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Dialog der Religionen

Actualizado: 3 may 2022

Der deutsche Imam Marwan Gill leitet die Ahmadiyya-Gemeinde in Buenos Aires

Von Karoline Richter

Dialog der Religionen
Bestanden: Zertifikate für Teilnehmer des Islam- und Arabisch-Kurses. (Foto: privat)

Buenos Aires - „Die Ohrfeige von Will Smith für den Comedian Chris Rock bei den Oscars ging um die Welt. Ich bin weder Psychologe noch kenne ich Will Smith, aber ich glaube, Fasten hätte Smith geholfen“, sagt Marwan Gill, Imam der Islamischen Ahmadiyya-Gemeinschaft in Buenos Aires. „Muslime fasten einen ganzen Monat lang und stärken ihre Disziplin.“

Gerade hat Marwan Gill den Fastenmonat Ramadan in seiner Gemeinde in Buenos Aires eingeleitet. „Der Ramadan ist wichtig für jeden Muslim. In dieser Zeit verzichtet er nicht nur einen Monat lang von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang auf Essen, Trinken und Geschlechtsverkehr, sondern konzentriert sich darauf, seinen geistigen und moralischen Zustand zu verbessern“, so Gill.


Gill entspricht überhaupt nicht dem Bild, das man von einem Imam hat. Er trägt Sakko, spricht Deutsch mit hessischem Akzent und ist Fußball-Fan. Sein dreijähriger Sohn Safwan liebt das rote Rennauto Lightning McQueen. Überhaupt wirkt die Stimmung im Ahmadiyya-Gemeindezentrum in Palermo eher entspannt. Dort wo früher Berufstätige ihre Beine zum Morgengruß dehnten, wird heute gebetet. Noch prangt der Schriftzug „Arte de Yoga“ über dem Eingang. Die Gemeinde ist gerade erst umgezogen. Die Fliesen sind noch nicht verlegt, die Wände frisch gestrichen. „In Argentinien dauert alles etwas länger als in Deutschland, aber dafür wird es perfekt“, freut sich der Imam. Interessierte und Neugierige sind willkommen. Es gibt Tee und „medialunas“. Im Bücherregal an der Wand stehen deutsch- und spanischsprachige Bände vom Verlag Der Islam.

Marwan Gill ist in Stuttgart geboren, seine Eltern stammen aus Pakistan. Seine Familie gehört der muslimischen Minderheit der Ahmadis an. Die sog. Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ, Jamaat = Gemeinschaft) wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Nordindien von Mirza Ghulam Ahmad gegründet. Ahmadi-Muslime glauben an Allah, ihr heiliges Buch ist der Koran. Ihr Gründer Mirza Ghulam Ahmad ist für sie der Messias und Reformer, dessen Ankunft der Prophet Mohammed vorhergesagt hat. Andere Muslime werfen ihnen deswegen die Verletzung des Islam vor. Sie lehnen Mirza Ghulam Ahmad als den verheißenen Messias ab. Für sie ist Mohammed der letzte Prophet.


Religiöse Verfolgung

Seit Jahrzehnten werden die Ahmadis in Pakistan von Mullahs, den Taliban und der Regierung verfolgt. Seit 1974 ist es ihnen in Pakistan verboten, sich als Muslime zu bezeichnen. Sie dürfen nicht wählen. Pakistans Blasphemie-Gesetze stellen ein potenzielles Todesurteil für jeden dar, der den Islam beleidigt. Etwa vier bis fünf Millionen Ahmadis leben in Pakistan, einem Land mit einer Gesamtbevölkerung von 220,9 Millionen. Rund 40.000 Ahmadis wohnen derzeit in Deutschland. Auch Gills Eltern sind in den 80er Jahren aus Pakistan nach Deutschland geflohen, als die Situation zu gefährlich für die Familie wurde.

