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Deutsche in Argentinien. Neue Bücher


Zur Zeit scheint ein neues Interesse an der deutschsprachigen Einwanderung nach Argentinien zu erwachen, das sich in diversen Publikationen ausdrückt. Hier sollen für Interessenten an der Einwanderungsgeschichte zwei argentinische und ein deutsches Buch vorgestellt werden. Die argentinischen befassen sich mit Wissenschaftsgeschichte, dazu kommt die umfangreiche Biographie Paul Zechs von Alfred Hübner. Bei den argentinischen Autoren handelt es sich nicht um Germanisten, sondern die Quellen werden von der argentinischen Geschichte und ihrem eigenen Fach her betrachtet.

Der Wissenschaftsgeschichtler Roberto Ferrari hat unter dem Titel La Plata Monatsschrift. Buenos Aires 1873-1876. Presencia científica europea en la Argentina del siglo XIX (Olivos: Ediciones en Foco) diese von Richard Napp herausgebrachte Zeitschrift beschrieben und ihren Vorläuferwert für mehrere Disziplinen festgestellt. Einige ins Spanische übertragene Aufsätze aus der Zeitschrift bilden etwa die Hälfte des Buches. Ferrari hat vor einigen Jahren schon ein Buch über Germán Avé Lallemant herausgebracht, und sein Interesse an diesem Mineningenieur, Topographen und frühem Verteidiger der Marxschen Gesellschaftslehre in Argentinien zeigt sich hier wieder, denn unter 8 übersetzten Aufsätzen sind drei frühe Arbeiten von ihm, je zwei von Franz Host, und Carl Schulz Sellack und eine von Max Siewert. Sie zeigen die Bandbreite der Themen der La Plata Monatsschrift: von meteorologischen Beobachtungen zur Schilderung des 1873 noch nicht eroberten Chaco, vom Minenwesen in San Luis bis zu den saladeros in Entre Ríos. An der Zeitschrift haben mehrere Mitglieder der naturwissenschaftlichen Akademie in Córdoba mitgearbeitet. Außerdem enthält sie beschreibende Artikel über das Innere Argentiniens von vielen Autoren, deren Leben und Wirken bisher nicht studiert wurden – eine Liste der Artikel ist am Ende angeführt. Anhand dieser vom argentinischen Staat finanzierten Publikation wird dem Herausgeber Richard Napp sein gebührender Rang zuerkannt.

Ein umfangreiches Werk ist El americanismo germano en la antropología argentina, beim Verlag Ciccus, herausgegeben von Patricia Arenas und Lena Dávila. Es enthält 16 Aufsätze zu der Entwicklung der Paläontologie, der Ur- und Frühgeschichte, der Archäologie und der Anthropologie in Argentinien, mit dem Fokus auf deutschsprachige Wissenschaftler. Ausgehend davon, dass die Deutschen, sowohl der bahnbrechende Hermann Burmeister als auch die Angehörigen der Akademie in Córdoba, die Lehrmeinung über das Fehlen einer autochtonen Kultur in Argentinien teilten, die jedoch in Argentinien ab Mitte des XIX Jh. durch einheimische Wissenschaftler, vor allem Florentino Ameghino, Francisco P. Moreno und Juan Bautista Ambrosetti, bekämpft wurde – wird gezeigt, dass dieser Widerspruch bis nach dem II. Weltkrieg erhalten blieb, da gerade die Berufsanthropologen Robert Lehmann Nitsche und Oswald Menghin ihr europazentrisches Weltbild nicht aufgaben. In der Folge des Ersten Weltkriegs kam aber auch aus dem deutschen Sprachbereich die Theorie Oswald Spenglers, welche die eurozentrische Weltsicht unterlief und den Weg frei machte für neue Theorien, also auch für den Amerikanismus, wie ihn z. B. Ernesto Quesada vertrat (der später seine immense Bibliothek nach Berlin schenkte). Es wird über Forscher und Reisende berichtet, die, wie der Maler Adolf Methfessel und der Arzt Ludwig Ferdinand Ruez, hauptsächlich auf anderen Gebieten tätig waren, aber auch über professionelle Anthropologen (in weitem Sinn, wie auf Spanisch), die die Technik einer sorgfältig dokumentierten Ausgrabung mitbrachten. Interessant der Fall von Juliane Dillenius, die als Schülerin Lehmann Nitsches einen Beweis für die frühen Kulturen in den Calchaquí-Tälern geführt hat, während ihr Lehrer und späterer Ehemann bei dem eurozentrischen Modell blieb. Der Amerikanismus fand schließlich auch Unterstützung durch deutsche Archäologen und Theoretikern wie Max Uhle und Fritz Graebner. Ein buntes Panorama, aus dem zwei Aufsätze der Herausgeberinnen hervorragen: Lena Dávila über Lehmann Nitsche und Patricia Arenas über Menghin. Beide analysieren das Verhältnis dieser Anthropologen zum Nationalsozialismus, und führen sehr klare Untersuchungen vor, durch welche die Vorwürfe wegen Nazismus bei ersterem widerlegt werden, jedoch gezeigt wird, dass der andere, nämlich Menghinm nach dem Krieg nicht zu seiner Verantwortung als Minister einer profaschistischen Regierung stand, und sich unter falschen Prämissen nach Argentinien holen ließ.

