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Der wirklichkeitsfremde Optimismus des Präsidenten

Von Juan E. Alemann

Alberto Fernandez
Alberto Fernández. (Foto: Fernando Gens - Telam)

Dass der Präsident bei der Rede anlässlich der Eröffnung der ordentlichen Sitzungen des Parlamentes einen optimistischen Ton aufweist und positive Ereignisse hervorhebt, ist in Ordnung. Doch dass er dabei die Wirklichkeit in vielen Aspekten falsch darstellt und die Schwierigkeiten ignoriert, die überall vorhanden sind, lässt Zweifel aufkommen, ob er die Fähigkeit hat, die zwei schwierigen Jahre, die ihm noch bevorstehen, zu bewältigen. Bei seiner anderthalbstündigen Rede hatte man gelegentlich den Eindruck, dass er in einem anderen Land lebt. Argentinien hat zwar die pandemiebedingte Rezession von 2020 aufgeholt, steht aber jetzt erneut vor einer Stagnation, mit anormal hoher Inflation, hoher Arbeitslosigkeit, einer Armut, die nie so umfangreich war, einer nie dagewesenen persönlichen Unsicherheit, Naturkatastrophen von ungeahntem Ausmaß und der Gefahr eines neuen Defaults, dieses Mal mit dem Internationalen Währungsfonds. Die hohe Inflation erwähnte Alberto Fernández nur beiläufig und beschuldigte die Unternehmer, die Preise ständig zu erhöhen, was auf eine wirklich primitive Auffassung des Inflationsphänomens deutet. Über eine Politik zur Senkung er Inflation, kein Wort.

Das Abkommen über die Grundzüge der Verständigung mit dem IWF soll in diesen Tagen im Parlament eingebracht werden. Es wird angenommen, dass eine Mehrheit für die Zustimmung zustande kommt, aber sicher ist dies nicht. Aus den Äußerungen des Präsidenten geht hervor, dass er das Grundproblem immer noch nicht verstanden hat: die verpönte Anpassung (“ajuste”) kommt entweder in geordneter Art und Weise, mit begrenzten sozialen Kosten, oder sie kommt ungeordnet und wirft die ganze Wirtschaft durcheinander. Er ist sich offensichtlich nicht bewusst, dass Argentinien sein längerer Zeit am Rande des Abgrunds voranschreitet, wobei es ein kleines Wunder ist, dass es noch nicht in diesen gefallen ist. Aber das kann noch geschehen.

Wirtschaftsminister Martín Guzman soll es erst um 3 Uhr morgen vom Dienstag die Einigung mit dem Fonds über die grundsätzlichen Aspekte dieses Absichtsabkommens abgeschlossen haben. In diesen Tagen soll es im Kongress eingebracht werden, wobei nicht sicher ist, ob es genehmigt wird. Ohnehin handelt es sich nicht um einen definitiven Text über ein Abkommen, sondern nur um allgemeine Richtlinien, die weitere Verhandlungen voraussetzen, um zu einem Zehnjahresabkommen zu gelangen. (“extended facilities”)

Die Verhandlung mit dem Fonds, deren provisorischer Abschluss schon vor einigen Wochen angekündigt worden war, hat sich danach verhärtet. Es ist klar, dass das unmittelbare Ziel eines primären Defizits von 2,5% des Bruttoinlandsproduktes für dieses Jahr, etwas über einen Prozentpunkt weniger als 2021, sich nur erreichen lässt, wenn die Tarife öffentlicher Dienste, angefangen mit dem Stromtarif real, also über die Inflation hinaus erhöht werden. Die Senkung des Defizits wird ohnehin schon durch den Ausfall der Steuer auf hohe Vermögen und geringere Einnahmen aus Exportzöllen erschwert. Präsident Fernández sagte, die Tariferhöhungen müssten dieses Jahr unter den Lohnerhöhungen liegen. Doch genau das ist nicht möglich, wenn das Haushaltsdefizit verringert werden soll. Angeblich forderte der Fonds bei Strom und Gas eine Zunahme von 60%, während Cristina auf 20% bestand. Jetzt soll man sich angeblich auf 40% geeinigt haben, wobei bei Strom die Zunahme bei armen Haushalten nur 20% betragen soll, bei wohlhabenden, die als solche definiert werden, die in bestimmten besseren Stadtvierteln wohnen, soll der Tarif um 60% und mehr erhöht werden. Indessen steht noch nicht fest, wie diese Einstufung genau erfolgen soll, und welche rechtliche Grundlage sie hat. Denn zunächst hat sie keine. Ob der Fonds damit einverstanden ist, steht auch nicht fest.

Der Präsident gab in seiner Ansprache keinen Hinweis auf Ausgabensenkung, die so oder so kommen muss. Denn das Defizit wird mit Verschuldung und Geldschöpfung gedeckt. An zusätzliche Verschuldung ist kaum zu denken, und die Geldschöpfung hat schon eine gefährliche Grenze erreicht. Außerdem wird sie im Abkommen mit dem IWF stark begrenzt. Somit tritt die dritte Möglichkeit ein: Dass das Defizit nicht gedeckt, sondern verringert wird und zwar durch hohe Inflation und eventuell Hyperinflation. Denn dann kann erreicht werden, dass die Steuereinnahmen nominell stark zunehmen, während viele Staatsausgaben, angefangen mit Beamtengehältern, Pensionen und Hinterbliebenenrenten, stark zurückbleiben. Das hat es schon mehrmals gegeben.

