Der Minister für Produktion (genau genommen, für “produktive Entwicklung”), Matías Kulfas, ist plötzlich zurückgetreten, also vom Präsidenten entlassen worden, weil er einen Konflikt mit Cristina Kirchner hatte. Kulfas hatte eine enge Beziehung zum Präsidenten, nachdem er schon vorher mit ihm in der sogenannten Callao-Gruppe zusammengearbeitet hatte. Er war hauptsächlich für Industrie und Bergbau zuständig, nachdem zunächst das Energiesekretariat und danach das Handelssekretariat auf das Wirtschaftsministerium übertragen wurden. Er hatte einen guten Dialog mit den Unternehmern, und hat viele Einzelprobleme gelöst. Er war ein sehr aktiver Minister. Auch hat er sich besonders um den Bereich der Informatik gekümmert, der in den letzten Jahren einen großen Aufschwung erlebt hat, weil Argentinien über viele junge Menschen verfügt, die auf diesem Gebiet gut ausgebildet sind.
Doch Kulfas hatte keine gute Beziehung zu Cristina. Sei es, weil er keine Cámpora-Mitglieder einstellte, oder weil sie keinen Einfluss auf ihn hatte, oder einfach, weil er als gut ausgebildeter Ökonom anders als sie dachte. Tatsache ist, dass er seit längerer Zeit schon auf ihrer Abschussliste stand. Dass ihn Alberto Fernández nicht gestützt hat, wird als Schwächezeichen interpretiert. Eines mehr.
Als Cristina vor zwei Wochen in Anwesenheit von Alberto Fernández in Tecnópolis sprach, und dabei den Präsidenten anwies, den Federhalter zu verwenden, also Entscheidungen zu treffen, und dies auf die Zuteilung des Baus der Gasleitung an Techint bezog, bei der das Blech für die Röhren aus Brasilien importiert wird, wo Techint Minderheitspartner der Fabrik ist, die das Blech liefert, fühlte sich Kulfas betroffen, und antwortete “off the record”, dass die Lastenhefte der Ausschreibung vom Staatsunternehmen Iesa, ehemals Enarsa, entworfen worden seien, das von ihren Leuten verwaltet wird, wobei der ganze Energiesektor der Regierung von Cristinisten besetzt sei. Und das ist ihr in die falsche Kehle gerutscht.
Konkret geht es darum, dass das Blech einen bestimmten Durchmesser haben muss, und dieses Blech nicht in Argentinien erzeugt wird. Aber rein technisch könnte angeblich auch ein anderes Blech verwendet werden, das in Argentinien erzeugt wird. Die Röhren müssten dann auf alle Fälle im SIAT-Werk von Techint im Vororot Valentín Alsina hergestellt werden, das Röhren mit Naht erzeugt. Denn es gibt im Land keine andere Fabrik für diesen Zweck. Die nahtlosen Röhren, die Techint in ihrem großen Werk im Vorort Campana erzeugt, sind nicht für Gasleitungen geeignet. Sie werden vornehmlich bei Verkleidung von Erdölbohrungen eingesetzt. Der Vorsitzende des Techint-Konzerns, Paolo Rocca, Enkel des Gründers Agostino Rocca, sprach mit dem ¨Präsidenten in Olivos persönlich über dieses u.a. Themen. Anlässlich der Tagung des Verbandes der Spitzenunternehmer “Asociación Empresaria Argentina” kam er auch auf die Gasleitung zu sprechen, und erklärte, warum Techint als einziger Offerent übrig geblieben sei, nachdem sich eine chinesische Firma zurückgezogen hat. Rocca verneinte kategorisch, dass es bei der Ausschreibung Unregelmäßigkeiten gegeben habe. Hier sei daran erinnert, dass der Techint-Konzern, der sehr aktiv bei öffentlichen Bauten war, sich von diesem Bereich zurückzog, als Néstor Kirchner die Zwangskartellierung einführte und Schmiergelder forderte. Weder Rocca noch sonst jemand vom Konzern steht in den Heften von Centeno.
Diese Diskussion hätte in einer zivilisierten Regierung hinter verschlossenen Türen ausgetragen werden können, und nichts wäre passiert. Am besten wäre es, wenn die Leitung in Konzession an eine Privatfirma übertragen worden wäre, die die Leitung nachher betreibt, mit den notwendigen Pumpstationen und der Instandhaltung. 1979 wurde die Gasleitung Zentrum-West, von Neuquén bis zur Bundeshauptstadt, der niederländischen Boiskalis in Konzession zugeteilt, die sie zu niedrigen Kosten in sehr kurzer Zeit baute und eine ebenfalls niedrige Gebühr für den Gastransport forderte. Doch dann wurde, unter der Regierung des Radikalen Raul Alfonsín, diese Gasleitung verstaatlicht, ohne Boiskalis zu entschädigen, was die Firma in den Konkurs trieb und zu einem Prozess gegen Argentinien beim Weltbankschiedsgericht ICSID führte. Seither sind privat errichtete und betriebene Gasleitungen ausgeschlossen.
Kulfas reichte seinen Rücktritt in einem Schreiben von 14 Seiten ein, dessen Inhalt nur durch Kommentare bekanntgeworden ist. Darin übt er eine noch schärfere Kritik an den hohen Beamten des Energiesekretariates, die zur Gruppe von Cristina gehören und ihre Anweisungen befolgen. Er beanstandete die hohen Subventionen, die wohlhabenden Haushalten beim elektrischen Strom gewährt werden. Das Energiesekretariat will seit längerer Zeit schon die Tarifsubvention für reiche Familien ganz abschaffen, und sie bei solchen, die auch wohlhabend sind, stark begrenzen, ist sich aber über die Art und Weise, wie sie erfasst werden sollen, nicht im klaren. Der letzte bekannte Vorschlag bestand in einer Differenzierung nach Bezirken der Stadt und der Vororte, wo dieser Teil der Gesellschaft wohnt. Doch das ist nicht befriedigend, weil es zu viele Ausnahmen gibt, und die legale Grundlage für das System fragwürdig ist. Die einfachste Lösung ist eine Erhöhung der Progressivität, die schon besteht, wobei diejenigen, die nicht reich sind, aber einen hohen Stromkonsum haben, einen niedrigeren Tarif beantragen können. Doch dies wird nicht einmal diskutiert. Und auf alle Fälle sollten auch Familien mit niedrigerem Einkommen mehr bezahlen als jetzt.
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