Von Juan E. Alemann
Was in Chile geschehen ist, mit einem überwältigenden Wahlsieg des Sozialisten Gabriel Boric über den Konservativen José Antonio Kast hat auch in Argentinien wie ein kleines Erdbeben gewirkt. Denn Boric entscheidet jetzt auch, wie es in Lateinamerika weiter geht. Chile hat traditionell eine starke kommunistische Partei, die seinerzeit die Regierung von Salvador Allende prägte, die in einer wirtschaftlichen Katastrophe endete und von den Militärs, unter Führung von Augusto Pinochet, abgesetzt wurde. Geht Boric jetzt auch diesen Weg, oder beschränkt er sich auf soziale Reformen, die vornehmlich das Gesundheitswesen und das Pensionssystem betreffen?
Das Ergebnis der Wahlen zeigt, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht ausreicht, um Wahlen zu gewinnen. Pinochet hat tiefgreifende wirtschaftliche Reformen vollzogen, und der marktwirtschaftliche Kurs, den er konsequent einschlug, wurde von seinen gewählten Nachfolgern mit großem Erfolg beibehalten. Der Ökonom Martin Krause weist in der Zeitung “La Nación” (27.12.21) darauf hin, dass das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von 1980 bis 2020 um 161% gestiegen ist, weit über anderen erfolgreichen lateinamerikanischen Staaten, wie Kolumbien (+95%) und Uruguay (+92%). In Argentinien waren es nur +7,5%, so dass das BIP pro Kopf in Chile jetzt über dem argentinischen liegt.
Gleichzeitig mit diesem phänomenalen Wachstum wurde eine Verbesserung der Einkommensverteilung erreicht. Der Gini-Koeffizient, mit dem diese gemessen wird, ist laut Krause in diesen 30 Jahren von 57,20 auf 46,60 gefallen. Je niedriger der Koeffizent, umso gleichmäßiger ist die Einkommensverteilung. Doch offensichtlich wurde dies von breiten Kreisen der Bevölkerung als unzureichend empfunden, was u.a. in der Rebellion der Studenten von 2019 zum Ausdruck gekommen ist, bei der Boric als politische Figur aufgekommen ist.
Das Wachstum der chilenischen Wirtschaft ist allein durch die Präsenz von Boric gefährdet. Enorm viel Geld ist schon ins Ausland geflohen, und die Unternehmer nehmen eine abwartende Haltung ein, die paralysierend wirkt. Boric müsste sofort klare Signale geben, dass er das gut funktionierende marktwirtschaftliche System als solches beibehalten will. Denn sonst kann eine Rezession eintreten, die seine Tätigkeit von vorneherein erschwert. Die Frage ist, inwiefern die sozialen Reformen, die er befürwortet, mit Marktwirtschaft und Wachstum vereinbar sind. Boric ist von vorneherein einem großen Druck ausgesetzt, um das soziale System spürbar auszubauen. Es ist nicht einfach, den goldenen Mittelweg zu finden, bei dem dies mit Marktwirtschaft und Wachstum vereinbar ist.
Wichtig ist jetzt auch, wie er sich zu Venezuela , Kuba und Nicaragua stellt. Es geht nicht nur darum, dass er die Menschenrechtsverletzungen der Regierung jener Staaten beanstandet und in diesem Sinn auf der Seite von Brasilien, Kolumbien, Uruguay u.a. verbleibt, sondern darum, dass er sich vom kommunistischen Wirtschaftssystem distanziert, das in Kuba voll und in Venezuela halbwegs besteht.
Boric ist ein junger Mann von nur 35 Jahren, mit einer beschränkten politischen Erfahrung. Es geht jetzt für ihn darum, seine Leute zu überzeugen, dass er an den doktrinären Grundsätzen der Studentenbewegung festhält, aus der er hervorgegangen ist, aber in der Praxis grundsätzlich anders handelt, nämlich so, wie es die wirtschaftliche Wirklichkeit vorschreibt. Dabei ist es ratsam, dass er sehr gute Beziehungen zur Opposition aufrecht erhält, die er braucht, um dem extremen Flügel seiner Partei Einhalt zu gebieten.
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