Statt eine Ausgabenkürzung in Aussicht zu stellen, hat der Präsident in seiner Rede mehrmals die hohen öffentlichen Investitionen als Grundlage des wirtschaftlichen Wachstums betont, die ohne IWF-Abkommen keine Finanzierung haben. Und mit Abkommen haben nur einige eine Finanzierung von der Weltbank oder anderen internationalen Finanzinstituten und eventuell auch von anderen Banken. Es wäre ohnehin wirtschaftlicher, wenn nicht so viele Objekte gleichzeitig gebaut werden, sondern Prioritäten festgesetzt würden und die einzelnen Objekte nicht gleichzeitig, sondern nacheinander schnell gebaut würden (wenn möglich mit einem PERT-Programm und gesicherter Finanzierung). Dabei spart man viel Geld. Wenn hingegen die einzelnen Bauten schließlich noch mehr gestreckt werden, weil die Finanzierung ausbleibt (um die vereinbarte Defizitgrenze einzuhalten), dann kosten sie real viel mehr - erfahrungsgemäß leicht doppelt so viel und noch mehr.

Innerhalb des IWF hat die technische Beamtenstruktur großes Gewicht. Dass der Brasilianer Ilan Goldfajn, der für seine orthodoxe Position bekannt ist und großes Prestige im Fonds genießt, jetzt auch für Argentinien zuständig ist, deutet auf eine Verhärtung der Verhandlung hin. Der Fonds wird sich nicht mit Zielsetzungen zufrieden geben, wenn diese nicht von Maßnahmen begleitet werden, die für ihre Erfüllung notwendig sind. Ein Erhöhung der Tarife öffentlicher Dienste, die über der Inflationsrate liegt, ist dabei eine Bedingung sine qua non. Das Tarifproblem ist gewiss jetzt nicht abgeschlossen. Es wird weiter ein zentraler Aspekt der Fondsforderungen sein, vor allem wenn die Inflation hoch bleibt.

Der Fonds will es nicht auf einen Default ankommen lassen. Doch das bedeutet nicht, dass er sich mit einer argentinischen Wirtschaftspolitik zufrieden gibt, die in einem noch höheren Staatsdefizit mündet und die Zahlung der Schuld auch nach der Karenzfrist, die der Fonds jetzt gewährt, nicht geschieht. Angeblich sollen bis 2026 keine Amortisationsquoten gezahlt werden, sondern nur Zinsen. Der Fonds besteht auf alle Fälle in einer Revision der Zahlen alle drei Monate, und wenn diese von den Zielsetzungen abweichen, wird er auf konkreten Maßnahmen bestehen oder im Extremfall das Abkommen kündigen. Die harte Linie im Fonds schließt einen Default nicht aus, bei dem dann Argentinien sich gezwungen sieht, Maßnahmen zu ergreifen, die es jetzt ablehnt.

Der Präsident lehnte in seiner Rede zwei notwendige Reformen kategorisch ab: die des Pensionssystems und die der Arbeitsgesetzgebung. Er lehnte die Erhöhung des Rentenalters, von jetzt 65, bzw. 60 Jahren, kategorisch ab, sagte aber nichts über die vielen Sondersysteme, die übertriebene Pensionen vorsehen. Was die Arbeitsgesetzgebung betrifft, so sind bestimmte Reformen notwendig, damit mehr legale Arbeitsplätze geschaffen werden und andere, um die Produktivität zu erhöhen. Doch dabei taucht sofort das Prinzip der Differenzierung der Löhne auf, gegen das sich die Gewerkschaften sträuben, So wie der Präsident sich jetzt geäußert hat, ist die Arbeitsgesetzgebung in Ordnung und die Schwarzarbeit kein Problem. Der Präsident ist sich offensichtlich nicht bewusst, dass die Reform der Arbeitsgesetzgebung notwendig ist, um das Wachstum der Wirtschaft möglich zu machen und die Arbeitslosigkeit auf die sogenannte “friktionelle Arbeitslosigkeit” zu senken, die bei etwa 4% liegt und diejenigen umfasst, die ihren ersten Arbeitsplatz suchen oder ihn wechseln.

Der Präsident stellte eine phantastische Zukunft in Aussicht, u.a. mit Exporten von insgesamt u$s 100 Mrd., die schon dieses Jahr erreicht werden sollen und dann in einigen Jahren auf u$s 170 Mrd. steigen. Das klingt sehr schön, widerspricht aber der gegenwärtigen Politik der Hemmung von Exporten, um billige Nahrungsmittel für den Binnenmarkt zu haben. Wenn ein Sojaproduzent netto ein Drittel des Betrages erhält, den er bei Umrechnung des Exportes zum freien Wechselkurs erhalten würde, so ist das bestimmt keine Exportförderung. Der Geist der geschlossenen Wirtschaft ist bei der lokalen Wirtschaftspolitik stark präsent, und steht in krassen Widerspruch zu einer exportorientierten Wirtschaft.



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