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Der "Krebs" des Judenhasses

Gedenkstunde im Bundestag / Holocaust-Überlebende mahnt

Inge Auerbacher - Mickey Levy - Bärbel Bas
Inge Auerbacher (M.) mit Knesset-Sprecher Mickey Levy und Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. (Foto: dpa)

Berlin (dpa) - Ruhig und gefasst erzählte Inge Auerbacher noch einmal ihre Geschichte. "Ich bin ein jüdisches Mädel aus dem badischen Dorf Kippenheim", sagte die 87-jährige Holocaust-Überlebende gestern unter der Kuppel des Reichstagsgebäudes.

Auch nach Jahrzehnten in ihrer neuen Heimat New York hat Auerbacher einen freundlichen badischen Akzent, sie spricht von Versöhnung und gegen den Hass. Aber ihr Blick zurück nach Kippenheim im heutigen Bundesland Baden-Württemberg ist erschütternd. "Ich war das letzte jüdische Kind, das dort geboren wurde."

Der Bundestag erinnerte zum Holocaust-Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, die Spitzen des Staates waren versammelt. 77 Jahre nach der Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 wird inzwischen viel debattiert über die richtige Erinnerungskultur - der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, warnte gerade erst vor einer Erstarrung in "Formeln und Ritualen". Auerbachers Rede aber hatte nichts Formelhaftes. Sie sprach von einem Grauen, das nicht vergeht.

Nur 25 Minuten reichten der alten Dame, ihren unfassbaren Lebensweg zu schildern. Der unfreiwillige Umzug aus Kippenheim zu ihren Großeltern, die Zwangsarbeit der Eltern, der elend lange Weg zur einzigen jüdischen Schule in Stuttgart, die Verhöhnung durch den gelben Judenstern. 1942 wurde die Familie ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo sie zusammengepfercht mit Tausenden anderen, mit Ratten und Ungeziefer, mit Krankheiten und Hunger lebte. "Die wichtigsten Wörter waren für uns Brot, Kartoffeln und Suppe. Das ganze Leben drehte sich um Essen."

Als eines Tages ihre Spielgefährtin Ruth mit ihren Eltern weiter gebracht wurde nach Auschwitz, schworen sich die beiden Mädchen, sich später einmal gegenseitig zu besuchen. "Liebe Ruth, ich bin hier in Berlin, um dich zu besuchen", rief Inge Auerbacher im Bundestag, den Tränen nah. Doch Ruth wurde ermordet in einer der Gaskammern in Auschwitz. "Sie erlebte noch nicht einmal ihren zehnten Geburtstag."

Die Familie Auerbacher hingegen wurde 1945 in Theresienstadt von der Roten Armee befreit. 1946 wanderte sie aus nach New York, wo Inge Auerbacher jahrelang mit Krankheiten als Folge des Lagers kämpfte. Auch die ließ sie schließlich hinter sich. Sie ging doch noch zur Schule, studierte und arbeitete jahrzehntelang als Chemikerin.

Nur eine politische Botschaft verband die Holocaust-Überlebende mit ihrer Geschichte: den Einsatz gegen Hass und Antisemitismus.

"Leider ist dieser Krebs wieder erwacht, und Judenhass ist in vielen Ländern der Welt, auch in Deutschland, wieder alltäglich", sagte Auerbacher. "Diese Krankheit muss so schnell wie möglich geheilt werden."

Viele ihrer Zuhörer im Bundestag wissen, dass dies ein wunder Punkt ist in dieser Zeit. Gelbe Sterne bei Corona-Demonstrationen, Verschwörungserzählungen in der Pandemie, alltägliche Anfeindungen gegen jüdische Deutsche. "Der Antisemitismus ist mitten unter uns", warnte auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas in der Gedenkstunde. "Erinnern und Gedenken machen nicht immun gegen Antisemitismus." Vielmehr seien Freiheit und Demokratie auf engagierte Bürger angewiesen.

