ändert, kann ein Wachstum mit weniger Arbeitseinsatz erreicht werden. Das bedeutet, das sich die Beschäftigungsstruktur ändert. Die Vereinigten Staaten, die am meisten Technologie einsetzen, haben eine sehr niedrige Arbeitslosigkeit, weil ihnen diese Verlegung der Arbeitsplätze gelungen ist. Doch das war nur möglich, weil das Arbeitssystem dort extrem flexibel ist, was in Argentinien nicht der Fall ist.

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