Marwan und seine Geschwister sind in Frankfurt zur Schule gegangen, dort hat er auch Abitur gemacht. „Ich fühle mich hundertprozentig als Deutscher“, sagt Marwan Gill. Er habe einen internationalen Hintergrund, das gehöre zur Globalisierung dazu. „Ich bin ein Gemisch, aber meine Heimat ist Deutschland, den kulturellen Werten fühle ich mich verbunden.“ Jedes Jahr im deutschen Sommer besucht er mit seiner Frau und seinem Sohn Frankfurt. Der kleine Safwan spricht Deutsch mit dem Vater, Englisch mit seiner britischen Mutter und Spanisch im Kindergarten.

Dialog der Religionen
Imam Marwan Gill. (Foto: privat)

Die Mehrzahl von Gills Freunden in Frankfurt, etwa die Kumpels aus dem Fußball-Verein, waren keine Muslime. Sie waren überrascht, als er ihnen sagte, dass er islamische Theologie in England studieren wolle. „Als Teenager hatte ich eine enge persönliche Bindung zu Gott. Der Glaube war mein Kompass und hat mir Sicherheit gegeben.“ Er sei im Frieden mit sich und mit Gott gewesen. „Deswegen dachte ich, es sei meine Verantwortung, anderen Jugendlichen zu helfen, die auch auf der Suche nach Frieden sind.“ Islam bedeute, so Gill, im Arabischen wörtlich übersetzt Frieden.

Er hätte auch in Riedstadt bei Darmstadt studieren können, dort hat die deutsche Ahmadiyya-Gemeinde 2012 ein „Institut für islamische Theologie und Sprachen“ gegründet. Aber er ging nach England, um für knapp acht Jahre bei Kalif Mirza Masroor Ahmad zu lernen, dem geistlichen Oberhaupt der Ahmadis und Urenkel des Gründers der Glaubensgemeinschaft. Er zeigt auf drei Fotos, die über seinem Schreibtisch an der Wand hängen. Sie zeigen ihn mit Kalif Mirza Masroor Ahmad. „Für mich war das der London Dream. Ich wollte raus, ich wollte die Welt kennenlernen.“ Der Kalif sei sein Vorbild, sagt Marwan Gill, sein Mentor. Der Kalif ist auf Lebenszeit gewählt, weltweit werden in allen Moscheen der Ahmadis beim Freitagsgebet seine Predigten vorgelesen.


Bei Null angefangen

Als Marwan Gill mit 26 Jahren seine Ausbildung als Imam abgeschlossen hatte, schickte ihn der Kalif nach Argentinien, um die Ahmadiyya-Gemeinde in Buenos Aires aufzubauen. Für Marwan Gill ein Karrieresprung: „Meine erste Stationierung war sofort Argentinien, und das als maximale Autorität, als Imam. In meinem Fall ging das sehr schnell. Eigentlich wollte ich drei bis fünf Jahre mit einem anderen Imam arbeiten, um Erfahrungen zu sammeln.“

Er hatte nicht mit Argentinien gerechnet, er sprach kein Wort Spanisch. Eher hatte er an Deutschland gedacht, dort gibt es die Ahmadiyya-Gemeinde schon seit hundert Jahren. In Hamburg und Hessen genießt sie sogar den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und wurde damit den christlichen Kirchen gleichgestellt. Anderen muslimischen Gemeinschaften ist dieser Status bislang verwehrt.

Trotzdem sind die Ahmadis unter Islamkennern nicht unumstritten, etwa was die Rolle der Frauen in der Gemeinde anbelangt. Männer und Frauen beten getrennt, das Kopftuch gilt als religiöse Pflicht, einige Anhänger verteidigen die Polygamie. Die AMJ ist international tätig, sie betreibt Mission und unterhält eigene Moscheen. Auch in England, den USA oder in einigen afrikanischen Ländern haben sich die Ahmadis Anfang des vergangenen Jahrhunderts niedergelassen. Sie zählen zu den am stärksten wachsenden muslimischen Gemeinden weltweit.