Diese beiden Bücher stellen eine Besinnung auf die hundert Jahre dar, während derer ausländische Forscher, Hochschullehrer und Ingenieure, darunter zahlreiche Deutsche, Schweizer und Österreicher, in Südamerika auf vielen Gebieten Pionierarbeit geleistet haben. Deren Arbeit wurde bei Erstarken der einheimischen Universitäten und Bildungsstätten von ihren Schülern übernommen und in den Schatten gestellt und ist schließlich vergessen worden. Dass sie jetzt ausgegraben und gewürdigt wird, und dass auch mit der Frage der Nazifizierung der letzten dieser Vorkämpfer wissenschaftlich fundiert umgegangen wird, ist eine erfreuliche Entwicklung.

Alfred Hübners Biographie Die Leben des Paul Zech (Heidelberg: Morio Verlag, 2021) gehört in eine andere Rubrik. Paul Zech (1881-1946) ist ein umstrittener Autor, seine Werke sind zahlreich und bewegen sich in allen literarischen Genres, vom lyrischen Gedicht bis zum politischen Essay. Ohne zureichenden Bildungshintergrund hat er sich im Selbststudium erstaunliche Kenntnisse angeeignet und war während des Expressionismus ein gut eingeführter Autor. In den dreißiger Jahren weniger erfolgreich, fand er eine Anstellung an der Berliner Stadtbibliothek, hat dort aber kostbare bibliophile Werke entwendet und entkam 1933 nicht nur seiner Überzeugung wegen den Nazis sondern auch den polizeilichen Nachstellungen als Dieb. Er kam mit über fünfzig Jahren nach Argentinien, sein Spanisch blieb immer unzulänglich, er war ein höchst anregender aber schwieriger Gesprächspartner, immer in Not, mit vielen vereinzelten Beziehungen, die aber nicht ineinander griffen. Ein kranker Mensch mit großen Begabungen. Er kam nach anderthalb Jahren mit wöchentlichen Beiträgen zum Argentinischen Tageblatt mit dessen Herausgeber ins Gehege, wollte sich auch anderen Antinazibewegungen in Buenos Aires nicht einordnen, schrieb aber hundert und fünfzig Artikel für die jiddische Zeitung Di Presse. Zech spielte in seinen letzten Jahren eine wichtige Rolle als literarischer Berater bei der Gestaltung der Deutschen Blätter, die 1943-1946 in Chile von Udo Rukser und Albert Theile herausgegeben wurden, schickte eigene Texte ein und vermittelte der Zeitschrift den Zugang zu südamerikanischen Literaten – ihm ist in den Deutschen Blättern die erste deutsche Übersetzung eines Textes von Borges zu verdanken, und durch seine Vermittlung kam auch der erste Text von Brecht auf spanisch in Victoria Ocampos Zeitschrift Sur zustande. Zudem hat er ein ausgedehntes Oevre mit südamerikanischen Themen hinterlassen. Hübner hat nicht nur dieses --im Einzelnen kurzgefasste aber tausend Seiten lange-- Buch erarbeitet, sondern seinem unstillbaren Drang nach Aufklärung dunkler Flecken im Leben Zechs ist auch zu verdanken, dass von jüngeren Forschern eine ganze Reihe von Autoren und Intellektuellen im Exil studiert werden, mit denen jener in Kontakt stand.

Regula Rohland


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