Den Gedanken griff der israelische Parlamentspräsident Mickey Levy auf, der auf den historischen Ort im Reichstagsgebäude einging. Hier könne man eine Ahnung davon bekommen, wie Menschen Demokratie ausnutzen könnten, um sie zu überwinden, sagte Levy.

"Dies ist der Ort, wo die Menschheit die Grenzen des Bösen gedehnt hat, ein Ort, wo Werteverlust einen demokratischen Rahmen in eine rassistische und diskriminierende Tyrannei verwandelt hat", sagte Levy. "Und nun erfahren wir hier, in den Mauern dieses Hauses - stummer Zeuge aus Stahl und Stein - wieder die Zerbrechlichkeit der Demokratie, und wir werden wieder an die Pflicht erinnert, sie zu schützen."

 

Biden: Geschichte nicht verzerren

Washington (dpa) - US-Präsident Joe Biden hat anlässlich des Holocaust-Gedenktags vor Versuchen gewarnt, die Geschichte zu leugnen oder zu verzerren. "Wir müssen korrekt über den Holocaust unterrichten und uns gegen Bestrebungen wehren, die Geschichte zu ignorieren, zu leugnen, zu verzerren und zu revidieren", teilte Biden gestern mit. Es gebe immer weniger Überlebende, die ihre Geschichten erzählen könnten. Biden wollte gestern die Holocaust-Überlebende Bronia Brandman im Weißen Haus empfangen.

Er verwies auch auf den tödlichen Vorfall bei einem Neonazi-Aufmarsch in der US-Stadt Charlottesville 2017 und die Geiselnahme in einer Synagoge in Colleyville Mitte Januar. Diese Vorfälle würden auf schmerzliche Weise daran erinnern, dass der Hass nicht verschwinde, sondern sich nur verstecke. "Heute und jeden Tag haben wir die moralische Verpflichtung, die Opfer zu ehren, von den Überlebenden zu lernen, die Retter zu würdigen und die Lehren aus dem abscheulichsten Verbrechen des letzten Jahrhunderts weiterzugeben", so Biden. Er selbst habe als Kind von seinem Vater am Esstisch vom Holocaust erfahren.

 

Biden empfängt Scholz

Washington/Berlin (dpa) - US-Präsident Joe Biden empfängt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 7. Februar zu dessen Antrittsbesuch im Weißen Haus. "Der Besuch von Bundeskanzler Scholz bietet die Gelegenheit, die tiefen und dauerhaften Bindungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland zu bekräftigen", teilte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, gestern mit. Biden und Scholz würden ihr Engagement für eine diplomatische Lösung im Ukraine-Konflikt und "gemeinsame Anstrengungen zur Verhinderung einer weiteren russischen Aggression gegen die Ukraine" erörtern. Bei den Treffen werde es auch um die Zusammenarbeit bei weiteren Themen gehen, darunter die Coronavirus-Pandemie und der Klimawandel.

Psaki hatte bereits am Montag angekündigt, dass Scholz im kommenden Monat in Washington erwartet wird, aber noch kein konkretes Datum bekanntgegeben. Deutschland nannte sie in dem Zusammenhang "einen unserer engsten Verbündeten". In den bilateralen Beziehungen hatte in den vergangenen Jahren besonders die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 für Spannungen gesorgt. Die US-Regierung ist gegen das Projekt. Im Ukraine-Konflikt betont die Biden-Regierung zwar regelmäßig die Geschlossenheit der westlichen Verbündeten gegenüber Russland. Aufmerksam registriert wurde in den USA aber die Weigerung Deutschlands, der Ukraine Waffen zu ihrer Verteidigung zu liefern.

Scholz war am 8. Dezember als neuer Bundeskanzler vereidigt worden und seitdem zu Antrittsbesuchen nach Paris, Brüssel, Warschau, Rom und Madrid gereist. Als engster Verbündeter Deutschlands außerhalb der Europäischen Union zählen die USA traditionell zu den ersten Reisezielen eines neuen Bundeskanzlers.


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