Merkel befürchtet „ernste Zeit“ / Es warten große Aufgaben
Berlin/Brüssel (dpa/mc) - Zum Start der EU-Ratspräsidentschaft hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Deutschland und Europa auf schwere Zeiten und wachsende Arbeitslosigkeit eingestimmt. „Wir kommen in eine sehr ernste Zeit, das muss ich ganz deutlich sagen“, betonte die CDU-Politikerin am Mittwoch im Bundestag. In Brüssel erwartet sie bei Topthemen hohe Hürden: beim milliardenschweren Corona-Aufbauplan und beim Handelspakt mit Großbritannien nach dem Brexit.
Deutschland hat den Vorsitz der 27 EU-Staaten zum 1. Juli von Kroatien übernommen. Damit verbunden ist die Leitung der Ministerräte in den kommenden sechs Monate sowie die Vermittlung in EU-Verhandlungen. Gleichzeitig hat die Bundesrepublik auch für einen Monat den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat. Dort ist Deutschland seit Anfang 2019 für zwei Jahre Mitglied und übernimmt nun zum zweiten Mal für einen Monat den Vorsitz. Gleich am ersten Tag des Vorsitzes hat sich das Gremium für eine umstrittene Corona-Resolution ausgesprochen.
In der EU ist das erste große Ziel, noch im Juli den nächsten siebenjährigen Haushaltsrahmen und ein milliardenschweres Konjunkturprogramm zuwege zu bringen. Doch Merkel warnte: „Ich muss Ihnen sagen, dass die Positionen noch weit auseinander liegen.“ Vor einem geplanten Gipfel am 17. und 18. Juli werde es noch viele vorbereitende Gespräche geben.
Eine Herausforderung sei zudem das künftige Verhältnis zu Großbritannien. „Die Fortschritte in den Verhandlungen sind hier, um es zurückhaltend zu formulieren, sehr übersichtlich“, sagte Merkel. Sie werde sich für eine Lösung stark machen. Doch müsse sich die EU auch auf ein Scheitern der Verhandlungen vorbereiten. In dem Fall droht zum Jahresende ein harter wirtschaftlicher Bruch mit Zöllen und Handelshemmnissen.
Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) erwähnte die Verhandlungen mit Großbritannien. Maas nannte als Ziel einen Abschluss der Gespräche innerhalb der kommenden sechs Monate. Zudem wolle er die gemeinsame Asylpolitik in dieser Zeit reformieren.
Mehrere weitere Bundesminister beschrieben ihre eigenen Schwerpunkte für die Ratspräsidentschaft. Für Sozialminister Hubertus Heil sind das faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen. „Die EU muss noch stärker als bisher wirtschaftliche Stärke mit sozialem Schutz verbinden“, sagte der SPD-Politiker.
Innenminister Horst Seehofer (CSU) erwartet für September einen Vorschlag der EU-Kommission zur Asylrechtsreform und formulierte den Ehrgeiz, dass noch in diesem Jahr eine politische Verständigung zustande kommen soll. Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) will den Tier- und Umweltschutz in der Landwirtschaft voranbringen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will Zukunftstechnologien forcieren, insbesondere „grünen“ Wasserstoff.
Das Bundeswirtschaftsministerium kündigte zudem zügige Fortschritte zur Finalisierung des EU-Mercosur-Abkommens an. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Handelsspannungen, zunehmender protektionistischer Tendenzen und stockender multilateraler Verhandlungen gewönnen bilaterale Abkommen an Bedeutung. Durch ehrgeizige Abkommen würden Marktzugang und die Wettbewerbschancen für Unternehmen deutlich verbessert, erläuterte die Behörde auf unsere Nachfrage.
Industriepräsident Dieter Kempf forderte, die Bundesregierung müsse die Präsidentschaft konsequent auf die wirtschaftliche Erholung Europas ausrichten. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR sieht indes den Schutz der Flüchtlinge als Priorität der Ratspräsidentschaft. Gonzalo Vargas Llosa, UNHCR-Beauftragter für EU-Angelegenheiten, betonte, Vertriebene hätten in der Pandemie ein erhöhtes Risiko.
Merkel und Macron einig
Meseberg (dpa) - Zum Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft haben Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Einigkeit bei der Bewältigung der Corona-Krise demonstriert. Im Ringen um ein Programm für den wirtschaftlichen Wiederaufbau wolle man gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, „dass wir einen positiven Impuls in die richtige Richtung für die europäische Zukunft geben“, sagte Merkel am Montag bei einem Treffen mit Macron auf Schloss Meseberg bei Berlin. Der französische Präsident forderte eine Einigung auf das Programm bereits im Juli. „Dies ist unsere oberste Priorität.“
Macron und Merkel hatten im Mai einen Hilfsfonds in Höhe von 500 Milliarden Euro vorgeschlagen, um die europäische Wirtschaft aus der Corona-Krise zu bringen. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen präsentierte anschließend einen schuldenfinanzierten Wiederaufbauplan mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro. Davon sollen 500 Milliarden Euro als Zuschüsse und 250 Milliarden als Kredite an EU-Staaten vergeben werden. Verhandelt wird der Plan zusammen mit dem nächsten siebenjährigen EU-Finanzrahmen, für den die Kommission 1,1 Billionen Euro ansetzt.
NAHOST
Streit um Land
Jerusalem (dpa) - Im Konflikt um mögliche Annexionen von Teilen des besetzten Westjordanlands zeichnet sich ein Aufschub der umstrittenen Pläne der israelischen Regierung ab. „Die Ausweitung der Souveränität wird im Juli passieren, aber nicht vor einer Erklärung des US-Präsidenten Donald Trump“, sagte Israels Minister für regionale Zusammenarbeit, Ofir Akunis, am Mittwoch dem Armeesender. „Von mir aus hätte es heute passieren können, aber es fehlte die volle Zustimmung der US-Regierung.“
Der Koalitionsvertrag der israelischen Regierungsparteien sah für den 1. Juli erstmals die Möglichkeit vor, Annexionsschritte einzuleiten. Doch es gab internen Zwist; zu Gesprächen israelischer Spitzenpolitiker mit US-Vertretern über die Pläne wurde öffentlich nichts bekannt.
Im Gazastreifen protestierten derweil Tausende gegen die Pläne Israels. Viele Beobachter sorgen sich, dass einseitige Schritte Israels Gewalt nach sich ziehen könnten. Auch eine Destabilisierung der Region wird befürchtet. Der bewaffnete Arm der im Gazastreifen herrschenden Hamas hatte eine Entscheidung für eine Annexion als Kriegserklärung bezeichnet. Militante Palästinenser hatten am Mittwoch zu einem „Tag des Zorns“ aufgerufen.
Als Grundlage für eine Annexion dient der israelischen Regierung ein US-Plan. Dieser sieht vor, dass Israel sich rund 30 Prozent des 1967 im Sechstagekrieg eroberten Westjordanlands einverleiben kann. Die restlichen 70 Prozent sollen Teil eines Palästinenserstaates werden, allerdings unter strengen Auflagen. Die Palästinenser lehnen den Plan entschieden ab, aus ihrer Sicht wird Israel bevorzugt.
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