Von Juan E. Alemann
Als der Peronismus am 17. Oktober 1945 die Plaza de Mayo füllte, waren die meisten Arbeiter ungelernte, und viele waren erst kurz vorher im Zuge der Industrialisierung, die in den 30er Jahren eingesetzt hatte, vom Land in die Stadt gekommen. Diese Arbeiterschaft bildete das, was in der marxistischen Terminologie Proletariat bezeichnet wird. Die Industrie war damals primitiv, mit viel manueller Arbeit.
Inzwischen hat sich die Industrie stark automatisiert, und manuelle Tätigkeiten werden maschinell verrichtet. Mit der technologischen Revolution der letzten Jahrzehnte hat sich diese Tendenz beschleunigt. Und das bedeutet, dass ein großer Teil der Arbeiter jetzt auf gelernte entfällt, die an Schaltern sitzen, maschinelle Prozesse kontrollieren und Programme in die Maschinen eingeben. Sie verdienen dabei auch viel mehr. Diese Entwicklung umfasst nicht nur die Industrie, sondern auch die Landwirtschaft, den Handel und eventuell noch mehr die Dienstleistungen.
Dies bedeutet soziologisch, dass sich der Mittelstand erweitert hat und jetzt den größeren Teil der Bevölkerung umfasst. Die ehemaligen Proletarier gibt es vorwiegend im Bereich der Schwarzwirtschaft, der Arbeitslosen und Unterbeschäftigten, von denen die meisten selbstständig tätig sind.
Der Mittelstand, einschließlich vieler, die einkommensmäßig nicht in diese Kategorie gehören, aber die Werte des Mittelstandes teilen, vor allem die effektive Möglichkeit der aufstrebenden sozialen Mobilität, identifiziert sich nicht mit dem ursprünglichen Peronismus, der Perón 1946 zum Präsidenten machte. Manche bezeichnen sich aus familiärer Tradition weiter als Peronisten, aber die meisten fühlen sich nicht durch die demagogische Rede der Parteiführer angesprochen. Die Reden der Politiker der Koalition “Zusammen für den Wechsel”, wie Patricia Bullrich, Horacio Rodríguez Larreta, Alfredo Cornejo, Facundo Manes u.a. kommen bei ihnen besser an. Miguel Angel Pichetto, der peronistischer Senator war, hat diesen Wandel begriffen und ist zu Macri übergegangen.
Der Politologe Sergio Berensztein hat das Phänomen klar erkannt. Er weist in einem Artikel in “La Nación” (19.11.21) darauf hin, dass die Regierungskoalition in den letzten Wahlen nur in den sehr armen Gegenden erfolgreich war, wo die direkten Subventionen eine wichtige Rolle spielen. “Die Regierung fasst dort Fuß, wo Argentinien als Gesellschaft versagt hat”, sagt er. Gelegentlich ziehen Oppositionspolitiker daraus den Schluss, dass die Regierung genau deshalb sich bemüht Arme zu schaffen. Das ist jedoch zu weit gedacht. Dass die Regierung nicht weiß, wie sie das Armutsproblem anpacken soll, ist etwas anderes und eigentlich bei diesen unfähigen Leuten normal.
Der Opposition bietet diese neue gesellschaftliche Struktur eine einzigartige Gelegenheit, die viele ihrer Politiker nicht verstanden haben. Die radikale Bürgerunion (UCR) ist im 19. Jahrhundert als eine Mittelstandspartei entstanden, die in Opposition zur Oberschicht auftrat, die damals die Regierungen stellte. Doch als der Peronismus aufkam, bemühten sich Politiker der radikalen Partei um die Gunst der peronistischen Wählerschaft, also der Proletarier. Auch Präsident Raúl Alfonsín (1982-89) ging in diese Richtung, nahm sogar Peronisten in seine Regierung auf und war gegenüber den peronistischen Gewerkschaftern nachgiebig. Das wurde ihm zum Verhängnis.
Menem hingegen, hat den Wandel der Gesellschaft von vornherein begriffen und den Peronismus zu einer Mittelstandspartei gemacht. Das haben die Kirchners jedoch nicht fortgeführt und somit ein Problem mit dem traditionellen Peronismus geschaffen, der sich jetzt bemüht, den Kirchnerismus loszuwerden.
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