In Argentinien musste Imam Gill, wie er sagt, Pionierarbeit leisten: „Es gab kein Gemeindezentrum, keine Mitglieder, keine Struktur. Es gab Muslime, aber die gehörten nicht zur Ahmadiyya-Gemeinde.“ Mittlerweile sind sie mehr als 30 Mitglieder, und die Gemeinde hat viele Freunde und Unterstützer. „Bislang haben wir keine deutschen Mitglieder außer meinem Sohn und mir“, sagt Imam Gill und lacht. „Aber der Artikel im Argentinischen Tageblatt könnte das ja ändern.“

Seine Frau ist Britin, er hat sie über die Ahmadiyya-Gemeinde in London kennen gelernt. Ihr gemeinsamer Sohn Safwan kommt mit ins Gemeindezentrum, wenn der Vater sich mit den Gläubigen zum Freitagsgebet trifft. Jemand aus der Gemeinde passt dann auf ihn auf.


Radioprogramm „Shalom-Salam“

Im März 2019 hat Imam Gill als erster Imam an der Gedenkfeier für die Opfer des Bombenanschlags 1994 in Buenos Aires teilgenommen. Es war der schwerste Terroranschlag in der Geschichte Argentiniens. Die Bombe zerstörte das jüdische Gemeinschaftszentrum AMIA in der Innenstadt von Buenos Aires, 85 Menschen wurden getötet, mehr als 300 verletzt. Seit der Gedenkfeier steht der Imam im Austausch mit dem jüdischen Gemeindezentrum „Menorah“. Zusammen mit dessen Leiter Ezequiel Antebi Sacca und dem Direktor des jüdischen Radiosenders Jai (FM 96.3), Miguel Steuermann, hat er das Radioprogramm Shalom-Salam gegründet. Jeden Sonntag um 10 Uhr diskutieren sie auf Radio Jai über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Judentum und Islam, über den Krieg in der Ukraine oder den Konflikt zwischen Israel und der Hamas.

Dialog der Religionen
Bestanden: Zertifikate für Teilnehmer des Islam- und Arabisch-Kurses. (Foto: privat)

„Im Westen werden die Konflikte im Nahen Osten manchmal aus Unwissenheit mit den Religionen in Verbindung gebracht, aber das ist keineswegs der Fall“, sagt Imam Gill. „Wir Ahmadis glauben, dass jede Religion in Frieden, Harmonie und gegenseitigem Respekt verwurzelt ist.“ Mitte dieses Jahres plane das jüdische Zentrum und die Ahmadiyya-Gemeinde ein jüdisch-muslimisches „Abkommen der Brüderlichkeit“ zu unterzeichnen („La Confraternidad judeo-musulmana“), es sei das erste Abkommen dieser Art in Argentinien. „Als religiöser Führer ist es wichtig, Brücken durch Dialog zu suchen, um Frieden in der Gesellschaft zu schaffen“, findet der Imam.

Miguel Steuermann hat den jüdischen Radiosender Radio Jai (FM 96.3) in Buenos Aires 1992 gegründet, bis heute ist er dessen Direktor. Für ihn ist Argentinien der perfekte Ort für ein harmonisches Zusammenleben zwischen den Religionen. Zum Auftakt des Radioprogramms „Shalom-Salam“ sagte er der Nachrichtenseite infobae letztes Jahr: „Wir wollten unseren Zuhörern einen Raum geben, um sich mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden beider Weltreligionen auseinanderzusetzen. Das Judentum und der Islam haben vieles gemein, etwa was religiöse Rituale anbelangt, oder den Stellenwert von bestimmten Vorschriften und Gesetzen. Seit Jahrhunderten pflegen beide Religionen den philosophischen Austausch.“


Liebe statt Hass

Die Ahmadis verstehen sich als islamische Reformgemeinde, sie distanzieren sich nach eigenen Angaben von jeder gewalttätigen Form des Islam und lehnen muslimische Strömungen ab, die dazu neigen, durch offenes politisches Engagement zu missionieren. Ihr Motto „Liebe für alle, Hass für keinen“ steht auch auf der Kaffeetasse im Gemeindezentrum.

„Wir Ahmadis konzentrieren uns darauf, das Herz des Menschen zu erreichen“, sagt Gill. Ein Koranzitat sei dem jüdischen Talmud-Spruch „Wer ein einziges Leben rettet, der rettet die ganze Welt“ nicht unähnlich: „Wenn jemand einen Menschen tötet, so ist es, als hätte er die ganze Menschheit getötet; und wenn jemand einem Menschen das Leben schenkt, so ist es, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben geschenkt“ (Koran 5:32). Dieses Zitat gelte für alle Menschen, so Gill, unabhängig von Ethnie oder Religion.

