Von Juan E. Alemann
Vizepräsidenten hatten bisher in Argentinien ein Schattendasein. Nur wenn der Präsident zurücktrat oder starb, und sie ihn ersetzen, wurden sie bedeutende Persönlichkeiten. So war es mit Carlos Pellegrini, Victorino de la Plaza, Ramón Castillo und María Estela (“Isabel”) Perón. Die Kirchners hatten mit ihren Vizepräsidenten zudem eine konfliktreiche Beziehung. Der erste, Daniel Scioli, wurde von Néstor Kirchner bestraft, als er versuchte, ein eigenes politisches Profil aufzubauen, indem die von ihm empfohlenen Beamten, wie der Tourismussekretär, entlassen wurden. Cristina hat ihren ersten Vizepräsidenten, Julio Cobos, vom Moment an, als er die Senatsabstimmung über den Exportzoll für Sojabohne (Beschluss 125) gegen die Regierung entschied, völlig ignoriert.
Mit den jetzt aufgestellten Vizepräsidenten, Cristina Fernández de Kirchner und Miguel Angel Pichetto, ist zum ersten Mal das Amt des Vizepräsidenten in den Vordergrund gerückt. Im Fall von Cristina ist es so, dass die Wähler für sie stimmen und nicht für den Präsidentschaftskandidaten Alberto Fernández. Cristina würde bei einem Wahlsieg eine starke politische Stellung haben und der Präsident eine schwache. Diese Konstellation wäre in der Praxis sehr konfliktgeladen, einmal weil Alberto anders als Cristina denkt und auch, weil die Umstände ihn zwingen, einen Weg zu beschreiten, der Cristina gegen den Strich läuft.
Wenn Cristina dem Präsidenten nicht hilft, die Gesetzesprojekte im Kongress durchzusetzen, die er benötigt, um die schwierige Lage einzurenken, dann ist eine Katastrophe unvermeidlich. Und wenn er sich dem Willen von Cristina beugt, noch mehr. Es geht hier nicht darum, ob Cristina jetzt lieb und freundlich ist, wie sie die Wahlpropaganda darstellt, oder eben autoritär und rachsüchtig, wie sie früher war, sondern um ein grundsätzlich verschiedenes Konzept über Staat und Wirtschaft. Um wirklich regieren zu können, muss Alberto Fernández erreichen, dass Cristina wieder eine relativ unbedeutende Vizepräsidentin wie ihre Vorgänger wird. Das erscheint jedoch kaum möglich.
Bei Pichetto liegt der Fall anders. Er wird sich als Vizepräsident dafür einsetzen, dass die Regierung erfolgreich ist. Er geht vom Konzept der Staatspolitik aus, das er auch als Oppositionssenator vertreten hat. Er ist sich bewusst, dass das Defizit der Staatskasse weiter verringert werden muss, dass Argentinien seine Schulden zahlen und einen neuen Default auf alle Fälle vermeiden muss. All dies und noch mehr hat er schon vor seiner Nominierung als Vizepräsident gegenüber bedeutenden Financiers in New York gesagt. Pichetto erklärt vielen wichtigen peronistischen Politikern Dinge, die sie Macri und seiner Mannschaft nicht abnehmen.
Pichetto gibt dabei seine peronistische Identität nicht auf. Doch er weiß, dass die Diskussion über Sozialpolitik, Industriepolitik und andere Themen an zweiter Stelle kommt und nur sinnvoll ist, wenn das Gespenst des Defaults nicht mehr besteht, und sowohl die Staatsfinanzen wie die Zahlungsbilanz keine untragbaren Defizite aufweisen. Da die Regierungskoalition den ideologischen Akzent auf andere Themen konzentriert, wie die Korruptionsbekämpfung und die kulturelle Revolution, stellt eine Auseinandersetzung mit Pichetto und dem “rationellen” Peronismus, den er vertritt, kein Konflikt dar. Dialog, Diskussion und Kompromisse gehören zum Wesen der demokratischen Auffassung der Macri-Regierung. Pichetto stellt als Vizepräsident, der eine eigene politische Basis hat, eine wichtige Stütze der Regierung dar, die weit über die Rolle hinausgeht, die er als Vorsitzender des Senats hat.
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