Die Ahmadis leiden bis heute unter der Ablehnung durch andere islamische Glaubensrichtungen. Die Zusammenarbeit mit muslimischen Gemeinden in Buenos Aires gestalte sich als schwierig, erklärt der Imam, manche Gemeinden stünden ihnen ablehnend gegenüber, darunter Anhänger des Wahhabismus, eine puristisch-traditionalistische Richtung des Islam, die in Saudi-Arabien beheimatet ist. Bis heute dürfen Ahmadis nicht nach Mekka pilgern.

Dialog der Religionen
Fußballturnier für Kinder in der Provinz Buenos Aires.

Es gebe mehr als 70 muslimische Gruppierungen, sagt der Imam, und von den weltweit 1,7 Milliarden Muslimen seien rund 15 Millionen Ahmadis. Ziel seiner Glaubensgemeinschaft sei es, die eigenen Muslime zu reformieren, aber auch, Nicht-Muslime über den Islam zu informieren.

Gelegenheit dazu gibt ihnen ihre soziale Arbeit in Buenos Aires. Die Gemeinde liefert Lebensmittel an Suppenküchen, spendet Spielzeug für Kinderkrankenhäuser, organisiert Kinderfußballturniere. Wöchentlich bieten sie kostenlosen Arabisch-Unterricht und Islamkurse an. Es ginge ihnen aber nicht darum, den Islam zu predigen, behauptet der Imam. „Die Mehrheit der Teilnehmer dieser Kurse sind Nicht-Muslime. Unsere Schüler kommen aus allen Provinzen Argentiniens. Und die Mehrheit derer, die unsere Kurse abschließen, konvertiert nicht zum Islam.“


Stammt Ihr aus Musulmania?

Trotzdem könne man ins Gespräch kommen: „Oft ist da ein Mangel an Wissen über Muslime. Leute fragen uns: Seid Ihr Juden? Nein, wir sind Muslime. Aber du bist doch Deutscher, wie kannst Du dann Muslim sein? Man denkt immer, Muslime müssten Araber sein. Oder die Frage: Stammt Ihr aus Musulmania? Als wäre das ein Land.“

Viele Menschen hätten noch nie Kontakt zu einem Muslim gehabt, glaubt Marwan Gill, ihre einzige Quelle seien die Medien: „Und dort werden Al Quaida und der Islamische Staat gezeigt. Aber terroristische Gruppen repräsentieren nicht die muslimischen Werte, ganz im Gegenteil. Wir als Ahmadiyya-Gemeinde sagen sogar, diese Gruppen missbrauchen den Islam für ihre Zwecke, für eigene politische Interessen. Deswegen ist das soziale Engagement, sind Begegnungen immer eine gute Gelegenheit, das Gespräch oder den Dialog über den Islam zu suchen.“

Anlässlich des jüdischen Pessach-Festes (15.-22. April) und des muslimischen Ramadans organisierten Imam Gill und Radio Jai-Gründer Miguel Steuermann kürzlich ein gemeinsames Abendessen. Vertreter beider Gemeinden feierten das jüdische „Fest des ungesäuerten Brotes“ mit symbolischen Speisen und Erzählungen aus der Bibel. Für die Muslime endet der Ramadan am 2. Mai mit dem „Fest des Fastenbrechens“, Eid al-Fitr. Trotzdem, der Imam glaubt an die Vorteile von regelmäßigem, kontrollierten Fasten: „Der folgende Ausspruch des Propheten könnte nicht nur Will Smith helfen, sondern uns allen, wenn wir das nächste Mal wütend werden: „Fasten ist ein Schutz (gegen Sünden, Anm. d. Red.). Wenn also einer von euch fastet, soll er nicht unpassend reden oder töricht handeln. Wenn jemand mit euch streitet oder euch beleidigt, sagt: Ich faste, ja ich faste.“ (AT)


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